Wo zur Hölle fahren wir da nur hin? Gerade noch waren wir in Piran, einem Juwel an der Slowenischen Adriaküste. Nun sind wir auf dem Weg nach Triest, umgeben von einer Tristesse hässlich rauchender Schlote der Petrochemie. Graue Autobahnen auf Hochstraßen winden sich zwischen Lagerhallen und Fabrikgebäuden hindurch, die sicherlich schon bessere Zeiten erlebt haben.
Schon als wie die Grenze von Slowenien nach Italien passiert hatten, kam uns ein erster gewaltiger Stau entgegen. Es ist Samstag und bei dem Anblick wundern wir uns nicht mehr, dass viele Italiener aus dieser Stadt lieber in Richtung Süden flüchten. Allein die Autobahn in Richtung Triest hingegen ist wie leergefegt.
Umso erstaunter sind wir bei unserer Ankunft am Hafen von Triest. Obwohl es reichlich Parkplätze gibt, finden nicht eine freie Lücke. Und auch das Parkhaus können wir knicken. Wir reisen mit Dachbox und sind zu hoch. Nach einer Weile nervigem Herumgekurve fragen wir uns, ob sich die Stadt überhaupt lohnt, oder ob wir gleich weiterfahren sollen?
Kurz bevor wir aufgeben, gelangen wir zur Passeggio Sant'Andrea, einem schmalen Waldstreifen entlang der Bahngleise. Die Zufahrt zur Stellfläche ist holprig, dafür aber können wir im Schatten parken. Und das auch noch kostenlos. Bis zum Yachthafen sind es 400 Meter, bis zur Piazza Venezia 800 Meter – also fast schon zentral gelegen. So bekommt Triest nun doch die Chance, sich von seinen schönen Seiten zu präsentieren.
Nach wenigen Minuten erreichen wir den Yachthafen von Triest. Die Segelboote dümpeln in der sengenden Hitze. Im Schatten läuft es sich besser, weshalb wir die Hafenstraße queren und lieber unter den Bäumen, entlang der Häuser spazieren.
Je näher wir dem Turm der alten Fischmarkthalle kommen, desto enger reihen sich die Restaurants aneinander. Die Tische sind üppig und nobel eingedeckt. Offensichtlich rüstet sich die Gastronomie für einen Ansturm. Und das direkt an einer mehrspurigen Straße?
Gegenüber ragt der Turm der alten Fischhalle in die Höhe. In dem Jugendstilgebäude aus dem Jahr 1913 fanden einst die Fischauktionen statt. Durch den Turm wurde damals Meerwasser auf die Fischtresen geleitet.
Heute werden auf die gleiche Art die Becken des Aquariums Marino mit Salzwasser versorgt. Neben dem Aquarium hat man die Fischhalle zu einem Kulturzentrum ausgebaut, einem Ort für Veranstaltungen und Wechselausstellungen.
Bei der Piazza Venezia verlassen wir die Hafenstraße. Auf dem Platz steht ein habsburgisches Denkmal. Es zeigt den Erzherzog Ferdinand Maximilian, Bruder des Kaisers Franz Joseph I. In seiner österreichischen Admiralskluft deutet er zum Schloss Miramare, seinem einstigen Domizil an der Adria. Lange Zeit stand die Statue im Garten des Schlosses, wohin es 1920 verbannt wurde. 2008 durfte es an seinen ursprünglichen Platz zurückkehren. Es stammt vom Bildhauer Johannes Schilling, dessen Werke sich auch in Dresden finden. Die Statue in Triest wurde am 3. April 1875 in Anwesenheit von Kaiser Franz Joseph eingeweiht.
Es galt als Ausdruck der Zuneigung der Bürger zu Maximilian. Auf Betreiben Frankreichs hatte dieser die Kaiserkrone Mexikos angenommen und darauf gehofft, dort seine Träume eines modernen, liberalen Staates verwirklichen zu können. Darin bestärkt wurde der Habsburger durch einen manipulierten Volksentscheid, demzufolge er den Mexikanern willkommen sei. Einem elenden Empfang in Mexiko folgten drei wirre und unglückliche Jahre voller Fehlschläge, Gewalt und Morde, bis er schließlich entmachtet und am 19. Juni 1867 standrechtlich erschossen wurde.
