Nach dem gemeinsamen Abstecher auf den Big Beehive folgen wir der Beschilderung von der Passhöhe zunächst wieder hinunter zum Lake Louise. In Ufernähe biegen wir rechts auf den Verbindungsweg zur Plain of Six Glaciers ab. Damit geht es in einem Zickzackkurs durch den Wald in das vom Gletscher geformte Trogtal. Nach etwa 1,3 Kilometern ab dem Big Beehive sowie rund 230 Meter unterhalb der Passhöhe zum Lake Agnes wechseln wir rechts auf den Trail der Sechs Gletscher. Wer aus der Tagestour aussteigen möchte, kann alternativ links abbiegen. Er kommt dann wahlweise über den Mirrow Lake oder direkt über den Seeweg am Lake Louise zum Ausgangspunkt zurück zum Fairmont Chateau.
Eindrücke vom Lake Louis und einer langen Wanderung über Lake Agnes und den Big Beehive bis zum Plain of Six Glaciers, einem Gletscherkessel, in den sechs Gletscher einmünden.
Auf dem nächsten Abschnitt kreuzt der Wanderweg mehrere Erosionsrinnen, Lawinenbahnen und Geröllzungen. Diese waldfreien Zonen eröffnen uns immer wieder herrliche Ausblicke über das Tal zum Mount Fairview. Der Name geht auf Walter Wilcox zurück, der damit im Jahr 1894 die schöne Aussicht vom 2744 Meter hohen Berg beschreiben wollte. Ein zweiter, allerdings nur selten gebräuchlicher Name, ist Goat Mountain, also Ziegenberg. Südlich vom Mount Fairvie schließt sich die Bergkette mit dem Haddo Peak und dem 3152 Meter hohen Mount Aberdeen samt dem darunter liegenden Aberdeen Gletscher an.
Schauen wir direkt nach Süden, wird das Bild auf diesem, nun wieder ansteigenden Abschnitt vom 3423 Meter hohen Mont Lefroy (auch Mount Lefroy) bestimmt. Alle diese Gipfel liegen für uns außer Reichweite. Selbst wenn wir die nötige Ausrüstung hätten und das Wetter mitspielen würde, so fehlt uns immer noch die nötige Zeit. Dennoch gibt es uns ein tolles Gefühl, ihnen mit jedem Schritt ein Stückchen näher zu kommen.
Vier Stunden nach unserem Aufbruch am Chateau erreichen wir das Plain of Six Glaciers Teahouse. Die zweigeschossige Hütte kommt wie gerufen für eine längere Pause. So sehen das auch die anderen Wanderer um uns herum. Allesamt steuern sie auf das Teehaus. Entsprechend eng geht es sowohl in dem kleinen Gebäude als auch auf der Terrasse davor zu. Anders als beim Lake Agnes haben wir Glück. So finden wir ohne groß zu warten zwei freie, sonnige Plätze auf der oberen Veranda. Wenige Augenblicke später werden wir bedient.
Nett finden wir ein Schild, dass uns dazu beglückwünscht, eine Höhe von 2100 Meter erreicht zu haben. Außerdem sollen wir 5,5 Kilometer ab dem Lake Louise gewandert sein. Nun gut, der Text richtet sich nicht an die Wanderer, die den Umweg über den Lake Agnes und den Big Beehive genommen haben. Immerhin aber verät uns der Aushang, dass der spätere Rückweg gut zu machen ist. Was wir leider früher hätten wissen sollen: bei den zwei Teehäusern kann man sich je einen halben Stempel abholen. Diese zeichnen einen als erfahrenen und engagierten Bergsteiger aus. Allein das macht sie zu einem Souvenir. Aber allein deswegen nochmals zurück an den Lake Agnes laufen? Nein, da verzichten wir lieber auf die Auszeichnung.
