Sowie wir auf der Fahrt zum Jasper Nationalpark die Grenze zwischen British Columbia und Alberta überqueren, verlieren wir eine Stunde. Denn hier gilt nicht mehr die Pazifische Standardzeit, sondern die Mountain Standardzeit. Leider verlieren wir wenige Meter weiter außerdem rund 100 kanadische Dollar. Grund ist eine andere Handhabung bei den Gebühren für die Nationalparks. Bei British Columbia mussten wir nur dann etwas bezahlen, wenn wir auch einen Ausflug im Park unternommen hatten. In Alberta werden wir bereits für die Anfahrt zum Hotel im Nationalpark zur Kasse gebeten. Dass wir dort erst gegen Abend ankommen werden, ist unerheblich.
Aufnahmen von einer großen Herde Wapitis inklusive einem großen Leithirsch im Jasper Nationalpark.
Für die Provinz Alberta hat diese Art der Maut durchaus seine Vorteile. So kann die Verwaltung mit geringem Aufwand sichergehen, dass fast alle Parkbesucher zahlen. Zudem nehmen sie einiges mehr ein. Denn neben den Tagen zur An- und Abreise werden auch die Schlechtwettertage abgerechnet. Ob es möglich ist, im Nationalpark etwas zu unternehmen oder nicht, ist somit unerheblich.
Sehen wir es positiv: kaum haben wir Alberta erreicht, müssen wir uns nicht weiter um Tickets kümmern. Denn mit den Tagen im Jasper Nationalpark werden auch die Tage im Banff Nationalpark abgerechnet. Andererseits steigen unsere Erwartungen an Jasper und Banff damit gewaltig. Bisher hatten wir nur darauf gehofft, Tiere in freier Laufbahn zu sehen. Jetzt rechnen wir bei unseren Wanderungen fest damit.
Was sollen wir sagen? Tatsächlich entdecken wir schon am ersten Abend im Jasper Nationalpark eine Herde Wapitis. Bei ihrer Wanderung durch den Park begegnen wir ihnen direkt am Highway 16. Erst sind drei, vier Tiere zu sehen. Als wir - wie etliche andere Parkbesucher auch - aussteigen, kommen dann immer mehr aus einem nahen Wald spaziert. Es sind einige Jungtiere dabei, was heißt: Obacht und Abstand halten. Denn die Mütter der Herde sehen es gar nicht gerne, wenn Menschen ihrem Nachwuchs zu nahe kommen. Zu nahe bedeutet übrigens weniger als 30 Meter. Dem zum Trotz halten einige Schaulustige weniger als fünf Meter Abstand zu den Weibchen.
Spätestens dann, wenn die ersten Tiere den Highway überqueren, sollte man gut darauf achten, dass die nachfolgenden Wapitis freien Weg haben. Doch während Annette und ich das Schauspiel von der Seite aus betrachten, stellen andere die Lücke zu. Das geht solange gut, bis ein mächtiger Wapiti-Hirsch die Bühne betritt. Nach ein paar majestätisch wirkenden, langsamen Schritten macht er plötzlich einen schnellen. Im nächsten Augenblick flüchten die Menschen beiseite. Schwuppdiwupp hat die Herde freie Bahn.
Nahezu zeitgleich rückt die Park Patrol an. Sie weiß natürlich, wo in etwa sich die Herde aufhält und macht nun von der anderen Seite auf die Gefahr aufmerksam. Wiederholt rufen die Ranger, dass alle zu ihren Autos zurückkehren und Abstand halten sollen. Welch ein Erlebnis! Und welch eine Wendung. Dabei ist es bereits unser zweites Abenteuer bei Jasper. Denn nach der Ankunft im Becker’s Chalets haben wir schon vor dieser Szene einen überraschend schönen Spaziergang am See Annette erlebt.
Erst später erfahren wir, dass Begegnungen mit den Wapiti alles andere als selten sind. Die Tiere haben ihre Scheu vor den Menschen weitgehend abgelegt. Warum auch? Solange sie sich im Nationalpark aufhalten, droht ihnen durch den Mensch keine Gefahr. Auf der anderen Seite haben die Hirsche die Vorgärten der Bewohner der Ortschaft Jasper für sich entdeckt, wo sie die Blumenrabatten plündern. Ein solches Verhalten kennen wir aber von uns daheim, wo sich Rehe über reich blühende Rosengärten freuen.
