Der Río San Carlos ist einer der längsten und mächtigsten Flüsse von Costa Rica. Er entsteht durch den Zusammenfluss der beiden Ríos Jabillos und Peje an der Ostseite des Vulkans Arenal. Der Fluss hat eine Länge von 142 Kilometern. Die letzten 60 Kilometer ermöglichen die Schifffahrt. Diese nutzen auch wir für eine Tour bis an die Grenze von Nicaragua. Pünktlich um 8 Uhr steht ein Boot unterhalb unseres Bungalows bereit. Der erste Guide ist auch schon da. Es ist Ruben, der Gärtner unserer Lodge bei Boca Tapada. Lediglich der zweite Guide fehlt noch. Er ist entschuldigt, denn sein Moped hatte eine Panne.
Eine halbe Stunde später als geplant geht die Bootstour dann los. Unser zweiter Guide stellt sich vor. Auch er heißt Ruben, wie einfach. Das können wir uns merken. Schön ist das lange Boot mit viel Platz und Überdachung. Bisher sind wir die einzigen Gäste. Das liegt aber auch daran, dass wir in der ersten Lodge von Boca Tapada übernachten. Dadurch bekommen wir ein sehr viel längeres Flussfahrt-Vergnügen als die Gäste der folgenden Lodges. Und unsere Rubens lassen sich nicht lumpen. Beim ersten Reiher, den sie entdecken, wird bereits gestoppt. Es ist ein Nacktkehlreiher. Da können die nächsten Gäste gerne etwas warten. Bis wir sie einsammeln, sind wir bereits eine halbe Stunde auf dem Río San Carlos unterwegs.
Bootsausflug ab Boca Topada auf dem Río San Carlos bis zur Grenze von Costa Rica nach Nicaragua. Aufnahmen von Hellroten Aras, Klammeraffen und einem Spitzkrokodil am Flussufer.
Wir befinden uns im Maquenque National Wildlife Refuge, einem Naturschutzgebiet mit primärem Tieflandregenwald. Es bildet eines der letzten Rückzugsgebiete des Großen Soldatenaras. Dazu sollen hier bis zu 400 weitere Vogelarten leben. Dieser Landstrich ist daher bei Ornithologen besonders beliebt. Den Lodges ist das hiesige Naturjuwel durchaus bewusst.
Ihr Engagement für den Erhalt der Artenvielfalt ist vorbildlich. Sie fördern Bildung und das Naturbewusstsein der Einheimischen und sorgen mit Jobs für das Wohlergehen der Bevölkerung. Und damit für alle genügend Arbeit da ist, stellt jede Lodge ihre eigenen ein oder zwei Guides. Wir müssen unsere beiden Rubens somit nicht mit der restlichen Gruppe teilen.
Die Guides haben wirklich ein gut geschultes Auge. Sie finden für uns am Ufer mehrere Amazonasfischer. Als ein größeres Tier über den Fluss schwimmt, erkennen sie sofort den Hund. Wir sehen erst beim Vergrößern des Bildes in der Kamera, dass unser vermeintlicher Biber eine Hundeschnauze hat. Die Grünen Leguane in den Bäumen finden wir dann bereits selbst. Sie sitzen gerne weit oben im Geäst. Bei Gefahr lassen sie sich einfach ins Wasser fallen. Ob dies nun weniger gefährlich ist, sei mal dahingestellt.
Ruben erzählt uns von der Familie in unserer Lodge, die tags zuvor eine Kanutour unternommen hatte. Als ungeübte Kanuten sind Vater und Sohn zusammen gekentert. Angesichts dessen, dass im Río San Carlos große Spitzkrokodile durchs trübe Wasser schwimmen, wäre mir ganz schön mulmig. Zum Glück konnten die beider aber fast heile – der Vater mit ein paar Schrammen – zurück ins Kanu steigen.
