Mit der S2 fahren wir vom Nordbahnhof weiter zum Priesterweg nahe der Berliner Mauer. Ob wir wirklich auf Städtereise sind? Obwohl wir immer noch mitten in der Großstadt sind, ist es um den Bahnhof herum sehr grün. Daneben gehören auch Industriebrachen zum Stadtbild Deutschlands Hauptstadt. Genau hier ist der Naturpark Schöneberger Südgelände ein Paradebeispiel für gelungenes Engagement von Bürgerinitiativen. Zugleich ist das Gelände ein Stück Geschichte zum Anfassen.
Nachdem das Königreich Preußen Berlin als Residenzstadt auserkoren hatte, setzte eine rasante wirtschaftliche Entwicklung ein. Nach der Gründung des Deutschen Reichs im Jahr 1871 verstärkte sich diese noch und nahmen Personen- und Güterverkehr deutlich zu.
1879 entstand auf dem Südgelände zuerst ein Ausbesserungswerk, später der Verschiebebahnhof Tempelhof. Täglich wurden dutzende Güterzüge abgewickelt. Zu seiner Glanzzeit erbrachte der Bahnhof die zweitgrößte Leistung der neun Rangierbahnhöfe in Berlin. Stahl und Beton prägten damals das Bild des Geländes.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Bahnflächen und Betriebsrechte in West-Berlin durch die Alliierten beschlagnahmt. Die Rechte wurden dem sowjetisch besetzten Sektor übertragen. Allerdings vermied es die DDR ab Mai 1950, Güter durch den Westen der Stadt zu transportieren.
Vorausgesetzt natürlich, man hatte überhaupt Güter, die man transportieren konnte. 1952 wurde der Betrieb eingestellt. Danach blieb das Südgelände sich selbst überlassen. Zu sehr war man damals noch mit dem schleppenden Wiederaufbau beschäftigt.
In den nächsten Jahrzehnten scherte sich keiner um die Brache – bis auf die Natur. Still und nachhaltig nahm sie sich des Geländes an. Wild wuchsen Bäume und Sträucher, gefördert von der ehemaligen Bahntätigkeit.
Denn die Züge hatten während der Betriebszeiten unbemerkt Pflanzensamen und Kleintiere aus anderen Regionen und Ländern wie Frankreich und Italien hierher gebracht. Ohne Absicht hatte die Bahn dadurch den Grundstein für die spätere Artenvielfalt gelegt.
Bei einer allgemeinen Bauwut um 1980 wäre das natürliche Erbe beinahe zerstört worden. Das Gelände sollte gerodet und der Betrieb wieder aufgenommen werden. Doch eine Bürgerinitiative wehrte sich mit Erfolg. 1999 wurde das Schöneberger Südgelände schließlich unter dem Status Naturschutz- und Landschaftsschutzgebiet festgeschrieben.
Diesem haben wir heute einen wunderschönen und überraschenden Spaziergang zu verdanken. Neben der Natur, durch die noch immer alte Gleise ziehen, begegnen wir einem Wasserturm, einer alten Dampflok, einer Drehscheibe für Loks und und und.
Daneben ist das Gelände auch der Kunst gewidmet. Neben verschiedener Veranstaltungen kann hier nach Herzenslust mit Farbe gesprüht werden. Während Graffiti in der Stadt eher ein Problem der Häuserbesitzer ist, dürfen sich Sprayer auf Abschnitten des Tälchenwegs austoben. Wir jedoch sind auf der Suche nach einem wärmenden Milchkaffee. Diesen bekommen wir in der zwar kühlen, aber gemütlichen ehemaligen Brückenmeisterei am Wasserturm, die allein für sich schon einen Besuch wert ist.