Wer eines der Chalets im Becker’s Chalets bucht, wünscht sich natürlich eine Hütte mit Blick auf den benachbarten La Biche River. Leider aber gibt es davon nur sehr wenige. Tatsächlich müssen die allermeisten Gäste mit einer Hütte direkt am Highway 93, dem Icefields Parkway vorlieb nehmen. An sich sind die Chalets recht schön anzusehen. Verglichen mit der Hütte, die wir bei der Hidden Cove Lodge bekommen haben, sind sie allerdings deutlich kleiner
Insbesondere gilt dies für das winzige Bad. Hier kommen zwei Erwachsene Menschen nicht aneinander vorbei. Etwas mehr Platz bieten hier die Chalets am Fluss. Diese sind dann aber auch gut ein Viertel teurer. Ob sich dies lohnt, wenn man den ganzen Tag über im Nationalpark unterwegs ist, muss wohl jeder für sich entscheiden. Eine Übersicht über die einzelnen Hütten und Preise finden Sie auf der Seite des Resorts.
Springende Lachse bei den Rearguard Falls und Eindrücke von den Becker's Chalets in Jasper inklusive Preisschock.
Nachdem wir schon vom Frühstück in der Wells Gray Guest Ranch enttäuscht waren, sparen wir uns dieses bei den Becker's Chalets komplett. Ein Grund ist, dass es nochmals 40 Prozent teurer als bei der Ranch ist. Stattdessen decken wir uns mit ein paar wenigen Lebensmitteln in Jasper ein. Käse, Schinken und Salami sind in Jaspers einzigem Supermarkt zwar dreimal so teuer wie bei uns daheim. Nach nur einem Frühstück aber hat man die Kosten aber schon wieder drin. Dennoch bedauern wir, bei unserem letzten Stopp auf Vancouver Island nicht deutlich mehr Proviant gekauft zu haben.
Ebenfalls bei Wells Gray hatten wir von anderen Urlaubern gehört, dass ihnen bei der Abreise neben dem ohnehin teuren Chalet noch weitere, ihnen unbekannte Positionen berechnet wurden. Möglicherweise steckten dahinter einfache Fehler. Da solche Fehler aber in aller Regel zu Lasten der Gäste passieren, sind wir vorsichtig. So verzichten wir darauf, im angeschlossenen Gourmet-Restaurant zu essen. Als Alternative dazu holen wir im Ort zwei halbe Hähnchen und freuen uns über einen gemütlichen Abend in unserer kleinen Hütte. Immerhin ist diese mit einer Küchenzeile inklusive Mini-Kühlschrank, Mikrowelle und Kaffeemaschine ausgestattet.
Schade finden wir, dass es im Hauptgebäude außer dem Restaurant keine weiteren einladend wirkenden Räume gibt. Anders als in der Middle Beach Lodge oder der Hidden Cove Lodge fehlen damit Möglichkeiten, um mit anderen Gästen ins Gespräch zu kommen. So bleibt uns nur, ab und zu an den Fluss zu spazieren und den Blick über die Landschaft zum benachbarten Berg Kerkeslin schweifen zu lassen. Zuletzt erfreuen wir uns an einigen Kanada-Gänsen, die auf dem weitläufigen Gelände leben und zwischen den Hütten spazieren.
Als wir bei der Vorbereitung unserer Kanada-Reise den Lake Annette entdeckten, war klar: dort müssen wir unbedingt hin. Doch auch für alle anderen lohnt ein Spaziergang um den kleinen See zwischen Jasper und dem Maligne Canyon. Der als Rundgang angelegte Clifford E. Lee Trail ist zweieinhalb Kilometer lang. Dabei bietet er malerische Aussichten über den See zum Mount Hawk, Mount Colin, Roche Bonhonme, Grisette Mountain, Mount Dromore und Pyramid Mountain. Zudem ist der Lake Annette einer der wenigen Badeseen in den kanadischen Rocky Mountains.
