Feuchtheiße Luft schlägt uns entgegen, als wir in Palmar Norte kurz einen Bankautomaten ansteuern. Sollen wir uns in der nahen Heladería zuerst einen kühlen Fruchtsaft gönnen? Unsere nächste Unterkunft soll sehr schlicht sein. Das verschlafene Städtchen liegt im Zentrum einer großen Bananenanbauregion und ist von dicht bewaldeten Bergen umgeben. Und inmitten einer dieser Plantagen befindet sich unser Ziel. Die meisten Touristen lassen Palmar links liegen. Sie fahren hier hindurch, um von Sierpe aus die Halbinsel De Osa zu erreichen. Somit verpassen sie die präkolumbianischen Steinkugeln, einen jahrtausendealten Schatz, den Arbeiter im Valle de Diqué entdeckten.
Die Munequita Lodge ist die einfachste Unterkunft, die wir auf unserer Rundreise durch Costa Rica kennenlernen. Dadurch sind wir hier der Natur aber auch näher als anderswo. Im Bungalow schauen auch Vögel und Skorpione vorbei, vom Balkon haben wir einen tollen Blick zu den Tieren an einem Wasserlauf.
Manchmal scheint es besser, wenn ich meinen Mann einfach ins kalte Wasser werfe. Heute ist mal wieder solch ein Moment. Geduldig biegt er von der Zufahrtsstraße nach Sierpe links ab auf eine Schotterpiste. Solche Fahrwege sind wir inzwischen gewohnt. Beim Anblick der Holzhütten sowie der freilaufenden Schweine und Ziegen kommt dann doch bald die Frage: »Hier soll ein Hotel sein?« Vielleicht ist der Begriff Hotel etwas hoch gegriffen. Aber ich habe hier eine schöne, wenn auch sehr einfache Unterkunft gefunden.
Zumindest heißt die La Muñequita Lodge ihre Gäste mit einem schön gemalten Bild bei seiner Einfahrt willkommen. So wissen wir, über welchen Feldweg wir zu unserem Ziel schlittern müssen. Unter den Wedeln niedriger Kokospalmen hindurch sind die beiden Fahrspuren nass und glitschig. Egal, als ich drei Feldarbeiter erblicke, steige ich aus und frage, wo wir genau hin sollen? Hayner, unser Gastgeber eilt sofort zur Stelle. Er grüßt mit einem herzlichen »Pura Vida« und delegiert einen seiner Gehilfen ab, uns zum Farmhaus zu lotsen.
Etwas unbeholfen wird Lars von dem Gehilfen zwischen wild gewachsenen Bananen und Papayas in die Parklücke vor dem Holzhaus hinein manövriert. Ungläubig betrachtet er anschließend den Bretterverschlag. Wahrscheinlich leben in Costa Rica viele Menschen, die sich über solch ein Haus freuen würden. Über zwei Stockwerke verteilt biete es reichlich Platz. Es gibt fließend Wasser und sogar Strom. Wände scheinen unterdes völlig überbewertet, Fenster sind obsolet. So haben wir immer frische Luft, während die Vögel problemlos ihr Nest unterm Gebälk erreichen. Das alles hört sich schlimmer an als es ist. Denn genaugenommen ist unsere Holzhütte mit Wellblechdach der Inbegriff von authentisch. Außerdem ist sie schön. Ein richtiges Bauernhaus, in dem wir zwei Tage leben wie die Ticos.
Im oberen Stock befinden sich zwei räumlich voneinander getrennte Schlafzimmer. Die Betten sind ordentlich und sauber bezogen. Handtücher liegen bereit. Was will man mehr? Zu zwei Seiten gehen Balkone hinaus. Beide eröffnen uns die Sicht ins Grüne. Auf einem können wir uns sogar in die Hängematte fläzen. Zwei Hellrote Aras fliegen plötzlich über uns hinweg. Lars taut langsam auf, ein Dankeschön von mir an dieses nette Vogelpaar.