Die Hütte selbst ähnelt in ihrer Bauweise denen, welche wir von unseren Wanderungen in den Schweizer Alpen kennen. Tatsächlich wurde das Teahouse 1927 von zwei Schweizer Bergführern errichtet. 1959 übernahm Joy Kimball die kleine Bergwirtschaft, deren Familie sich auch heute noch um das Wohl der Wanderer kümmert. Dabei ist es ihnen auch wichtig, den ursprünglichen Charakter des Gebäudes zu erhalten. So gibt es bis heute keinen elektrischen Strom im Plain of Six Glaciers Teahouse. Die warmen Speisen werden jeden Tag frisch auf Propangas-Öfen zubereitet. Die benötigten Grundnahrungsmittel wie Mehl und Zucker werden an nur einem Tag im Jahr für die komplette Saison mit dem Helikopter angeliefert. Frische Zutaten werden dann mit Packpferden oder von den Mitarbeitern selbst bis hoch zur Hütte getragen.
Trotz dieser mühsamen Versorgung sind die Preise für Getränke und Essen human. Um nicht zu sagen, sie sind günstiger als in den großen Gasthäusern in Lake Louise. Klar ist bei der Hütte alles ein wenig rustikaler. Dafür aber bekommen die Lokale im Tal ihre Waren tagtäglich bis vor die Tür geliefert. Obendrein spendet die Familie auch noch einen Teil der Einnahmen an die David Suzuki Foundation. Ein weiteres Anliegen der Familie ist es, das empfindliche Ökosystem der Berge möglichst wenig zu belasten. Beim Recycling und der Wassernutzung mag dies noch klappen. Die Tiere lassen sich von dem Bestreben hingegen nicht irritieren. So beobachten wir Kiefernhäher, die den Gästen das Brot teilweise aus der ausgestreckten Hand pflücken.
Gut erholt nehmen wir die letzten knapp anderthalb Kilometer zum Aussichtpunkt über der Plain of Six Glaciers in Angriff. Mit dem Mont Lefroy vor Augen erinnert uns nochmals eine Tafel an den tragischen Absturz von Phillip Abbot im Sommer 1896. Doch wie Menschen so ticken, war es ausgerechnet sein Tod, der das Interesse der Kanadier am Bergsteigen und Klettern noch bestärkte. So erreichte am 3. August 1897 eine Gruppe den Gipfel vom Mont Lefroy und bezwang damit einen Berg, der bis dahin als unbesteigbar galt.
Oberhalb vom Teehaus geht der Weg in einen Pfad über. Da wir uns außerdem oberhalb der Baumgrenze befinden, gewinnt der Wind wieder an Stärke. Konnten wir im Teehaus noch mit offener Jacke das schöne Wetter genießen, kontrollieren wir nun alle Reißverschlüsse, ob sie ganz zugezogen sind. Nach einer Viertelstunde (ab dem Teehaus) warnt uns ein Schild am Wegrand, dass der weitere Trail nicht gepflegt werde. Da hier die wenigsten Wanderer an diesem Punkt umkehren, ist der Pfad aber gut zu erkennen. Auch ist er sicher genug, dass wir ohne Probleme weiter vorankommen.
Einzig der Wind sorgt dafür, dass wir immer wieder innehalten, um besonders starke Böen abzuwarten. Gäbe es nicht schon die Redensart »es zieht wie Hechtsuppe«, auf der Ebene der Sechs Gletscher könnte man sie glatt neu erfinden. Tatsächlich haben wir - wie auch die Wanderer um uns herum - mehr mit dem Sturm als mit der Steigung oder dem Pfad zu kämpfen. Einzelne weichen sogar auf einen schlechter zu begehenden Pfad aus, der tiefer und geschützter liegt. Als wir endlich den Aussichtspunkt am Ende des Trails erreichen, treffen uns mehrere Orkanböen. Direkt unterhalb der Gletscher still stehenzubleiben, ist unmöglich. Und doch genießen wir megastolz die gigantische Sicht über den Gletscherkessel zu den Gipfeln der umliegenden 3000er. Zugleich sind wir aber auch froh, dass wir unsere neuen Handschuhe vom Moraine Lake mitgenommen haben. Hier oben sind sie Gold wert.
