Da am nächsten Morgen noch Zeit ist, bis die Pilgermesse beginnt, spazieren Annette und ich zum Mercado de Abastos. Er befindet sich ein paar Straßen weiter östlich der Kathedrale auf dem Praza de Abastos, den er mit seinen großen Hallen zwischen der Rúa das Ameas und der Rúa da Virxe da Cerca nahezu komplett ausfüllt.
Laut der offiziellen Seite des Marktes soll die große Auswahl an frischen und hausgemachten Gerichten den Besuchern die fünf Sinne verzaubern. Dabei sollen die Geschichte und Architektur, aber auch die hohe Qualität und Tradition den Markt von Santiago zum zweithäufigst besuchten Ort in Santiago gemacht haben.
Verkäufer und Stände im Mercado de Abastos
Zugleich verspricht die Marktseite, dass man hier, eingerahmt von bauhistorischer Kultur und erlesener Gastronomie, die besten Händler und Handwerker findet; alles Experten auf ihrem Gebiet. Das einzige, was man hier vielleicht vergeblich sucht, ist Bescheidenheit.
Und genauso soll es auch sein. Man stelle sich nur mal einen Hamburger Fischmarkt vor, auf dem die Marktschreier fehlen. Ans Elbufer von Altona würden wohl weit weniger Besucher finden, das Einkaufen nur halb so Spaß machen und der Markt auf Normalgröße schrumpfen.
Also stürzen wir uns in das bunte Treiben des Mercado de Abastos, um uns an den Ständen satt zu sehen. Ist es auf der einen Seite frischer Fisch, der Appetit auf Meer macht, weckt auf der anderen Seite der Queixo Tetilla (spanisch Queso de Tetilla) unsere Aufmerksamkeit.
Queixo Tetilla ist ein galicischer, halbfester Käse aus Kuhmilch, der wie der Schwarzwälder Schinken regional geschützt ist. Der Name bedeutet so viel wie »kleine weibliche Brust«, was die spitz zulaufende Form des Käses treffend beschreibt. Im Deutschen ist er auch als »Busenkäse« bekannt.
Daneben bietet der Mercado de Abastos alles, was die frische Küche begehrt. Ganz gleich, ob frisches Obst oder Gemüse, frisches Fleisch, Schinken oder Gewürze, alles ist zu haben.
Auch die Jakobsmuschel, die uns den Weg nach Santiago de Compostela gewiesen hat, zählt zum Sortiment der Stände und wird auch frisch zubereitet zum sofortigen Verzehr angeboten.
Im Anschluss an die Pilgermesse machen wir einen Abstecher in den Park Alameda. Das weitläufige Parkgelänge wurde der Stadt Santiago vom Grafen von Altamira überlassen und ist heute auch bei den Stadtbewohnern ein beliebtes Naherholungsziel.
Durch die zentrale Lage zwischen der Kathedrale und der Uni, aber auch aufgrund der vielen Wege und Winkel ist hier eigentlich immer was los. So wundert es uns auch nicht, dass bei unserem Besuch ein kleiner Rummel auf den Wegen aufgebaut ist.
Wer auf dem Weg nach Santiago ein paar Pfunde abgenommen hat, kann sie hier mit Zuckerstangen, gebrannten Mandeln oder kandierten Früchten zurückgewinnen. Besonders beliebt sind auch die Garrapiñadas, eine galicische Spezialität aus geschälten Erdnüssen, Zuckersirup und Vanille-Essenz.
Wir verzichten und spazieren lieber eine Runde unter den hundertjährigen Eichen, die an warmen Sommertagen (gibt es die in Galicien?) herrlich Schatten spenden sollen, ganz sicher aber dafür sorgen, dass der Rummel im Park Alameda eher übersichtlich und erträglich bleibt.
Das MV Algalia, unser letztes Hotel der Reise, befindet sich in der Altstadt von Santiago. Wie in Lugo ist auch dieses ein modern eingerichtetes Stadthotel. Im Unterschied zum ersten Hotel sind wegen der engen Bauweise in der Altstadt die Zimmer etwas kleiner.
Dafür allerdings ist das Frühstücksbüfett größer und können wir, neben Schinken, Käse und Marmelade, auch den O-Saft und Kaffee bzw. heiße Schoki nachholen. Dazu stehen ein Korb voll Obst, Joghurt und süße Teilchen bereit.
Das Haupthaus vom MV Algalia ist noch in weiten Teilen in seiner ursprünglichen steinernen Bauart erhalten. So befinden sich im Aufenthaltsbereich noch die alte Kochstelle und ein Schüttstein. Auch der alte Kamin ist, wenn auch zugemauert und umgestaltet, noch gut zu erkennen.
Richtig toll ist die Lage des Hotels. So ist die Kathedrale von Santiago de Compostela nur ein paar Minuten zu Fuß entfernt. Auf dem Weg dorthin gibt es mehrere gute Restaurants. Wer auf das Preisleistungsverhältnis achtet, wird hier mit Sicherheit eine hübsche Möglichkeit zur Einkehr finden. Denn die Restaurants auf dieser Seite der Altstadt sind deutlich günstiger als die in der Hauptachse zwischen dem Park und der Kathedrale. Die Qualität ist wenigstens gleich gut.
Am zweiten Abend in Santiago de Compostela heißt es allmählich, Abschied von Galicien zu nehmen und noch einmal die vielen schönen Erlebnisse während der Wallfahrt in trauter Runde nachhallen zu lassen. Weil es im Bierzo Enxebre so ziemlich alles, aber keine Paella gibt, wählen wir eines der kleineren Lokale in der Innenstadt. Auch dieses besitzt eine große Speisekarte, so dass auch hier jeder etwas finden sollte.
Es sei denn... Ja, nachdem Annette und ich uns zur Feier des Tages für eine richtig tolle Paella entschieden haben, verzichten meine Schwiegermutter und ihre Freundin auf das weitere Studium der spanisch- und englischsprachigen Karte und schließen sich uns spontan an. Bedenkt man, dass eine es in Lugo Annette gleich getan hatte, um später irritiert vor einem Teller Kraken zu sitzen, war dies doch mutig. Oder fahrlässig? Für mich zumindest wie ein Geschenk des Himmels, da bald ein Großteil der Krustentiere auf meinem Teller landete.
Ich denke, es war das letzte Mal, dass meine Schwiegermutter eine Paella mit Meeresfrüchten bestellt hat. Mit dem Vino Tinto de Casa (Rotwein des Hauses) haben Annette und ich dann aber doch eine Wahl getroffen, mit der alle gerne auf den erfolgreichen Abschluss unserer gemeinsamen Pilgerreise angestoßen haben, bevor es am nächsten Morgen zurück in den Südschwarzwald ging.