Tier- und Vogelwelt bei Palmar Norte
Für den Anreisetag sind wir bereits genug gefahren. Wir lassen das Auto stehen und wollen uns die Umgebung zu Fuß anschauen. Auf dem Grundstück stehen mehrere Häuser. In einem wohnt die Familie von Heyner. Gegenüber leben seine Mutter und sein Bruder. Außerdem gibt es noch ein kleineres Haus, das ebenfalls vermietet wird. Dazwischen stehen Ställe und die ein oder andere Hütte für Volontäre des Hofs. Die Bauern von Costa Rica besitzen kaum Landmaschinen. All ihre Arbeit ist harte Knochenarbeit, was für die meisten Familien alleine gar nicht zu bewältigen ist. So arbeiten auf dem Hof von Heyner aktuell ein Italiener, ein Amerikaner und ein Pole. Kost und Logis sind frei. Als Lohn für die Arbeit erhält man einen Spanisch-Sprachkurs deluxe. Denn Heyner redet gerne und unentwegt.
Lars' Mine heitert immer mehr auf. Nachdem er verschiedene Vögel und einen Helmbasilisken entdeckt hat, findet er sich mit seinem Schicksal für die nächsten beiden Tage ab. Wir spazieren bis zum abrupten Ende der Zufahrtsstraße. Hier quert ein Fluss das Anwesen. Keiner würde freiwillig durch das trübe Wasser waten wollen. Wir nehmen den nächsten Weg rechts und stehen kurz darauf bei einem Haus. Es vergehen keine zwei Minuten, bis uns zwei junge Hunde begrüßen. Als Nächstes gesellt sich eine Katze dazu. Schließlich lockt das Gebell einen Tico an. Er stellt sich als Bruder von Heyner vor und will uns begleiten. Na prima, Touristen bieten hier wohl allen eine gern angenommene Abwechslung. Nahe seinem Bauernhaus gibt es zumindest eine Brücke Fluss.
Der provisorische Übergang wirkt zu rund einem Viertel vertrauenerweckend. Wir hatten schon entschieden weniger. Jenseits des Flusses entdeckt uns ein Pferd, das fröhlich auf uns zu gerannt kommt. Leider wird es durch einen Zaun gestoppt, sonst hätten wir noch einen Begleiter mehr. So spazieren wir nun als sechsköpfige gemischte Herde durch die Plantage. Die Felder sind abwechselnd mit Ölpalmen, Zuckerrohr oder Bananen bestellt. Die Frage, ob es hier Schlangen gäbe, verneint Heyners Bruder lachend.
Auch Heyner lacht später: »Klar, in diesem Moment hat er wohl gerade keine gesehen!«. Besser, man macht sich keine Gedanken darüber. Denn bald waten wir durch hüfthohes Sumpfgras. Es geht nicht lange, bis die Katze jault. Nein, auch sie hat keine Schlange gesehen. Aber sie kommt in dem hohen Grünzeug nicht nach. Gut, ich trage das kleine Tierchen. Es hat uns eh schon gewundert, wie weit sie bereits mit uns mitgelaufen ist. Zurück an seiner Hütte, verabschieden wir uns von Heyners Bruder. Er ist tatsächlich allein zum Zeitvertreib mit uns mitgelaufen. Gleiches gilt für seine Tiere, die nun zufrieden zum Haus laufen.
Die Muñequita Lodge bietet ihren Gästen auch Abendessen an. Alleine wegen der Abgeschiedenheit nehmen wir gerne an. Den ersten Abend gibt es einen Hühnereintopf, am nächsten Spaghetti. Ganz wichtig sind stets die frischen Avocado, Kochbananen und Süßkartoffeln, mit denen Jenny ihre Gäste verwöhnt. Hungern muss hier niemand. Mit viel »Pura Vida« verbringen wir den Abend beim Familienhaus. Hier treffen wir auch die Gehilfen und Volontäre wieder. Das mag mit daran liegen, dass es nur hier Internetempfang gibt. Erst drei Jahre vor unserer Reise hat die Familie einen Stromanschluss bekommen.
