Am ersten vollen Tag auf Vancouver Island brechen wir etwas müde um 6 Uhr zum Clayoquot Sound auf. Nach einer kurzen Fahrt kommen wir um 6.20 Uhr bei Remote Passages in Tofino an. Vor Ort ist die Müdigkeit bald verschwunden. Zum einen, weil wir schon ganz gespannt auf einen tollen Zodiac-Ausflug sind. Zum anderen, weil uns an der Küste von Tofino kühle Meeresluft empfängt. Das ist dann auch einer der beiden Gründe, warum wir eine halbe Stunde vorm eigentlichen Start der Tour bei Remote Passages sein müssen. Denn als Schutz vor der Kälte erhält jeder Handschuhe, eine warme Mütze und einen speziellen windfesten und nahezu wasserdichten Overall.
Bärensuche mit einem Zodiac im Clayoquot-Boot Sound bei Tofino. Aufnahmen von Schwarzbären, Weißkopf-Seeadlern und Robben.
Noch vor dem Einkleiden erhalten wir eine ausführliche Sicherheitseinweisung. So darf man während der Fahrt das Zodiac-Schlauchboot nicht verlassen und insbesondere darf keiner die Bären füttern ... haha. Nein, in erster Linie geht es darum, wie wir uns in bestimmten Situationen zu verhalten haben. Eine der wichtigsten Regeln ist, sich möglichst ruhig zu verhalten, wenn Bären in der Nähe sind. Das versteht sich zwar von selbst, wird in der Aufregung aber leicht vergessen.
Zudem erfahren wir, welche auffallenden oder besonderen Tiere im Clayoquot Sound leben. Neben den Schwarzbären, die wir sehen wollen, sind dies vor allem Delfine und Wale sowie Waschbären. Die letzten zeichnen sich übrigens dadurch aus, dass sie bei der Suche nach Muscheln stundenlang im kalten Wasser stehen können, ohne dass sich dabei ihr Tastsinn abschwächt. Was die possierlichen Tiere dazu befähigt, zählt übrigens zu den Dingen, die der Mensch noch nicht herausgefunden hat.
Gut eine Stunde nach unserer Ankunft in Tofino legen wir mit dem Zodiac ab. Schön finden wir, dass die Boote nur wenige Sitzplätze haben. Dadurch hat jeder zu allen Seiten gute Sicht. Vorausgesetzt natürlich, man streckt die Nase in den Fahrtwind. Denn so wie das Boot beschleunigt, schlägt uns eine eisige Luft ins Gesicht.
Bald ducken sich die meisten Ausflügler und ziehen den Overall noch ein Stück enger und die Kapuze über die Mütze tief ins Gesicht. Ich bin tapfer und verzichte auf die Kapuze. Ich genieße die tolle Sicht über das fast spiegelglatte Wasser im Clayoquot Sound. Es ist eine traumhafte Kulisse. Ich habe Ohrenschmerzen!
Es dauert nicht lange, bis der Bootsführer den Motor drosselt. Nachdem wir erst ein aufgegebenes Ruderboot am Ufer sehen, entdecken wir zu unserer Rechten zwei Robben. Offenbar sind sie Gäste um diese Uhrzeit gewohnt. Denn sie beäugen uns zwar, bleiben ansonsten aber ruhig auf ein paar aus dem Wasser ragende Felsen liegen. Uns geben sie einen ersten Vorgeschmack auf die Erlebnisse, die nun direkt vor uns liegen.
Es ist witzig. Die Zeit scheint auf dem Clayoquot Sound viel langsamer zu vergehen als sie einem vorkommt. Ein Grund hierfür ist sicher die beißende Kälte. Zugleich aber sind es die vielen Eindrücke von der wunderschönen Landschaft, die uns in dieser vom Menschen scheinbar unberührten Region umfängt. Gemessen an der Zahl der für uns neuen Eindrücke haben wir bald das Gefühl, schon eine ganze Weile auf dem Wasser unterwegs zu sein. Tatsächlich aber entdecken wir nur zwei Minuten nach den Robben den ersten Schwarzbär in der Ferne.
Es ist nicht der einzige Schwarzbär in diesem Bereich des Clayoquot Sound. So steuert unser Bootsführer zunächst eine kleine Bucht ganz in der Nähe an, wo ein zweiter Bär gerade auf dem Weg ins Gestrüpp ist. Leider, denn durch das Dickicht ist er nicht mehr zu sehen. Oder doch? Es dauert etwas, aber das leise Warten lohnt sich: erst sehen wir den Bären, wie er in der Ferne durch die Äste und Büsche spaziert, dann wie er ans Ufer kommt. Nach einem kurzen Blick in unsere Richtung erklärt uns für uninteressant. Seine Aufmerksamkeit gilt allein den Muscheln und Krebsen, die sich unter den Steinen versteckt halten. Fragt sich bloß, unter welchen? Mit seinen Pranken muss er einen nach den anderen umdrehen, bis er dann endlich fündig wird.
Nachdem wir den ersten Schwarzbären der Zodiac-Tour von allen vier Seiten zig mal aufgenommen haben, fahren wir nur ein kurzes Stück weiter bis zum nächsten Schwarzbären. Es ist einen Deut größer als der erste, was unsere Aufregung nochmals steigert. Daneben lenken auch andere Tiere unsere Aufmerksamkeit auf sich: unfotografierbar stürzt ein King Fisher zwischen uns und dem Bär ins Wasser und ist im nächsten Augenblick auch schon wieder verschwunden.
Deutlich einfacher zu beobachten ist da ein Weißkopfseeadler, der seinerseits alles Bewegliche um sich herum genau beobachtet. Als wir schon wieder auf dem Rückweg nach Tofino sind, sehen wir zuletzt noch eine Bärenmutter mit ihrem Jungen. Während sie sich ums Frühstück kümmert, blickt der Kleine neugierig zu uns herüber. Ja, an uns ist deutlich mehr dran als an einer Muschel. Nur schmecken tun wir nicht.
Auf der Fahrt zurück nach Tofino zahlt es sich für uns übrigens das erste Mal aus, dass wir den Ausflug daheim gebucht und auch sogleich bezahlt haben. Dadurch sind Annette und ich einfach nur froh, an der Tour in den Clayoquot Sound teilgenommen und diese für uns absolut neuen Eindrücke gesammelt zu haben. Anderen Teilnehmern hingegen schlägt der hohe Preis noch auf den Magen. Aber hey, dafür haben wir Bären in freier Wildbahn gesehen; und das ganz, ganz nah!!! Es ist ein Erlebnis, das nicht jedem Kanada-Reisenden gegönnt ist.