»Dies ist ein wunderschöner Ort zum Verweilen und um die Aussicht zu genießen. Aber wohnen werden Sie hier nicht wollen.« Das Schild beim Bow Summit hält, was es verspricht. Denn als wir den rund 2100 Meter hohen Aussichtspunkt am Icefields Parkway erreichen, schlägt uns nasskalte Luft ins Gesicht. Noch zwei Wochen zuvor herrschten bei unserer Ankunft in Vancouver 32° Celsius. Jetzt schneit es. Wir schreiben den ersten September und es schneit! Für den Bow Summit ist dies jedoch alles andere als ungewöhnlich. Denn in neun Monaten im Jahr liegt auf der Passhöhe zwischen dem Jasper und Banff-Nationalpark Schnee. Und auch in den Sommermonaten kommt es häufig zu Kälteeinbrüchen. Letzteres können wir nun leider bestätigen. Denn durch den unerwarteten Schneefall hängen in den Bergen ringsherum dichte Wolken. Die Sicht hinab auf den herrlich in die Landschaft eingebetteten Peyto Lake ist entsprechend eingeschränkt.
Umso erfreuter sind wir, als wir ein Streifenhörnchen entdecken, das emsig nach Essbarem sucht. Immer wieder huscht es über den Boden von einer Kiefer zur nächsten, um an die Zapfen der tief herabhängenden Zweige zu gelangen. Abwechselnd knabbert es an ihnen oder buddelt sie ein. Der nächste Frost kommt bestimmt. Unsere Anwesenheit scheint es nicht zu stören. Wie die ebenfalls hier oben lebenden Rothörnchen ist es Besucher längst gewohnt. Die andernorts oft zu sehenden Pitas und Murmeltiere bleiben hingegen im Verborgenen. Für ihren Geschmack ist das Wetter offenkundig zu kalt und schmuddelig, um auf Nahrungssuche zu gehen.
Wie die Tiere haben sich auch einige Pflanzenarten an das raue Leben am Bow Summit gewöhnt. So hat sich auf der Passhöhe ein Schneewald gebildet. Die Sträucher und Bäume wachsen nur sehr langsam während der wenigen warmen Monate. Danach harren sie wieder lange Zeit aus. Ihr Alter ist damit für uns schwer einzuschätzen. Darunter haben sich einige Kräuter etabliert. In wenigen Wochen gelingt es ihnen, zu voller Größe heranzuwachsen, zu blühen und den Samen fürs nächste Jahr zu bilden. Die Zeit reicht nicht immer. So sehen wir einige gelb blühende Pflanzen, die vom frühen Schnee bedeckt werden. Vielleicht klappt es nächstes Jahr wieder.
An sich ist es schade, dass wir kein besseres Wetter erwischen. Immerhin zählt der Peyto Lake dank seiner auffallenden türkisen Färbung zu den am häufigsten abgebildeten Bergseen der Kanadischen Rocky Mountains. Durch seine Lage auf über 1880 Meter über den Meer wird er hauptsächlich durch Gletscher gespeist. Darunter befindet sich der ebenfalls nach dem Trapper Bill Peyto benannte Peyto-Gletscher. Mit dem Schmelzwasser gelangen als Gletschermilch oder Steinmehl bekannte Gesteinspartikel in den See, welche die Wasserfärbung hervorrufen. Selbst bei unwirtlichen Bedingungen ist die Färbung von der Höhe aus zu erkennen. Um sich für einen Bildband zu qualifizieren, braucht es allerdings richtiges Sonnenlicht. Wir flüchten uns zurück ins Auto und fahren weiter.
Nach unserem Aufenthalt hat die Parkverwaltung vom Banff Nationalparkt im Jahr 2021 einige Arbeiten oberhalb vom Peyto Lake durchgeführt. Ziel waren Verbesserungen sowohl am Parkplatz und den Waschräumen als auch auf den Wegen und der ikonischen Aussichtsplattform. Am 9. Oktober 2021 wurden die Arbeiten abgeschlossen und die während der Bauarbeiten notwendigen Sperrungen wieder aufgehoben.