Wenn wir heute an unsere Wanderung zum Fälensee denken, beschleicht uns noch immer ein ungutes Gefühl. Hier, auf einem der bekanntesten Aussichtsberge im Nordosten der Schweiz, waren wir einst zu unserer ersten großen, gemeinsamen Wanderung aufgebrochen. Trotz der Fahrt mit der Gondel bis auf den Gipfel vom Hohen Kasten und obwohl wir uns eigentlich für einigermaßen fit hielten, plagten uns damals ab dem Sämtisersee arge Muskelschmerzen in den Beinen. Wieder an der Talstation in Brülisau angekommen, waren wir dann einfach nur platt.
Aufnahmen zu unseren schönsten Wandertouren in der Schweiz
Acht Jahre später bzw. nach etlichen Wanderungen im Südschwarzwald und der Schweiz wollen wir es aber doch wissen: ist der Berg Hoher Kasten wirklich so schlimm wie sich unsere Muskeln damals anfühlten? Oder fehlte uns einfach die nötige Kondition und Erfahrung am Berg? Wir wollen es richtig wissen und legen noch eine Schippe obendrauf: anstatt von Brülisau mit der Seilbahn bequem bis zum Gipfel zu gondeln, wählen wir den Bergweg und damit 800 Höhenmeter im ersten Anstieg bis hoch zum Drehrestaurant ganz oben auf dem Hohen Kasten.
So brechen wir am frühen Vormittag (frischen Muts) beim gebührenfreien Wanderparkplatz direkt bei der Talstation der Seilbahn auf. Nach kurzer Orientierung folgen wir dem Wegweiser Richtung Ruhsitz und Hoher Kasten und verlassen Brülisau damit auf der Rossbergstrasse, die direkt an der Kirche von Brülisau vorbeiführt. Beim Waldrand wechseln wir auf den Bergweg. Wem die Steigung zu steil ist oder wenn der Weg aus anderen Gründen nur schwer begehbar ist, kann man auch auf der Rossbergstrasse bleiben. Dann allerdings nimmt man ein paar Umwege in Kauf und muss auf teils rasant entgegenkommende Radfahrer achten. Während des und direkt nach dem Almauftrieb empfehlen wir, die Straße zu meiden.
Auch bei unserer zweiten, verschärften Kasten-Tour kommen wir bald ins Schwitzen. Was uns bei einer Steigung von circa 20 Prozent allerdings auch nicht wundert. Bei ruhigem Tempo kommen wir jedoch gut voran und haben nach einer halben Stunde die ersten 200 Höhenmeter bewältigt. Und das, obwohl ich unterwegs immer mal wieder stehenbleibe, um eine Ährige Teufelskralle oder ein Breitblättriges Knabenkraut aufzunehmen oder um nach dem Stier Ausschau zu halten, vor dem mehrere Schilder warnen.
Auf halben Weg zum Berggasthaus Ruhsitz entdecken wir eine ungewöhnliche Geschäftsidee. Es ist ein Kühlschrank, gefüllt mit frischer Milch, der in einem offenen Fenster zur Selbstbedienung einlädt. Hätten wir dies vorher gewusst, hätten wir uns ein Pfund Proviant sparen können. Ja, und wenn der Fuchs nicht dringend gemusst hätte, hätte er den Hasen erwischt...
Nach einer knappen Stunde erreichen wir das Berggasthaus Ruhsitz (1.280 m). Wer mag, kann von hier mit einem Kickbike wieder hinab ins Tal düsen oder, ohne den anspruchsvollen Aufstieg auf den Hohen Kasten, direkt zum 45 Minuten entfernten Sämtisersee wandern. Wir bleiben auf dem Bergweg und freuen uns, als sich die beim Start in Brülisau tief hängenden Wolken allmählich lichten und erstmals den Blick auf den Kamor und, rechts davon, die Kuppel des Hohen Kasten frei geben.
Natürlich ist das Wandern schöner, wenn die Sonne scheint und am Himmel nur wenige Wolken zu sehen sind. Das gilt insbesondere für die Aussichtsberge, zu denen auch der Kamor und der Hohe Kasten zählen. Speziell für den Bereich zwischen dem Berggasthaus Ruhsitz und dem 400 Meter höheren Kastensattel aber ist es gar nicht so schlimm, wenn der Himmel bedeckt ist und es vorher geregnet hat. Denn dann sind die Farben der vielen Pflanzen kräftiger, als wenn sie in der direkten Sonne stehen.
Wer sich für die Botanik am Hohen Kasten interessiert, wird an dem Pfad an der Westseite des Kamors auf jeden Fall seine Freude haben. So entdecken wir einige Knabenkräuter, den in freier Natur selten gewordenen Feld-Thymian, Alpen-Küchenschellen (Alpen-Anemone), Trollblumen, den Blattlosen Ehrenpreis, Narzissenblütige Windröschen und einige weitere kalkholde Arten.
