Am Nachmittag steht bei uns eine Fahrradtour durch Vancouver auf dem Programm. Damit verhalten wir uns so wie viele andere Besucher von Vancouver. Das zumindest ist unser Eindruck, als wir bei Spokes Bicycle Rentals ankommen. Der Fahrradverleih befindet sich in der West Georgia Street 1798. Und es geht dort zu wie in einem Taubenschlag.
Verglichen mit anderen Reiseziele wie den Seychellen ist Radfahren in Vancouver zwar alles andere als günstig. Dafür aber erspart es uns einige mühsame Fußmärsche durch die Stadt. So wären es allein zwei Kilometer von unserem Hotel in der Robson Street bis Gastown, während sich der Stanley Park in der genau entgegengesetzten Richtung befindet.
Eindrücke von den Ausflügen und Wanderungen während unserer Rundreise durch Kanada.
Nach einer kurzen Einweisung und etwas Papierkram können wir dann auch schon mit dem Fahrrad starten. Schön ist, dass wir von Spokes Bicycle Rentals aus nur die West Georgia Street überqueren müssen, um zu den autofreien Bereichen beim Hafen und Wasserflugzeughafen von Vancouver zu kommen. Aber auch, als wir Convention Centre abbiegen, den offiziellen Radweg verlassen und über die West Cordova Street in die Water Street radeln, haben wir kein Problem.
Es scheint fast, als kann die Autofahrer nichts aus der Ruhe bringen. Nicht einmal ortsunkundige Radler, die entgegen der Fahrtrichtung abbiegen. Gleiches gilt übrigens für die Fußgänger, die nachsichtig zur Seite treten, wenn man die falsche Spur erwischt hat. Umgekehrt weichen Fußgänger und Jogger auch gerne mal auf den Radweg aus, um besser voranzukommen. Dank gegenseitiger Rücksichtnahme klappt all dies wunderbar.
Unbehelligt und unbeschadet kommen wir also in Gastown an. Der lebhafte Stadtteil ist zugleich der Geburtsort von Vancouver. Der Name des Viertels geht auf den Dampfschiffkapitän John Deighton zurück, der hier 1867 das erste Lokal der damals jungen Siedlung öffnete. Die Bar wurde von Sägewerksarbeitern errichtet, denen Deighton soviel Whisky versprochen hatte, wie sie während eines Besuchs trinken konnten. Deighton war außerdem für seinen hang bekannt, unterhaltsame Geschichten zu erzählen. Das bescherte ihm den Spitznamen »Gassy Jack«, wovon sich letztlich der Name Gastown ableitet. Am Marple Square erinnert heute eine Statue an den britischen Siedler.
Nach der Eröffnung des noch Seehafens wuchs das Viertel rasch an. Die Hauptattraktion im historischen Viertel ist dennoch leicht zu finden: die Steam Clock. Sie steht direkt an der lebhaften Water Street und wird von Touristen förmlich belagert. Vor Ort erfahren wir, dass die Steam Clock die weltweit erste mit Dampf angetriebene Uhr ist und sie zur Freude der Allgemeinheit gebaut wurde. Bei ihrer Gestaltung diente der Big Ben in London als Vorlage.
Der aufsteigende Dampf hat früher sowohl die Gewichte angetrieben als auch die Pfeifen ertönen lassen. Alle viereinhalb Minuten wird ein Gewicht durch die Kraft des Dampfs in das Obere der Uhr befördert. Die von Douglas L. Smith entwickelte Uhr lässt alle Viertelstunde den Klang der Glocken von Westminster ertönen. Am längsten kann man dieses Schauspiel zu jeder vollen Stunde bewundern. So erklingen am Mittag noch zwölf zusätzliche Töne.
Was man heute nicht mehr sehen kann: die Dampfuhr befindet sich an der westlichen Grenze des alten Granville. Noch 1870 war die Küste des Burrard Inlet, dem während der Würmeiszeit nördlich vom heutigen Vancouver entstandenen Fjord, nur ein paar wenige Schritte entfernt. Gastown selbst war zu jener Zeit das Einkaufszentrum von Vancouver. Nach der Blütezeit Anfang des 20. Jahrhunderts verwahrloste das Viertel in den 1960er Jahren zusehends.
Bereits in den 1970er Jahren wurde Gastown wieder entsprechend seiner früheren Gestalt saniert. Die damals enge Zusammenarbeit von Immobilieneigentümern, Einzelhändlern und den Anwohnern Gastowns mit der Stadt hat zu einem bis heute andauernden Erfolg der Sanierungsmaßnahmen geführt. Dementsprechend laden in der mit vielen Bäumen aufgelockerten Water Street einige nette Restaurants und Läden zum Verweilen und Bummeln ein.