Ob sich der nach Annette benannte See wirklich zum Baden eignet, können wir nicht sagen. Für ein paar Eistaucher, die gemütlich von uns wegpaddeln, aber ist das Wasser warm genug. Ganz andere Sorgen treibt da ein Rothörnchen, das rechts von uns über den Waldboden huscht. Wie alle Nagetiere ist es fleißig am Futter für den bevorstehenden Winter sammeln. Dass wir Ende August in Jasper sind, ist ihm eins. Zwar standen wir nur eine Woche zuvor bei Whistler im T-Shirt auf dem Blackcomb Peak. Doch bereits jetzt ziehen die ersten Schneewolken über den Gipfeln der umliegenden Bergketten auf.
Nach ungefähr der halben Strecke passieren wir einen Engpass zwischen dem Lake Annette und dem kleinen Ochre Lake. Ein Schild warnt uns vor Treibsand. Ein Schild? Nein, es sind gleich etliche Schilder. Allesamt sind sie um den Tümpel herum verteilt und warnen eindringlich davor, die Wege zu verlassen beziehungsweise in die Verlandungszone zu laufen. Wie der Lake Annette und der nahe Edith Lake war auch der Ochre Lake einst Teil eines großen tropischen Sees. Während der Urzeit bedeckte dieser die gesamte Ebene rund um den Ort Jasper.
Wenige Schritte weiter haben wir den Treibsand und die Geschichte des tropischen Sees bereits wieder vergessen. Stattdessen zieht nun ein Kojote unsere Aufmerksamkeit auf uns. Abend sind nur selten Menschen am Lake Annette unterwegs. Der nordamerikanische Präriewolf oder auch Steppenwolf nutzt die Dämmerung, um die Rastplätze nach Futter abzusuchen. Unsere Gegenwart ist ihm zuwider. Doch auch der Kojote ist alles andere als beliebt. So schimpft ein Rothörnchen unentwegt, um seine Artgenossen vor dem geschickten Jäger zu warnen.
Aufnahmen vom Lake Annette, einem der wärmsten Seen bei Jasper.
Vom Yellow-Head-Highway (16) nördlich von Jasper auf die Maligne Road abbiegen, dann der Beschilderung über die Old Lodge Road und Lake Annette Road zum Annette Lake folgen.
Ausgangspunkt | Lake Annette Road |
Koordinaten | N 52.90480, W 118.05120 |
Gehzeit | 45-50 Minuten |
Distanz | 2,5 km |
An-/Abstiege | unbedeutend |
Anfordungen | Der Uferweg um den See ist ebenerdig und breit genug, dass man zu zweit nebeneinander laufen kann. |
Einkehr | Am Lake Annette gibt es keine Gastronomie. Es laden aber mehrere Bänke zum Verweilen und Mitgebrachtes genießen ein. |
Beschilderung | Ab dem Parkplatz einfach immer dem Seerundweg um den Lake Annette folgen. |
GPS-Daten | Wanderung Annette Lake gpx |
kml-Daten | Wanderung Annette Lake kml |
Ebenfalls für einen Abendspaziergang eignet sich der Lake Beauvert. Für die vier Kilometer lange Runde um den See braucht man gut eine Stunde. Wie der Lake Annette und der Edith Lake befindet sich der Lake Beauvert östlich vom La Biche River nahe der Fairmont Jasper Park Lodge. Im Gegensatz zu den ersten beiden Seen liegt er jedoch deutlich näher am Highway 16. Als Folge ist der Verkehr selbst auf der Ostseite des Gletschersees gut zu hören, was den Erholungswert entsprechend trübt.
Offenbar sind andere in Sachen Lärm weniger empfindlich als wir. Denn direkt am Lake Beauvert nimmt der Jasper Park Lodge Golf Course eine größere Fläche für seine 18 Bahnen in Anspruch. Der Platz wurde 1925 nach den Plänen von Stanley Thompson angelegt und gilt als einer der zehn schönsten in Kanada. Bevor der erste Golfball geschlagen werden konnte, waren jedoch erst einmal 200 Männer ein Jahr lang damit beschäftigt, die Bäume auf dem Areal abzuholzen.