Um so enttäuschender ist dafür der Ausblick vom Kastensattel, den wir gut zwei Stunden nach Aufbruch in Brülisau und einer kurzen Rast erreichen. Denn während vom Westen her das nächste breite Wolkenband über das Appenzellerland hinwegzieht, steigt an der Nordostseite von Kamor und Hoher Kasten Nebel hoch. Damit fällt die Aussicht Richtung Dornbirn, Bregenz sowie dem Bodensee komplett aus und laufen wir die letzten gut 600 Meter bzw. 15 Minuten zum Gipfel des Hohen Kastens durch eine gespenstisch wirkende Nebelsuppe.
Hatte ich mich vor der Wanderung auf den Alpenkräutergarten beim Drehrestaurant des Hohen Kastens gefreut, ist der Anblick vor Ort eher enttäuschend. Verglichen mit den vielen Pflanzen, die wir beim Aufstieg entdeckt haben, präsentiert sich der Garten in einem erbärmlichen Zustand. Es sind nur eine Handvoll Arten, die sich so früh in der Wandersaison bereits gut entwickelt haben, um mit der Alpen-Gänsekresse, der Gemeinen Winterkresse und dem Verbundenen Frauenmantel nur mal drei Beispiele zu nennen.
Bei den meisten der Namensschilder aber fehlen die dazu gehörenden Arten oder beginnen erst mit dem Wachstum. Da es hier oben beim Gipfel ungemütlich windig und kühl ist und wir keine Erkältung riskieren wollen, verlassen wir den Garten deshalb schon nach einem kurzen Rundgang und flüchten ins 2008 eröffnete (Dreh-) Restaurant.
Wer sich in den Bergen auf die Einkehr in eine urgemütliche Hütte freut, ist hier fehl am Platz. Denn der gesamte Komplex ist auf der einen Seite hochmodern und bietet auf der anderen Seite selbst für Seminargruppen Platz. Alle Räume inklusive der sanitären Anlagen entsprechen dem Standard, den man in großen Restaurants in den Ferienorten der Schweiz erwartet. Davon ganz unterschiedlich ist jedoch die Statik. Um den widrigen Bedingungen auf dieser exponierten Lage gerecht zu werden, konnte die Statik nicht nach den Standardwerten berechnet werden, sondern wurden speziell auf die hier oben herrschenden Verhältnisse ausgelegte Tests durchgeführt. Über die gewaltigen Schnee- und Sturmlasten, auf die allein das Dach ausgelegt ist, informieren vor Ort mehrere Tafeln.
Während unseres Besuchs ist das für 84 bis maximal 98 Gäste ausgelegte Drehrestaurant wegen einer Veranstaltung für uns normale Wanderer leider gesperrt. Da es ohnehin keine Aussicht zu den benachbarten Gebirgszügen und in die Tallagen gibt, können wir dies aber gut verkraften und gehen stattdessen in das für 150 Personen ausgelegte Panorama-Restaurant im Mittelgeschoss des Gebäudes.
Wie gerne würden wir doch vom Hohen Kasten aus die Wanderung von vor acht Jahren komplett wiederholen. Bei zwei heißen Tassen Schoki müssen wir aber doch einsehen, dass es heute wenig Sinn macht, die Gratwanderung über Staubern zur Saxerlücke in Angriff zu nehmen. Abgesehen davon, dass immer wieder dichte Nebelschwaden von Osten bis über den Grat schwappen, kann es auf dem kalkigen Grund bei der Nässe heikel werden. So steht im Rother Wanderführer über den Abstieg von Staubern zum Sämtisersee: »Bei Nässe stellenweise gefährlich.« Wer sieht, wie steil und tief es an eben diesen Stellen runter geht, weiß, dass er das nicht unbedingt braucht.
Bei St. Gallen von der A1 Richtung Appenzellerland abfahren, weiter über Herisau und/oder Appenzell nach Brülisau. Parkplätze befinden sich bei der Talstation der HKDS (Hoher Kasten, Drehrestaurant, Seilbahn).
Ausgangspunkt | Talstation Hoher Kasten in Brülisau |
Koordinaten | N 47.2967, E 9.4567 |
Gehzeit | 2.30 Stunden |
Distanz | 4,3 km |
An-/Abstiege | ca. 850/0 HM |
Anforderungen | T2-3 |
Einkehr | Berggasthaus Ruhesitz, Drehrestaurant Hoher Kasten |
Beschilderung | ab Brülisau: Ruhsitz, Hoher Kasten |
GPS-Daten | Wanderung Hoher Kasten gpx |
KML-Daten | Wanderung Hoher Kasten kml |