Bevor wir zu den Tempeln kommen, werden unsere Passbilder eingesammelt. Diese nämlich sind Bestandteil der laminierten Drei-Tages-Karten Angkors. Leider hat nicht jeder unserer Gruppe daheim dran gedacht, genügend Bilder mitzunehmen. Zwar ist es vor Ort (und ohne Aufpreis) möglich, noch schnell in die Kamera zu lächeln. Je nachdem, wie viele Leute vor einem anstehen, führt dies aber zu einer mehr oder weniger langen Verzögerung.
Zum Glück ist noch nicht viel Betrieb, sodass wir nach wenigen Minuten unseren 40 USD teuren »Three-Day Pass« bekommen. Dann endlich geht es los und heißt unser erstes Ziel Angkor Thom. Auf dem Weg dorthin fahren wir an Angkor Wat vorbei, den unser Reiseleiter Ry jedoch zunächst links liegen lässt, da das Licht bei Angkor Wat am Nachmittag in der Regel schöner ist als morgens.
Zwischen 54 Göttern auf der linken und 54 Dämonen auf der rechten Seite kommen wir über eine Brücke zum Südtor Angkor Thoms. In dem 50 Meter breiten Wassergraben sollen sich damals Krokodile getummelt haben. Ein wahrlich unfreundlicher Empfang, den König Jayavarman VII. seinen Gästen beim Betreten von Angkor Thom, sprich: »Die große Hauptstadt«, bereitete.
Während seiner Blütezeit Ende des 12. bzw. Anfang des 13. Jahrhunderts lebten in Angkor Thom mehr Menschen als in jeder europäischen Stadt. Während die Tempel, Tore, Türme und Brücken aus massiven Stein errichtet wurden und die Zeit bis heute überdauern konnten, sind von den aus Holz, Lehm und Stroh errichteten Wohnhäuser jedoch keine Spuren mehr zu finden.
Etwas störend finden wir die vielen Autos, die sich durch das Tor hindurch drängeln, sobald sich irgendwo zwischen den Fußgänger eine Lücke auftut. Genauso schenken wir dem Angebot, Angkor Thom auf dem Rücken eines Elefanten zu erleben, nur wenig Beachtung.
Schon besser gefällt uns der Blick zurück zum Südtor. Dieses geht, wie auch die anderen Tore in Angkor Thom, nach oben in einen 23 Meter hohen Turm über. Während oben vier große Gesichter in alle Himmelsrichtungen schauen, sind - etwas schlechter zu erkennen - Elefanten am unteren Ende des Turms damit beschäftigt, Lotusblüten zu pflücken.
Sei es ihnen gegönnt. Wir jedenfalls bedauern schon bald, dass Ry uns nichts davon erzählt hat, dass wir die nächste Zeit mit einem anderen Bus unterwegs sind. So nämlich haben wir ein paar Sachen, wie Ersatzakku und zweite Speicherkarte für die Kamera, im großen Bus zurückgelassen. Nicht, dass ich eines von beiden hätte austauschen müssen, aber es beruhigt doch sehr die Nerven...
Im Zentrum von Angkor Thom befindet sich der Bayon, der etwa 100 Jahre nach Angkor Wat errichtet wurde und den Jayavarman VII. Ende des 12. Jahrhunderts zu einem buddhistischen Heiligtum umbauen ließ. Der Grundriss des Tempels ist denkbar einfach. Denn der Bayon besteht lediglich aus drei Ebenen, von denen die zwei unteren von quadratischen und mit Reliefs reich geschmückten Galerien umgeben sind.
Dennoch besteht die Gefahr, sich in der verwinkelten Anlage zu verlaufen und so bittet Ry darum, dass sich niemand von der Gruppe entfernt.
Kaum haben wir uns ein wenig umgesehen, die ersten Bilder und Filmaufnahmen gemacht, ist es auch schon passiert: wir sind alleine! Nun gut, das ist ja kein Grund zur Panik. Schließlich sind wir es gewohnt, etwas hinterher zu hängen, sobald sich nur genügend Motive vor der Kamera zeigen. So also beschließen wir - nach ein paar abschließenden Außenaufnahmen - weiter ins Innere des Tempels zu gehen.
Die anderen Teilnehmer unserer Gruppe sind hier zwar auch schon nicht mehr, aber dafür bieten sich erneut einige Winkel, steinerne Gesichter oder auch einfach nur ein paar aus Sandstein gehauene barbusige Schönheiten.