Leider erschwert der Golfplatz das Spazierengehen. Denn eines der Wanderzeichen ist so ungeschickt angebracht, dass es einen auf die Anlage leitet. Während sich einerseits die Spieler gestört fühlen, laufen andererseits Spaziergänger Gefahr, einen Ball an den Schädel zu bekommen. Zu unserem Glück begegnen uns zwei Frauen, die erklären, dass wir besser zunächst ein Stück weit entlang der Straße laufen. Wem dies nichts ausmacht, kann am anderen Ende der Gefahrenzone wieder an den Lake Beauvert zurückkehren und dort die Runde mit Sicht auf die umliegenden Berge zu Ende spazieren. An sonnigen Sommertagen ist es außerdem möglich, mit einem Tretboot, Kanu oder auch einem Stand Up Paddle Board über das smaragdgrüne Wasser zu fahren. Die Boote werden beim dann geöffneten Bootshaus verliehen. Die Preise sind allerdings gehoben.
Pyramid Island stand eigentlich nicht auf unserem Programm. Stattdessen wollten wir hoch zum Gletscher vom Mount Edith Cavell fahren. Nachdem wir am zweiten Tag in Jasper eine Wanderung durch den Maligne Canyon und zum Moose Lake unternommen hatten, schlägt das Wetter nachts um. Als Folge begrüßt uns der dritte Tag in Jasper mit Schnee in den Bergen. Das allein hätte uns wohl nicht schrecken können.
Zu unserem Unglück ist jedoch die Zufahrt zum Mount Edith Cavell gesperrt. Ob es tatsächlich nicht mehr möglich ist, hoch zum Gletscher zu fahren, oder es sich um eine Vorsichtsmaßnahme handelt, wissen wir nicht. Sich über Sperrungen im Nationalpark hinwegzusetzen, kommt für uns aber auch nicht infrage. Angesichts drohender drakonischer Geldstrafen würden wir auch niemandem dazu raten.
Die spannende Frage des Tages lautete damit: was nun? Den Vormittag können wir noch mit einer Wanderung durch das Tal der Fünf Seen vernünftig rumbringen. Dann aber setzen immer wieder ergiebige Regenschauer ein, die jedwede längere Wanderung in ihrer Qualität verwässern würden. Leicht frustriert studieren wir damit eine Weile die örtlichen Karten über Jasper und die nähere Umgebung, bis wir schließlich bei Pyramid Island hängenbleiben.
Um es gleich vorwegzunehmen: wer eine Herausforderung in der Wildnis des Nationalparks sucht, hat auf der kleinen Insel nichts verloren. So erklärt die Parkverwaltung stolz, dass Pyramid Island auch für Rollstuhlfahrer erreichbar ist. Alle anderen Besucher trennt ein gemütlicher Spaziergang vom Festland über die Holzbrücke bis auf die Insel. Das ist dann auch der Grund, warum Pyramid Island so beliebt bei den Menschen ist. Um nicht zu sagen, zu beliebt. So wurde hier die Vegetation in den letzten Jahrzehnten durch unzählige Familien beim Picknicken stark in Mitleidenschaft gezogen. Es entstanden Trampelpfade, die wiederum die Bodenerosion beschleunigten. Oder, wie es die Kanadier sagen: »Die Insel wurde zu Tode geliebt.«
Um die Schäden zu beheben und zukünftige Auswirkungen in den Griff zu bekommen, gründete man 1998 eine Kooperation. Erklärtes Ziel war damals, die Insel von Grund auf zu restaurieren. Über 600 Freiwillige halfen mit, die alte Brücke auszubessern und Bodenschichten neu aufzubauen. Sie pflanzten 1400 heimische Bäume und Wildblumen an. Außerdem legten sie einen Rundweg auf der Insel an.
Die Anstrengung aller Beteiligten hat sich gelohnt. So ist Pyramid Island auch heute wieder ein idyllisches Ausflugsziel für Familien und Urlauber. Zudem wird die malerische Kulisse gerne für Hochzeitsbilder genutzt. Was uns betrifft, ist die Insel ein versöhnlicher Abschluss eines leider verregneten Tags im Jasper Nationalpark.