Auch in Jarabacoa kommen wir pünktlich zur Mittagszeit an. Gleichzeitig gibt es das erste kleinere Problem. Denn abgesehen von dem (mittelprächtigen) Mittagessen sollten wir auch die Nacht auf der »Rancho« bleiben. Da die Zimmer aber nicht im Voraus, sondern erst am Tag der Ankunft vergeben werden und andere Gruppen schneller als wir waren, hieß das für uns dann Pech gehabt und ausweichen auf ein nahe gelegenes Hotel.
Immerhin kann uns die Rancho ihr volles Freizeitprogramm bieten mit Reitausflug, Rafting, Tubing, Canyoning (und was im Wasser sonst noch alles möglich ist) sowie eine safariähnliche Tour durch die Dörfer beziehungsweise zum nahe gelegenen Wasserfall Jimenoa. Schon vor unserer Ankunft - auch wegen des unsicheren Wetters - hatten wir uns für die Dörfertour entschieden. Als Vorbereitung waren wir unserem Reiseleiter deshalb in einen der Läden gefolgt, um uns - neben zwei Souvenirflaschen Rum - mit den empfohlenen »Mentas« für die Kinder auszurüsten. Da ich von daheim ein paar Dutzend Kugelschreiber mitgebracht habe, frage ich, ob ich die auch verteilen kann. »Kugelschreiber?«, antwortet Hennie, »dafür begehen die hier einen Mord.«
Nach kurzer Verzögerung durch den etwas zu spät kommenden Laster geht es dann endlich los. Schon beim Einsteigen erklärt uns Hennie, dass wir die sechs Dollar pro Person erst nach der Fahrt bezahlen müssen, da er mit dem Fahrer ausgemacht hat, dass es nur Geld gibt, wenn er die Tour nicht wegen des Wetters abbrechen muss.
Schon unterwegs waren uns immer wieder die vielen Motorräder und Mopeds mit bis zu vier Personen aufgefallen. Hennie erklärte uns dabei, dass es sehr viele schwere Unfälle mit Motorradfahrern gebe. Als uns eine junge Frau mit pinkem Top folgte, wussten wir dann auch endlich, warum: sie fahren alle ohne Helm!
Den ersten Zwischenstopp legen wir an einer verlassen wirkenden Villa ein. Diese gehört dem ehemaligen Vizepräsident (oder einem anderem hohen Tier) der Dominikanischen Republik. Da in dem Karibikland die Korruption nicht nur weit um sich greift, sondern - je nach politischer Stimmung - auch rechtliche Konsequenzen auf sich ziehen kann, musste der Eigentümer seine Residenz zu seinem eigenen Leid gegen eine weit engere Behausung eintauschen. Diese allerdings bei Vollpension und auf Staatskosten.
Ob ich das so toll finde, Bonbons zu verteilen, sei mal dahingestellt. Die Kinder in den Dörfern jedenfalls sind ganz scharf darauf. »Den meisten fehlt es an nichts«, verspricht und Hennie. Tatsächlich sehen alle - und vor allem die Mädchen - gut genährt aus.
Je nachdem, wo Hennie den umfunktionierten Laster halten lässt, verhalten sich die Kinder immer wieder ein wenig anders. Mal sind sie schüchtern und trauen sich nur langsam zu uns. Andere wiederum jagen mit ihren Rädern dem Laster hinterher, um auch beim nächsten Halt noch ein paar Mentas zu erhaschen. Wagemutige gar versuchen, auf den fahrenden Lkw aufzuspringen. Dies kann unser Reiseleiter jedoch nicht dulden.
Einen Mord haben wir - zum Glück - zwar nicht beobachtet, reißenden Absatz finden aber auch unsere Kugelschreiber. Diese geben wir ausschließlich an die etwas Älteren. Andernfalls, so Hennie, wären die Stifte kaputt, noch bevor die Ferien zu Ende sind.
Als wir an zwei besonders wilde »Herden« vorbeifahren, wundern wir uns, denn »Mentas« hat jeder von uns mehr als reichlich.
»Nein, die kriegen die nächste Zeit nichts mehr«, erklärt unser Holländer, »die sind zu frech geworden.« Andere wiederum sind für eine Woche gesperrt und nochmals andere müssen an bestimmten Punkten warten, bis wir zu ihnen gehen, und dürfen auf keinen Fall die Straße überqueren, wenn sie Mentas haben wollen. So beinhaltet die Bonbonaktion wenigstens noch eine bisschen Erziehung.
Als ein kurzer Regenschauer einsetzt, halten wir bei einer früheren Kneipe. Da diese nicht mehr betrieben wird, ist hier eine 13jährige mitsamt ihres jüngeren Bruders eingezogen. Ihren Freund sehen wir nicht. Obwohl Hennie sie nicht kennt, gewährt sie uns sofort Unterschlupf und bringt sogar mehrere Plastikstühle auf die überdachte Veranda. Dabei fällt uns ihr dicker Bauch auf. Und ja, das Mädchen ist hochschwanger.