Auch wenn der Trail beim Aussichtspunkt endet, so heißt das nicht, dass es nicht mehr weiter geht. Es ist eine Gruppe junger Wanderer, die an uns vorbei Kurs auf die Steilwand unterhalb vom nördlichen Gipfel des Victoria Peaks und dem daran anschließenden Grat mit dem Collier Peak und Pope's Peak nimmt. Allein empfehlen können wir die nur schwach ausgebildeten Trampelpfade dorthin nicht. Denn sie führen direkt in einen Bereich, in dem es häufig zu Steinschlägen kommt. Da wir keine Lust auf mineralische Kopfnüsse haben, kehren wir um und wandern auf demselben Weg zurück zum Plain of Six Glaciers Teahouse.
Mit dem Wind im Rücken ist das Laufen deutlich angenehmer. Somit haben wir nun auch mehr Sinn für die kleinen Dinge am Wegrand. Wie etwa für mehrere blühende Fingersträucher. In dieser Gegend bleiben die Sträucher niedrig. Aber dass sie in dieser Höhe überhaupt gedeihen, ist bemerkenswert. Der bei uns beliebte Zierstrauch wächst sogar auf Standorten, auf denen die kälteerprobten Zwergkiefern fehlen. Auf dem Rückweg zum Teehaus schwächt sich der Wind immer mehr ab. Gerne nutzen wir dies für eine zweite Pause in der Hütte, um uns dort wieder aufwärmen. Beim weiteren Abstieg entdecken wir als Nächstes einen tierischen Überlebenskünstler. Es ist ein Eisgraues Murmeltier (Marmota caligata), das in der unwirtlichen Gegend seine Wintervorräte einsammelt. Die 45 bis 57 Zentimeter großen Tiere leben meist in losen Gruppen mit zehn bis 20 Tieren. In gut einen Monat werden sie sich alle zur Winterruhe in ihrem unterirdischen Bau zurückziehen. Bis dahin gilt es, sich eine möglichst dicke Fettschicht anzufressen.
Sowie wir eine letzte tiefe Mulde passiert haben, in der sich das ganze Jahr über Schneereste halten, rückt allmählich der Lake Louise ins Bild. Die Gletscher begleiten uns dennoch. Zwar ist der schuttbedeckte Eisstrom inzwischen in einen mäandrierenden Schmelzwasserbach übergegangen. Dafür aber ist ein gelegentliches Grollen im Tal zu hören. Den Blick zurück können wir uns sparen. Bis man die Lawine hört, die den Krach ausgelöst hat, ist sie längst auf den Boden aufgeschlagen. Wo unser Wanderweg auf den Lakeshore Trail übergeht, betreten wir das Revier der Spaziergänger. Wir genießen die vom oberen Ende des Sees malerische Aussicht über das Wasser zum Fairmont Chateau. Aus der Ferne wirkt das Hotel gar nicht mehr so riesig wie noch am Morgen. So nutzen wir diesen letzten Abschnitt der Tour zum lockeren Auslaufen und zur Planung des Abends. Immerhin sollen 20 Kilometer (ab der Deer Lodge) und 1000 Höhenmeter nicht alles sein, was Annette an ihrem Geburtstag bekommt...
Von Trans-Canada-Highway (1) im Ort Lake Louise zum Lake Louise abbiegen und anschließend der Beschilderung bis zu den Parkplätzen am Lake Louise folgen.
Ausgangspunkt | Lake Louise / Hotel The Fairmont Chateau (1750 m) |
Koordinaten | N 51.416070, W 116.21260 (Parkplatz unterhalb vom See) |
Gehzeit | 7 bis 8 Stunden |
Distanz | 18,5 km |
An-/Abstiege | ca. 1000 HM |
Anforderungen | T3 |
Einkehr | Es bestehen zwei einfache Möglichkeiten zur Einkehr mit Teahouse am Lake Agnes und dem Teahouse am Trail Plain of Six Glaciers, welches wir zweimal passieren. |
Beschilderung | Ab dem Hotel zunächst den Schildern zum Lake Agnes folgen, ab dort weiter über den Big Beehive zum Plain of Six Glaciers. |
GPS-Daten | Wanderung Plain of Six Glaciers gpx |
KML-Daten | Wanderung Plain of Six Glaciers kml |