»Vorsicht bei Superlativen« mahnt Lars immer wieder. Beispiele von falschen Superlativen, allen voran die als höchster Wasserfall Deutschlands beworbenen Triberger Wasserfälle, kennt er zuhauf. Dem zum Trotz ist der Berliner Fernsehturm mit seinen 368 Metern Höhe bis dato das höchste Bauwerk in Berlin und ganz Deutschlands. Warum aber steht dieser im ehemaligen Osten der Stadt? Waren die Westdeutschen Ingenieure zu so einem Turmbau nicht fähig?
Das wahrscheinlich schon. Doch die DDR wollte hoch hinaus und benötigte dringend ein Prestigeobjekt. Und einen Fernsehturm hatte man bereits 1952 bei der Deutschen Post geplant. Nachdem dieses erste Projekt am Müggelberg gescheitert war, entschied man sich für einen Turm nach Vorbild des Stuttgarter Fernsehturms. Nach weiteren wirtschaftlichen Krisen beschloss Walter Ulbricht 1964 den Bau des Turms auf dem Alexanderplatz von Berlin.
Entgegen aller Bedenken bezüglich der Sicherheit des West-Berliner Flugverkehrs wuchs der neue Fernsehturm in den Berliner Himmel und konnte nach nur fünf Jahren Bauzeit 1969 eingeweiht werden. Wenn wir sehen, wie lange es dauern kann, bis in unserer Hauptstadt ein Flughafen seiner Bestimmung übergeben wird… ?
Aber sei es drum. Mit der Inbetriebnahme begann in der DDR die Ära des Farbfernsehen auf zwei Kanälen. Und noch besser: als »Symbol unserer Leistung« konnte die DDR ihr technisches Knowhow weit sichtbar präsentieren. In der Folgezeit entwickelte sich der Fernsehturm rasch zu einem Besuchermagneten. Auch ich war bei früheren Berlinreisen immer wieder hier oben. Allerdings verliefen die Besuche meiner Jugend deutlich einfacher.
Damals musste man sich nur eine Karte für den Lift kaufen. Wenig später ist man mit dem Aufzugführer nach oben gerauscht. Oben gab es Kaffee und Kuchen und gut war. Als meine Freundin damals ihre Kamera bei der Bar liegengelassen hatte, war es kein Problem, nochmals mit dem Lift zur Besucherplattform hochzufahren. Die Kamera hatte in der Zwischenzeit zwar einen neuen Besitzer gefunden, aber das ist eine andere Geschichte.
Heute ist alles anders: Um den Massen an Menschen Herr zu werden, wird jedem Tourist eine feste Besuchszeit zugeteilt. Bis es soweit ist, können gerne drei Stunden und mehr verstreichen. So wirkt die Schlange bei unserer Ankunft am Turm bereits endlos. Wir haben elf Uhr und die Kurzentschlossenen, welche jetzt erst ihre Karte kaufen, werden frühstens um halb vier eingelassen.
Es ist also besser, im Voraus eine Karte zu besorgen. Wir haben uns zudem einen Fensterplatz fürs Mittagessen im Drehrestaurant reserviert. Bestens ausgerüstet, dürfen wir an allen vorbeilaufen, eh wir unsere Jacken bei der Garderobe abgeben und nach kurzem Warten noch vor unserer eigentlichen Reservierungszeit zum Lift gelassen werden.
Das Restaurant hat sich seinen nostalgischen Charme bewahrt. Aber das Essen ist lecker. Wir können uns Zeit lassen und genießen, wie sich Berlin unter kristallblauem Himmel langsam um uns herum dreht. Schön finden wir, dass einige der wichtigsten und auffallendsten Gebäude in der Stadt im äußeren, sich nicht drehenden Bereich des Restaurants skizziert und beschrieben sind.
So haben wir in einer Höhe von 207 Metern eine grandiose Aussicht über die Stadt und die Spree und lernen noch das ein oder andere architektonische Highlight der Umgebung kennen. Einzig den Titel als höchste Aussichtsplattform Deutschlands hat das Drehrestaurant inzwischen eingebüßt. Seit Oktober 2017 wird diese durch den Rottweiler Testturm und seiner 232 Meter hohen Aussichtsplattform überboten. Aber dort können wir ja auch irgendwann noch hin.
Am Fuße des Berliner Fernsehturm entpuppt sich der Alexanderplatz als Dreh- und Angelpunkt unserer Städtereise nach Berlin. Wie täglich rund 120.000 Menschen nutzen auch wir Berlins größten Verkehrsknoten des öffentlichen Nahverkehrs immer wieder zum Umsteigen. Die Ausmaße des Platzes reichen, dass unsere gängigste Tram gleich zwei Haltestellen dort anfährt und ich vergeblich das Nordsee-Restaurant suche, das ich daheim noch gesehen hatte.
Mit uns sitzen an einem Morgen zwei ältere Berlinerinnen in der Tram und bemerken. Für uns deutlich hörbar bemerken sie, wie unglaublich hässlich der Alexanderplatz doch sei. Der Platz habe sich seit der Wende kaum weiterentwickelt. Aber ist der Platz mit dem weithin sichtbaren Fernsehturm als Landmarke und Orientierungshilfe im Hintergrund wirklich so hässlich?
Gerne würden wir dies verneinen und dem Alexanderplatz die ein oder andere schöne Seite abgewinnen. Doch er ist schlichtweg ein graues Ungetüm, umgeben von unschönen Plattenbauten. Teilweise stehen diese noch als Bauruinen da. Ein Schandfleck ist das »Haus der Statistik«, ein ehemaliger Stasibau, dessen zukünftige Nutzung zur Zeit unseres Besuchs – wie die tatsächliche Öffnung des neuen Flughafens – noch in den Sternen steht.
Selbst die Schmuckstücke des Platzes, wie die Weltzeituhr und der Brunnen der Völkerfreundschaft, sind überwiegend in bedrückendem Grau gehalten. Daran ändert auch nichts, dass die bunte Emaillierung dem Brunnen im Volksmund den abwertenden Namen »Nuttenbrosche« einbrachte. Daneben sorgen eigentlich nur die Trams für regelmäßige, gelbe Farbkleckse auf dem Platz. Für uns sind sie der Ausweg aus der Tristes. Also nichts wie rein da, nächste Haltestelle: ein bunteres Berlin.