Die Spitzkrokodile zählen wohl zu den äußerst missverstandenen Tieren. Nur weil sie so viele Zähne haben, sind es keine Bestien. Denn anders als das Leistenkrokodil oder das Nilkrokodil ist diese Gattung nur potenziell gefährlich für Menschen. Sie sind weniger angriffslustig, womit es nur vereinzelt zu tödlichen endenden Begegnungen kommt. Andererseits sollte man das Schicksal nicht unbedingt herausfordern. Ein wirklich schönes Exemplar schwimmt genervt davon, nachdem wir es seiner Meinung nach lange genug begafft haben.
Auch hübsch anzusehen sind die Flussschildkröten, die sich auf den Steinen sonnen. Oder die Sackflügelfledermäuse, welche wir niemals alleine gefunden hätten. Gut getarnt hängen diese in einer Reihe an einem alten Baumstumpf und warten dort auf die Nacht. Leichter zu entdecken sind die Klammeraffen. Allerdings turnen diese weit oben durch die Bäume. Mit all diesen Eindrücken erreichen wir schließlich die Flussmündung des Río San Carlos in den Río San Juan. Es ist der Grenzfluss zwischen Costa Rica und Nicaragua. Hört sich jedoch spektakulärer an, als es ist. Hier machen wir aber Halt in Boca San Carlos, dem letzten Dorf vor Nicaragua.
Groß ist Boca San Carlos wahrlich nicht. Dennoch besitzt es ein relativ großes Schulgelände, welches wie üblich eingezäunt ist. Tatsächlich sehen wir auch richtig viele Schüler. Vorbei an verschiedenartigen Kokospalmen spazieren wir an das Dorfende, bevor wir die Familie von Ruben, dem Hotelgärtner, besuchen. Seine Tante mahlt gerade Kakaobohnen zu einem Schokoladenbrei. Die Mutter kocht sofort Milch für uns auf. Wenige Minuten später sitzen wir beide vor einer heißen Tasse Kakao. Dieser schmeckt anders als zu Hause. Natürlich weniger süß, aber lecker.
Nach der Kakaopause laufen wir ans andere Ende des Dorfes. Dort hat der andere Ruben ein kleines Restaurant eröffnet. Dieses ist allerdings nicht unser Ziel. In den Bäumen dahinter turnen einige Hellrote Aras, die Lapas Rojas, wie sie hier genannt werden. In luftiger Höhe knabbern sie reife Samenkerne. Es ist das erste Mal, dass wir diese großen Vögel im Freien beobachten können. Bei unserer ersten Costa Rica-Reise hatten wir nur einen im Schutzprojekt von Las Pumas im Käfig gesehen.
Bei unserer Rundreise durch Kolumbien sind einmal zwei Paare über uns hinweg geflogen. Die Zahl der Roten Aras hat weltweit dramatisch abgenommen. Costa Rica bildet hier eine Ausnahme. Verschiedene Schutzbemühungen haben hier in den letzten Jahren zu einem Anstieg der Brutpaare geführt. Bisher hatten wir sie dennoch nur in den frühen Morgenstunden krächzen gehört. Nun aber turnen mehrere Hellrote Aras über uns durch die Baumkronen.
Zugleich bringen die Vögel den Zeitplan in Verzug, da wir eigentlich längst wieder auf dem Rückweg sein sollten. Doch die beiden Rubens lassen uns die Zeit zum Beobachten. Auch sie haben ihre Freude an den farbenprächtigen Papageien. Zufrieden fahren wir schließlich den Río San Carlos wieder hinauf. Bei der Maquenque Ecolodge steigen unsere Mitfahrer aus.
Dadurch entgeht ihnen das letzte große Spitzkrokodil, das mit offenem Maul auf einer Kiesbank liegt. Für uns hat sich die Flussfahrt gelohnt. Die angekündigten drei Stunden haben sich zu viereinhalb Stunden ausgedehnt. Wir haben viel gesehen. Zuletzt werden wir noch von einem Leguan begrüßt, der es sich bei unserem Waldbungalow gemütlich gemacht hat.