Am zweiten Morgen in Tarrafal treffen wir Kiki wieder. Zusammen mit ihm wollen wir zu dem Leuchtturm Tarrafal an der Ponta Preta wandern, den wir vom Hotel aus in der Ferne sehen. Die Strecke dorthin wäre zwar alleine zu finden. Da wir zu Beginn ein Wäldchen durchqueren müssen, in dem ab und zu Jugendliche vornehmlich jeden Urlauber überfallen, den sie treffen, wollen wir jedoch kein Risiko eingehen.
Wanderung von Tarrafal zum Leuchtturm an der Ponta Preta im Nordwesten von Santiago, Rückweg über Monte Graciosa.
Wobei, die erste Gefahr, die Kiki abwendet, ist die, auf der Strecke zu verdursten. Denn weil uns Sibylle eine leichte Wanderung von in etwa drei Stunden versprochen hatte, wollten wir nur eine Flasche Wasser mitnehmen. Für die Wanderung zum Turm hin und zurück hätte dies gereicht. Wir aber wollten die Tour rund um den Berg Monte Graciosa (645 m) laufen, die dann wenigstens fünf Stunden dauert.
Mit drei Litern Wasser ausgerüstet, starten wir also beim King Fisher und laufen quer durch den Ferienort Tarrafal zum Strand. Am Ende der Bucht kommen wir neben den Schriftzug »Tarrafal« (dieser ist auf einem Felsen zu lesen) auf einen Pfad, der in das besagte Akazienwäldchen führt. Jugendliche sehen wir keine.
Dafür aber mehrere Kapverdische Eisvögel, die zwischen den niedrigen Bäumen fliegen. Es ist der einzige Teil der Wanderung, der im Schatten liegt, bevor es am Ende des Waldes in etwa in Richtung einer Felswand mit Basaltsäulen geht und wir ab da unter der Sonne laufen.
Auch wenn der richtige Pfad meist gut zu erkennen ist, sind wir froh, dass Kiki bei uns ist. Denn schon bald müssen wir mehrere knifflige Passagen überwinden, bei denen der Weg über steile, übereinander gewürfelte Felsbrocken führt. Auch nicht ganz einfach ist ein sukkulentes Gewächs,
mit dem sich die Einheimischen die Zähne putzen. Denn es bildet dichte Horste, die den Blick auf den Untergrund versperren und unter der Trittbelastung bedenklich nachgeben. Dem nicht genug, brütet die Sonne gnadenlos auf die karge Landschaft herunter.
Erst, als wir ein 200 Meter hohes Plateau erreichen, wird der Pfad bequemer und ähnelt teilweise sogar einem leichten Spazierweg. Einziges Manko: hier oben fällt so wenig Regen, dass das Gras und die Sträucher nur kümmerlich wachsen. Als Folge spannen die Spinnen ihre Netze gerade mal einen Handbreit über den Boden und den Weg.
Als zweite Folge sorgt Annette bei zwei zufällig in der Landschaft stehenden Bäuerinnen für ausgelassene Heiterkeit, als Kiki sie vor einem großen Exemplar warnt und sie mit einem Aufschrei auf die Seite springt.
Natürlich bleibt es nicht bei einer Spinnen-Episode. Nachdem wir mehrere Ziegengehege passiert haben (diese dienen als Anhaltspunkt für die Wanderung, auf der linken Seite dem Pfad folgen), lasse ich Kiki und Annette beim Abstieg vom Plateau gut 20 Meter voraus laufen, wundere mich dann aber, wie schnell ich sie wieder einhole.
Dass heißt, nur Annette, die mir unter einem Baum gebückt entgegen rennt. Kiki hingegen untersucht seinen Hut, an dem Sekunden zuvor eine fette Spinne hing. Als er uns seinen Sonnenschutz entgegenstreckt, hüpft Annette nochmals ein Stück von ihm weg. Auch findet sie es nicht lustig, als ich den Hut nehme und kurzerhand aufsetze.