Zur Rechten gelangen wir ein etwas dunkleren Gang, der nach wenigen Metern in einen noch düsteren Gang führt. Sofort ist auch jemand da, um uns mit einer Taschenlampe auszuhelfen. Doch nein, Danke, wir sehen hier drinnen noch genug. Das einzige, was auch hier fehlt, ist wenigstens ein bekanntes Gesicht unserer Gruppe, und so wird uns nun doch ein wenig mulmig.
Weiter geht es nach oben auf die dritte Ebene. Auch wenn wir wirklich gerne wenigstens ein, zwei Leute aus unserem Bus getroffen hätten, lassen wir es uns doch nicht nehmen, das Heiligtum im Zentrum der dritten Ebene zu bewundern. Denn hier stehen die Türme (54 an der Zahl) mit den berühmten Gesichtern, die in vier Richtungen schauen.
Es sind die architektonisch am auffallendsten Merkmale des Tempels. Die meterhohen lächelnden Gesichter sollen die des Bodhisattva Lokeshvara (auch Avalokiteshvara) darstellen. Unterscheiden tut sich jedoch der mittlere Turm. Dieser war zur Zeit Jayavarmans VII. vermutlich vergoldet und besitzt auch heute noch acht Gesichter.
Heute befindet sich unter der Kuppel dieses Turms eine sitzende Buddhafigur, der die Gläubigen und Touristen Räucherstäbchen opfern. Letztere übrigens nicht immer freiwillig. Denn wenn man sich in den düsteren Irrgarten unter der Kuppel wagt, kann es schnell passieren, dass einem ein Priester ein paar brennende Räucherstäbchen ungefragt in die Hand drückt.
Als Gegenleistung erwartet er anschließend eine kleine Spende.
Nimmt man die Räucherstäbchen ungewollt und steckt sie zu den anderen, ohne etwas zu geben, ist das aber auch nicht weiter schlimm. Dann wartet der Priester einfach, bis niemand zu sehen ist, und zieht die Stäbchen wieder raus, um sie dem nächsten Tourist anzudrehen.
Nachdem wir auch ganz oben in der Anlage niemand finden, beschließen wir, einfach wieder, den Bayon-Tempel auf der Seite zu verlassen, auf der wir zuvor reingekommen sind. Irgendwie wird uns Ry dann schon finden. Um so überraschender sollte der Empfang werden. Denn während wir uns bereits den ganzen Tempel einmal angesehen haben, finden wir unsere Gruppe ganz in der Nähe des Eingangs vor einem der Reliefs - und mittendrin Ry,
der offenbar mit einer großen Ausdauer erklärt, wo er Elefanten, Khmer oder Cham (ein mit den alten Khmer verfeindetes Volk) sieht. Dass sich hier zwei Jäger mit Pfeil und Bogen befinden und etwas weiter oben ein Vogel... Aber was sagte eine Frau aus München, als wir wieder in den Schoß der Gruppe zurückkehrten? »Ja, das haben wir schon gesehen, dass ihr nach oben gegangen seid. Aber wir haben gedacht: die zwei finden sich schon zurecht.«
Wer heute zum Tempelberg Phimeanakas kommt, wird in dem Sandstein kaum mehr als eine halb verfallene Ruine sehen. Die Elefanten, welche einst die Ecken der Terrassen zierten, sind enthauptet, wenn nicht ganz verschwunden, die Löwen auf beiden Seiten der Treppe in einem jämmerlichen Zustand. Und doch bedeutet der Name Phimeanakas »himmlischer Palast«, der einst so reich geschmückt war, dass »Chou Ta-Kuan«, ein Chinese, im 13. Jahrhundert erfürchtig über die Anlage berichten ließ:
»Aus dem Palast erhebt sich ein goldener Turm, zu dem der König jede Nacht emporsteigt, um zu schlafen. Die Menschen glauben, dass in dem Turm ein Geist in Form einer neunköpfigen Schlange lebt, der der heimliche Herrscher des gesamten Königreichs ist.
Jede Nacht erscheint er den Menschen in Gestalt einer Frau. Im Fall, dass er auch nur eine Nacht nicht auftauchen sollte, bedeutet dies den baldigen Tod des Königs.«