Durch die ruhigen Gassen finden wir als Nächstes zur Piazza Unità d'Italia, dem Herzstück der Stadt. Umgeben von wichtigen repräsentativen Gebäuden, war die Piazza Schauplatz großer historischer Ereignisse. Hierher wurde Thronfolger Franz Ferdinand überführt, nachdem er 1914 Opfer des Attentats von Sarajevo war. Die Tat führte schlussendlich zum Ersten Weltkrieg.
1938 wurden auf dem Platz die italienischen Rassengesetze verkündet, mit denen die Faschisten ihre Vorstellung einer »reinen italienischen Rasse« amtlich machte. Nachdem Triest ab 1945 zunächst Jugoslawien zugeordnet, dann als Freies Territorium Triest eine konstitutionelle Republik bildete, erfolgte 1954 hier die feierliche Wiederangliederung an Italien.
Die Piazza Unità d'Italia ist ein guter Startpunkt für Stadtrundgänge. Die Touristinfo am Platz bietet dafür passende Pläne, sortiert nach Interessen. Und Deutsch verstehen die Mitarbeiter dort ohnehin besser als mein Spanisch. Die Mole Audace gehört zu den beliebten Zielen von Stadtrundgängen. Der Pier an der Piazza Unità d'Italia bietet eine tolle Sicht auf die erste Häuserzeile von Triest.
Über den Seeweg in die Stadt zu gelangen, ist vielleicht die schönere Alternative? Wir könnten ja die Costa Deliziosa fragen, die seit Wochen an der gegenüberliegenden Mole zur Untätigkeit verdammt ist. Vor einem Jahr noch hätte ich beim Anblick von solch einer schwimmenden Bettenburg im Hafen einer Stadt die Augen verdreht. Im Sommer 2020 verspüre ich Mitleid mit dem verwaisten Kreuzfahrtschiff.
Vorbei an der Griechisch-orthodoxen Kirche San Nicolò und dem Palazzo Carciotti, erreichen wir den Canal Grande von Triest. Gut, die 280 Meter des Kanals sind äußerst übersichtlich. Das Grande wirkt somit überzogen. Corto wäre passender, aber wohl weniger geeignet, um Besucher anzulocken.
Ursprünglich war der Kanal auch einiges länger. Mehrere Drehbrücken ermöglichten auch größeren Schiffen die Durchfahrt. Nach und nach hat man den Canal Grande verkürzt. Für große Schiffe gab es keinen Anlass mehr, hier hindurch zu tingeln. Dies wiederum ermöglichte, die Drehbrücken gegen feste Bauwerke zu ersetzen.
Auf einer der Brücken begegnen wir James Joyce, einem Schriftsteller aus Irland. 1904 kam er mit seiner Partnerin Nora nach Triest. Für kurze Zeit lebten sie an der Piazza Ponterosso. In einem seiner Prosagedichte schreibt er über »grünfleckige Zitronen, karfunkelnde Kirschen und schamlose Pfirsiche«, welche das Marktvolk hier unter die Leute brachte. Uns gefällt es am Canal Grande. Die Cocktail Bar Excelsior hat ihre Tische direkt am Kanal. Es ist ein schöner Platz zum Verweilen bei einer Tasse Cappuccino.
Südlich des Canal Grande finden sich einige Einkaufsstraßen für die Modebewussten. Neben luxuriösen Boutiquen haben sich inzwischen auch die üblichen Ketten angesiedelt. Etwas verloren wirkt indes die Statue des Umberto Saba, der zwischen den hohen Häuserfassaden hindurch schlendert.
Der Dichter entstammt einer jüdischen Familie in Triest. Sein Geburtshaus stand jedoch im hiesigen Teil des jüdischen Gettos, welches in den 1930er Jahren abgerissen wurde. Während Straßen und Häuser des Gettos verschwanden, fand ein altes, römisches Theater zurück ans Tageslicht.
Das Römische Theater von Triest geht auf das erste Jahrhundert nach Christus zurück. Damals lag es außerhalb der Stadtmauer, direkt am Meeresufer. Unterhalb des Theaters befanden sich der Hafen mit Molen und dem Kai. Die Arena selbst fasste über 6000 Zuschauer. Bei Regen fanden diese unter Planen Schutz. So konnten sie sich im Trockenen an den Kämpfen der Gladiatoren ergötzen.
Im Mittelalter wurde es unter zahlreichen Häusern begraben. Der über Jahrhunderte fortwährende und bis heute gängige Ortsname Rena vecia, die »alte Arena«, ließ das Bauwerk jedoch nie in Vergessenheit geraten. 1814 ermittelte der Architekt Pietro Nobile den genauen Standort. Freigelegt und restauriert wurde das Theater allerdings erst 1938.