Beschämt stellen Annette und ich fest, dass wir ihr nichts geben können, außer den billigen Mentas. Bonbons sind aber mit Sicherheit das Letzte, was die Kleine braucht.
Abends zumindest erklärt sich Hennie bereit, ihr fünf Kilo Reis von uns auf der nächsten Fahrt mitzubringen und erzählt, dass er solche Einkaufsfahrten gemacht hat, als er noch mit Reisegruppen über die Grenze nach Haiti fahren konnte. »Da darfst Du eigentlich nur nackt zurückfahren, so arm sind die Leute dort.«
Nach ein paar Minuten ist es, zumindest von oben, wieder trocken. Auf der Weiterfahrt zum Wasserfall Jimenao müssen wir immer wieder die Köpfe einziehen. Denn auch wenn der Weg gut befahrbar ist, hängen von der einen Seite dornige Äste in den Weg. Außerdem müssen wir vor einem (Strom?) Kabel in Deckung gehen. Dann aber kommen wir auch schon auf einem größeren freien Platz an und lassen, bis auf der Kamera, alles beim Lkw zurück.
Kaum zu glauben: der schmale Weg zum Wasserfall ist bis zum Treppenabstieg, abgesehen von ein, zwei kleineren Lücken, durchgängig asphaltiert. Neben hohen Ried- und Sauergräsern zeugen unzählige Bromelien von dem feuchten Klima und auf dem Boden entdecken wir einen fingerdicken Tausendfüßler auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen.
Bei der Treppe bleibt Hennie zurück. Er hat den Wasserfall schon zu oft gesehen, als dass er sich die paar Stufen bei jeder Tour antun würde.
Aus 42 Metern Höhe stürzt der Riu de Jimenoa in ein natürliches Becken. In der Trockenzeit ist der Riu Jimenoa ein nur kleines, klares Rinnsal. Nach den Regenfällen der letzten Tage erwartet uns hingegen eine braune, tosende Brühe, die donnernd über die moosbedeckten Felsen hinwegbraust.
Schön anzusehen sind auch hier die vielen Seggen und Riedgräser, die überall zwischen den rund geschliffenen Felsen emporragen. Beim Blick flussabwärts gar fühlen wir uns die Schluchten des heimischen Südschwarzwalds erinnert. Auf das Bad oder gar einen Sprung vom Felsen in das Becken, wie ihn einige Mutige wagen, haben wir jedoch gerne verzichtet.
Wenn schon nicht auf der Rancho, so konnten wir doch zumindest im nahen Hotel Pinar Dorado übernachten. Besonders schick wirkt das kleine Hotel von außen zwar nicht, die Innenräume aber sind alle gemütlich und für eine Nacht völlig ausreichend eingerichtet. Das Bad und die Räume waren sauber und die Betten groß genug, dass wir eines für unsere Klamotten und den Koffer nutzen konnten.
Als kleines Problem stellte sich allerdings unsere Zimmertür heraus, die sich von außen nicht abschließen ließ.
Also sind wir flugs von der dritten Etage zur Rezeption heruntergesprungen, um einen kugelrunden Dominikaner um Hilfe zu fragen. Hätte er Deutsch gekonnt oder wir Spanisch, hätte es vielleicht gereicht, uns zu erklären, dass sich die Tür nur von innen verriegeln lässt und dann einfach zugezogen wird. So aber musste der arme Mann, der schon in der Ebene ins Schwitzen kam, die vielen Stufen nach oben schnaufen, um es uns oben völlig außer Atem zu zeigen. Naja, geschadet wird es ihm nicht haben.
Von unserem Zimmer aus konnten wir zu den Bergen der Umgebung sowie in den Garten mit Pool schauen. Trotz der kühlen Luft trauten sich sogar ein paar unserer Reisegruppe ins Wasser. Da es aber bereits spät am Nachmittag war, nutzten wir die Zeit lieber, um uns bis zum Abendessen ein wenig auszuruhen.
Im Gegensatz zur Rancho bietet das Pinar Dorado verschiedene Menus à la carte an. Die Tische sind dabei groß genug, dass unsere gesamte Reisegruppe an einem Platz hatte. Da das Restaurant, im Gegensatz zum Hauptgebäude mit den Zimmern, offen gehalten ist, muss man allerdings mit Krabbelbesuch rechnen.
So sorgte ein Käfer für helle Aufregung, der auf den Fliesen nach Essbarem suchte und schließlich, zwischen unseren Stühlen herumirrte und schließlich unterm Tisch verschwand. Außerdem zeigte sich kurz ein Nagetier (Ratte) auf einem der Dachbalken. Aber das kannten wir ja schon von unserer ersten Karibikreise.
Sich den Appetit davon verderben lassen, wäre auf jeden Fall übertrieben gewesen und auch wenn wir nicht mehr wissen, was wir alles bestellt haben, hat es uns doch sehr gut geschmeckt.