Das wichtigste Ziel unserer Fahrradtour durch Vancouver ist der Stanley Park. Damit geht es für uns zunächst zurück von der Chinatown nach Gastown beziehungsweise ans Ufer des Burrard Inlets. Nach der ersten Unsicherheit kommt uns die Fahrt jetzt wie ein Kinderspiel vor. Zum einen kennen wir uns jetzt schon etwas besser auf den Straßen Vancouvers zurecht.
Eindrücke von einer gemütlichen Fahrradtour durch Gastown und den Stanley Park bei Vancouver. Stationen während des Ausflugs waren die von den Indianern bei den Potlaches aufgestellten Totempfähle, der Brockton Point, der Beaver Lake und Hollow Tree sowie das Tea-House.
Zum anderen verläuft die von uns gewählte Route nun nicht mehr entgegen der Fahrtrichtung. Nach wenigen Minuten passieren wir erneut den Wasserflugzeughafen. Ab dort können wir einfach dem Radweg folgen. Rund drei Kilometer ab der Dampfuhr in Gastown erreichen wir dann auch schon die Halbinsel mit dem nach Frederick Arthur Stanley benannten Park.
Beim Übergang halten wir uns rechts, sodass wir um den Yachthafen von Vancouver herumfahren. Nachdem wir außerdem den Abzweig nach Deadman’s Island passiert haben, öffnet sich links von uns die Sicht über große Rasenflächen. Diese werden für verschiedene Sportarten genutzt. Unser Ziel aber sind die Totempfähle. Solche reich verzierten Pfähle wurden einst von den Indianern bei den sogenannten Potlaches aufgestellt. Potlach bedeutet soviel wie Fest des Schenkens, mit dem ein Häuptling durch das Verteilen großer Mengen wertvollen Geschenke an seine Gäste den Reichtum seines Stammes dokumentierte.
Nach einer kurzen Pause kehren wir zurück auf den breiten Radweg. Bei der »9 O’Clock Gun«, einer alten Kanone, folgen wir der Küstenlinie nach Norden zum Brockton Point Lighthouse. Der Leuchtturm befindet sich an der nordöstlichen Ecke des Stanleys Parks und ermöglicht eine weite Aussicht über den Burrard Inlet. Zugleich ist dies der beste Aussichtspunkt, um Schiffe auf ihrer Fahrt in den Hafen von Vancouver zu beobachten. Außerdem leben im Bereich des Leuchtturms sehr viele Kanadagänse, über sich insbesondere Annette freut.
Vom Brockton Point geht es weiter entlang der Küste bis zu einem großen Spielplatz mit sehr vielen Wasserspielgeräten. Springbrunnen, hüpfende Wasser und mit Pumpen betriebene Spritzen sorgen dafür, dass so ziemlich jedes Kind bald klitschnass ist. Ist aber halb so schlimm. Denn zum Spielplatz gehört auch eine Art begehbare Trommel, in der die Eltern ihre Kinder zum Trocknen hineinstellen können. Wir aber fahren weiter an den Beaver Lake, einem idyllischen See mitten der Halbinsel.
Tagsüber sind Beobachtungen von Biber unwahrscheinlich. Dafür verraten angenagte oder mit Draht umwickelte Baumstämme die Anwesenheit der fleißigen Nager. Schön finden wir, dass der See ausgeprägte Verlandungszonen besitzt, in denen die Tiere Zuflucht finden. Weite Bereiche des Sees sind von Seerosen bewachsen, sodass nur eine kleine offene Wasserfläche verbleibt. Außerdem entdecken wir auf dem Rundweg um den Beaver Lake mehrere Rothörnchen und Enten.
Nach dem Abstecher an den Beaver Lake folgen wir erneut dem Radweg entlang der allmählich steiler werdenden Küste. So müssen wir im Bereich des Siwash Rocks, einer vorgelagerten Insel, langsam machen, weil die Felsen eine nur sehr eingeschränkte Sicht ermöglichen. Gleich danach kommen wir zum Dritten Strand und, ein kurzes Stück weiter, zum Teahouse vom Stanley Park. Das beliebte Ausflugslokal wird auch gerne für Familienfeiern genutzt. So verlässt bei unserem Besuch eine Hochzeitsgesellschaft gerade das Café, während sich bereits die nächste auf einer nahen Rasenfläche zur Zeremonie einfindet.
Zuvor aber unternehmen wir einen zweiten Abstecher ins Innere der Halbinsel. Genau genommen zum Hollow Tree. Es sind die Reste eines einst mächtigen Riesen-Lebensbaums (Thuja plicata), die sich direkt am Stanley Park Drive befinden. Diese Thuja ist der Gigant unter den Gehölzen, die an der Küste von British Columbia wachsen. Kein anderer, hier heimischer Baum bildet einen derart dicken Stamm. Dabei wird dieser im Alter oft hohl. Das übrigens selbst dann, wenn der Riesen-Lebensbaum noch am Wachsen ist. Möglich ist dies durch ätherische Öle, die den Baum vor dem Verrotten bewahren.
Das Alter des Hollow Trees wird auf 1000 Jahre geschätzt. Damit ist er der wahrscheinlich älteste Baum im Park und zugleich eine Verbindung zu der Vergangenheit der Halbinsel. Der auch als Big Tree bekannte Baum überstand sowohl die umfangreichen Abholzungen im Stanley Park zwischen 1865 und 1885 als auch einen verheerenden Sturm. Letzterer hatte 1934 mehr als 2000 Bäume zu Boden geworfen.
Der Baumriese verlor bei dem Sturm seine Spitze sowie einen Teil seines Umfangs. Denn tatsächlich stürzte auch er zu Boden. Allerdings wurde er wieder aufgerichtet und mit Stahlseilen stabilisiert. Heute ist der Hollow Tree eines der Wahrzeichen von Vancouver. So erklärte der Stadtarchivar Major J. S. Matthews 1965: »Nach Vancouver kommen und nicht ‘The Big Hollow Tree’ sehen, ist wie ein Ei ohne Salz zu essen.«