Etwas seltsam wirkt der Zugang zum Burgberg des Kastells San Giusto. Eigentlich könnte man die Treppen zwischen dem Römischen Theater und der Ruine einer alten Kathedrale nutzen. Bequemer geht es mit dem Lift. 2015 wurde die Tiefgarage San Giusto eröffnet.
Ein Korridor führt dort gut 100 Meter in den Berg hinein. Am Ende des Tunnels treffen wir auf einen Aufzug, der uns hinauf zum Kriegerdenkmal von Triest bringt. Der Weg umgekehrt funktioniert nur mit einem gültigen Parkticket.
Auf dem Hügel San Giusto entstand das erste bewohnte Gebiet, aus dem sich später das römische Tergeste entwickelte. Bei Ausgrabungen zur Errichtung eines Bronzedenkmals entdeckten die Archäologen die Überreste der alten römischen Stadt. Wer genau hinschaut, erkennt den einstigen Torbau, das Forum und die dreischiffige Basilika. Um die ursprüngliche Form zu veranschaulichen, hat man die Säulen mit roten Ziegeln rekonstruiert. Was Kritiker heute als Unding bezeichnen würden, entspricht den damaligen archäologischen Gepflogenheiten.
Nach wiederholten Repressalien Venedigs war Triest eine zermürbte Stadt. Um die Selbständigkeit zu bewahren, unterzeichneten die Stadtväter 1382 den Vertrag der freiwilligen Unterwerfung unter Österreich. Fortan stand die Bevölkerung unter dem Schutz eines kaiserlichen Stadthalters, dem Capitano.
Dieser forderte den Bau eines befestigten Hauses auf der Spitze des Hügels. Darin hielt er die Kontrolle über die Stadt Triest. Zwischen 1468 und 1630 wurde das Kastell in mehreren Bauphasen errichtet und erweitert. Ziel der fast 200-jährigen Bauzeit war es, die Festung immer wieder den militärischen Entwicklungen anzupassen.
Im Wandel der Zeit gewann die Burg ein immer mächtigeres Aussehen. Trotzdem blieb sie militärisch von geringer Bedeutung. Sie wurde in lediglich zwei Kriegsaktionen verwickelt. Im Sechsten Koalitionskrieg (1813) verbarrikadierten sich französische bzw. napoleonische Truppen im Inneren der Festung.
Sie leisteten Widerstand gegen die österreichische Wehrmacht. Die Befreiung der Stadt gelang trotzdem. Im April und Mai 1945 waren es dann deutsche Soldaten, die sich in der Burg verschanzten, eh sie sich den alliierten Truppen ergaben.
Hoch über der Stadt thront heute das Kastell San Giusto und bietet eine traumhafte Aussicht auf die roten Dächer und den Golf von Triest. Die mittelalterliche Burg und Festung stellt eines der Wahrzeichen von Triest dar. Von hier aus macht die Stadt gar keinen so schlechten Eindruck mehr wie bei der Hinfahrt.
Nebenan steht die große Kathedrale von San Giusto. Von ihrer Pforte aus führt die Via della Cattedrale, eine mittelalterliche Pflasterstraße, hinab zur Basilika San Silvestro. Im romanischen Stil erbaut, ist sie die älteste Kirche von Triest.
Die Basilika San Silvestro ist umgeben von engen Gassen. Bisher hatten wir die Stadt als ausgesprochen ruhig erlebt. Nun scheint es, als hätten sich all die Triester hier versammelt. Den Anlass dafür liefert ein Handwerkermarkt. In seinem Umfeld sind auch die Restaurants und Cafés richtig gut besucht.
Mittendrin stehen die Reste eines der römischen Stadttore aus dem 1. Jh. n. Chr., der Richardsbogen. An dieser Stelle verlief einst die Triumphgasse. James Joyce liebte diese Gegend. Sie war Anfang des 20. Jahrhunderts voller Tavernen und Treffpunkte.
Mit diesem lebendigen Eindruck schlendern wir zurück zum Hafen und hoffen, dass unser Auto noch da steht, wo wir es zurückgelassen haben. Inzwischen sind die Restaurants an der Hafenstraße ebenfalls gut besucht. Wir werden uns wohl lieber was nettes in Duino suchen. Dennoch hat sich der Besuch der Hafenstadt nach unserem ersten Eindruck wirklich gelohnt.