Trotz des elektrischen Lichts sollte man abends immer eine Taschenlampe bei sich tragen. Wie wir von der Rinconcito Lodge wissen, lauern die Schlangen im Dunkeln. Hier sind es außerdem Skorpione und Taranteln. Ein erstes stacheliges Exemplar krabbelt nach dem Abendessen am Türpfosten unseres Badezimmers. Das Licht gefällt dem Skorpion gar nicht und er droht mit seinem Giftstachel. Wir lassen ihn in Ruhe und hoffen, er bleibt im unteren Stock. Umso bedachter stopfen wir unser Luxus-Moskitonetz auch unter die Matratze. Am nächsten Abend finde ich eine Tarantel auf dem Weg zu unserer Hütte. Sie vertilgt gerade irgendetwas Unkenntliches und interessiert sich nicht für uns. Besser ist das.
Die Region um Palmar Norte ist mehr als nur eine Anbauregion. Hier heißt es Augen auf bei der Durchreise. Egal, ob am Fußballplatz in Palmar Norte, am Parque de las Esferas in Palmar Sur oder auf der Strecke nach Sierpe, überall stehen imposante Granitkugeln. Steinkugeln gelten als nationales Symbol und sind Teil des kulturellen Ethos Costa Ricas. Viele davon stammen aus dem präkolumbianischen Schatz des Valle de Diquís. In nahezu perfekt kugelrunder Form reichen sie von wenigen Zentimetern bis zu zwei Metern im Durchmesser. Dazu ist ihre Oberfläche glatt geschliffen.
Jahrhundertelang lagen die Granitkugeln im Boden des dichten Regenwalds verborgen. Erst in den 1930er Jahren stießen Arbeiter auf die Kugeln, als sie den Dschungel für Bananenplantagen rodeten. Inspiriert von den Geschichten der Spanier über das versteckte Gold, zerstörten sie einige der Kugeln mit Dynamit. Irgendwann griffen die Behörden ein. Einige der gesprengten Kugeln wurden wieder zusammengesetzt und im Nationalmuseum von Costa Rica in San José ausgestellt. Eine beträchtliche Anzahl an Diquís-Kugeln holten sich die Ticos als Schmuck für ihre Gärten.
Rundgang über das Museums-Gelände der Finca 6 von Palmar Norte. Die Gegend ist bekannt durch Steinkugel oder auch Granitkugeln, einem präkolumbianischen Schatz im Valle de Diquís.
Wir besuchen das Museum der Finca 6 von Palmar Norte. Es ist eine der wenigen archäologischen Stätten Costa Ricas, die für den Tourismus geöffnet sind. Auf ihrem Gelände wird eine multifunktionale Stätte mit einer Siedlung und einem Friedhof vermutet. Neben der Kugeln sind hier Reste monumentaler Architektur und Skulpturen vorhanden. Einige davon sind im Museum ausgestellt. Draußen sind überwiegend Kugeln hier und dort versteckt oder auch gelagert.
Noch immer arbeiten Bananenbauern auf dem Gelände. So muss es einen nicht wundern, wenn plötzlich ein Kochbananen-Bündel mithilfe einer Seilbahn über das Gelände schwebt. Es gibt nach wie vor eine Packhalle bei der Finca 6. Zudem sollte man hin und wieder auch nach oben schauen. Bei unserem Besuch springt gerade eine Bande an Totenkopfäffchen durch die Bäume. Das lenkt sogar mich vom Filmen der viele Straßen der Blattschneideameisen ab.
Lokomotive 84 im Parque de las Esferas
Vor der Rückfahrt zum Bauernhaus machen wir einen Abstecher zum Parque de las Esferas. Hier zieren jede Menge Kugeln den Park. Auch im Park dienen die Granit-Sphären nur als Dekoration. Es gibt keinerlei Beschreibung darüber. Einzig der alten Lokomotive hat man ein Info-Schild gewidmet. Zwischen 1935 und 1981 transportierte sie Personen und Bananen von Palmar Sur in die benachbarten Gemeinden. Dann wurde sie durch eine Diesellok ersetzt. Im Park selbst geht es ruhig zu. Das ist keine Überraschung. Es ist so heiß, dass auch wir bald zu unserer Muñequita Lodge zurückfahren und den Nachmittag auf der Hängematte verbringen. Von dort aus können wir etliche tropische Vögel beobachten. Zudem erreicht gleichzeitig mit uns die Affenbande den Bauernhof. Für Unterhaltung ist also gesorgt.