Am Mittwoch stehen die bekanntesten Bauwerke von Gaudi auf unserem Programm. Gleich nach dem Frühstück auf der Catalunya Plaza schlendern wir frohen Muts über den Passeig de Grácia. So früh am Morgen ahnen wir noch nicht, welch weite Strecken wir an dem Tag vor uns liegen...
Zuerst spazieren wir über den Passeig de Grácia, einer eleganten Flaniermeile im Schatten von Platanen. Gesäumt wird diese von Meisterwerken modernistischer Architektur. Typisch für den Passeig de Grácia sind seine schmiedeeisernen Straßenlaternen: sichelförmige, filigrane Gitter aus Blattgerank, die geschwungene Steinbänke umschließen.
Bald kommen wir an der Casa Battló vorbei zur Casa Milá. So hübsch und architektonisch herausragend das Gebäude auch sein mag, der dafür verlangte Eintritt würde unsere Reisekasse in die Knie zwingen. Von außen sehen beide berühmten Häuser aber auch ganz toll aus. Außerdem interessiert uns Gaudis Sagrada Família ohnehin mehr.
Den Eintritt zur Sagrada Familia zahlen wir dann aber doch. Zum einen ist der Besuch der Kathedrale ein Muss in Barcelona. Und zum anderen ist der Besuch des Gaudi-Museums im Park Güell inkludiert, womit das Ticket für Interessierte einen Mehrwert beinhaltet. Lars hatte die Sagrada Familia bereits während seiner Studienfahrt 1991 gesehen. Seitdem sind einige Teile hinzugekommen. Eine große Baustelle ist die Kirche aber auch bei unserem Besuch noch.
Als Ergebnis drängen sich vor uns unzählige Besucher an den Bauarbeitern vorbei, um sich Gerüste und verschnörkelte Bauteile anzusehen. Beides finde ich weniger spannend. Viel witziger finde ich die lange Schlange Wartender vor dem Lift.
Für ein geringes zusätzliches Entgelt kann man sich hochliften lassen. Wir wählen die Alternative und nehmen die Wendeltreppen. Nicht, dass wir zu geizig wären. Aber wer schon mal den Eiffelturm hochgelaufen ist, der schafft auch so eine Sagrada. Grausige, enge Wendeltreppen führen nach oben, mit ein paar Abstechern auf süße kleine Balkone. Irgendwie hängen die über nichts, sodass sich mein Mann darauf bald mulmig wird.
Über verschiedene kleine Brücken in unterschiedlichen Höhen ist der Wechsel von einem Turm in den anderen möglich. Der Auf- und Abgang erfolgt somit gut in verschiedenen Türmen. Und egal, wo man hin- oder durchschaut, immer wieder findet sich etwas Neues: sehen wir auf der einen Seite Statuen, setzen Blumen und Tauben auf der anderen Seite Akzente. Selbst für Kunstbanausen ist es dadurch spannend, den Blick über die Fassaden und Türme schweifen zu lassen.
Statuen von Engel, Heiligen und sonstigen Leuten, viele Tiere, Blumen und noch viel mehr Schnörkel: damit ist fast die ganze Fassade verziert. Sehr aufwendige und sicher langwierige Arbeit.
Die Avinguda de Gaudi ist die kleine Rambla von diesem Viertel. Sie ist überwiegend verkehrsberuhigt und hat an den Seiten kleine Gaststätten. Die wichtige städtebauliche Funktion dieses Strassenzuges liegt in der Verbindung der bedeutendsten Bauten der beiden größten Architekten des Modernisme begründet: Am Beginn der Avinguda steht die Sagrada Família, das Hauptwerk Gaudís. Den Abschluss bildet das Hospital de Santa Creu i Sant Pau, das Hauptwerk von Lluís Domènech i Montaner.
Die Mitte des Boulevards, in Höhe des Carrer Castillejos markiert eine Skulptur von Apel les Fenosa. Ein bronzenes Mädchen stürmt mit wehendem Haar einem Engel mit mächtigen Schwingen entgegen - »Das schöne Wetter folgt auf den Sturm.«
Nach einer kleinen Stärkung kommen wir über die schöne Fußgängerzone der Avinguda de Gaudi zum Hospital de Santa Creu i Sant Pau, dem schönsten Krankenhaus, was ich bisher gesehen habe. Schon im 11. Jahrhundert entstand hier ein Pilgerhospiz, welches 1401 durch Zusammenlegung mehrerer Gebäude zu einem Hospital umgewandelt wurde. Bei seiner verspielten Jugendstil-Architektur könnte man fast meinen, der Künstler Antoni Gaudi hätte beim späteren Neubau mitgewirkt. Es war aber der Architekt Lluís Domènech i Montaner, dem dieses Meisterstück gelang, welches 1912 fertig gestellt wurde. Hoher medizinischer Standard sollte das Krankenhaus erreichen, jedoch nicht steril wirken und human sein. Wenn nicht ein paar Kranke in ihren Morgenmänteln und Krankenhauspersonal durch die Gegend rennen würden, könnte das Ganze ein großes Museum sein.
Am 7. Juni 1926 läuft ein unaufmerksamer Passant in die Straßenbahn Linie 30. Er wird dabei so blöd vom Wagen erwischt, dass er mitgeschleift wird. Schwer verletzt und durch das Herumschleifen völlig staubig, liegt er auf der Straße. Keiner der Taxifahrer will den dreckigen Mann ins Krankenhaus bringen. Keiner der Passanten erkennt in dem Verletzten den Stararchitekten Antoni Gaudi, der in dem Moment eher einem Landstreicher gleicht.
Ein mitleidiger Mensch bringt ihn dann doch zum Armenhospital de Santa Creu. Erst nach drei Tagen wird Gaudi von seinem Freund und engsten Mitarbeiter Doménech Sugranyes im Krankenhaus gefunden. Eine Verlegung in ein besseres Krankenhaus lehnt der 72-Jährige jedoch ab - sein Platz sei offenbar bei den Armen. Lediglich einem Privatzimmer willigt er zu. Dort stirbt er noch am selben Tag an seinen Verletzungen.