Die Steigerung von ›nicht lustig‹ ist ›gar nicht lustig‹. Ja, es geht immer noch um die lieben, fetten Spinnen. Schließlich trägt nicht nur Kiki einen Hut, sondern hat auch Annette eine Mütze auf dem Kopf. Und auch wenn sie ihm nicht geglaubt hat, als sie zehn Minuten später ebenfalls eine Spinne eingesammelt haben soll,
so fliegt die Mütze doch im hohen Bogen in den Staub. Ganz ehrlich: ich hätte mich das nicht getraut. So aber muss ich aufpassen, dass ich nicht lauthals loslache, während sie irgendwas wie »das ist gar nicht witzig« schnaubt. Damit weiß ich jetzt, warum Kiki so schnell laufen kann...
Danach gilt es aufzupassen. Denn kurz vor dem Leuchtturm Tarrafal fällt das Gelände steil ab. So haben wir erst eine imposante Sicht auf die blauweiß schäumende Brandung unterhalb
des Leuchtturms und müssen dann auch schon aufpassen, dass wir die Ponta Preta ohne Abzurutschen hinunter gelangen.
Auf dem Weg nach unten überlege ich, dass ich in dem Leuchtturm Tarrafal gerne ein Café hätte. Da das Warnsignal außerhalb steht, hat das Gebäude zurzeit eh kaum noch einen Zweck. Meine zweite Überlegung, dass man ja in der Nähe eine Bootsanlegestelle errichten könnte, um die Wanderung in nur einer Richtung möglich und damit für Gruppen interessant zu machen,
zeigt mir, dass ich schon wieder ganz gut geschlaucht bin. Nein, es gibt natürlich kein Café und weit und breit keinen Steg, sondern nur eine hübsche Aussicht über das Meer, einen Schluck Wasser und einen viel zu weiten Rückweg.
Was heißt hier Rückweg? Nachdem wir vom Leuchtturm zurück auf das Plateau gekraxelt sind, schlägt Kiki den Weg Richtung Norden ein. Schließlich hatten wir ja in Calheta vereinbart, dass er uns um den Monte Graciosa herum führen soll. Wobei ich denke, man könnte genauso gut oben drüber laufen, da auch der Weg um den Berg einige Steigungen mit sich bringt.
So aber eröffnen sich uns nach der nächsten Biegung erst einmal neue Ausblicke über die Landschaft Santiagos und haben wir bald eine gute Sicht auf ein kleineres Plateau, das an den Rändern schräg zu einem Trockental und zum Meer hin abfällt.
Für uns unverständlich ist, dass es in dieser Halbwüste Menschen gibt, die hier arbeiten und Rinder halten. Wovon leben die? Auf dem verdorrten Boden wächst kaum ein Halm, den das Vieh fressen könnte - dafür aber kratziges Zeug, was sich an unseren Wandersocken verhakt.
Da auch die Samen der Pflanzen Haken oder Dornen mit Widerhaken haben, sammeln wir diese quasi im Vorübergehen ein. Nur gut, dass dorniges Gestrüpp und Kraut nicht unter das Washingtoner Artenschutzabkommen fällt.
Was wir nicht erwartet hatten: nördlich des Monte Graciosas befinden sich zwei Wasserlöcher, in denen Entengrütze schwimmt. Später erfahren wir, dass sich hier ab und zu Affen aufhalten.
Weil diese aber von den Einwohnern gejagt und verkauft (oder gegessen) werden, ist es wohl besser, wenn sie sich versteckt halten. Denn ihre Population ist garantiert vom Aussterben bedroht.
Beim zweiten Wasserloch stehen wir vor einem Problem: Kiki findet den Weg nicht mehr, den er sonst immer eingeschlagen hat. Nun gut, die grobe Richtung ist ja kaum zu verfehlen und mit ein wenig Glück kommen wir, an einem Rind vorbei, wieder auf den richtigen Weg. Ja das Rind sollte etwas mehr beachtet werden.
Denn leider dreht es sich so ungeschickt, als ich es passiere, dass es Annette den Weg am Wasser versperrt. Wahrscheinlich würde es ihr ja ausweichen. Um nicht ins grünschlammige Wasser zu purzeln, nimmt Annette jedoch einen Umweg zwischen dem nächsten Baum und dornigen Gestrüpp.
Gleich nach dem zweiten Tümpel rasten wir im Schatten einer Baumgruppe. Kiki läuft indes ein Stück weiter, um nach den Weg zu sehen. Das denken wir zumindest. Stattdessen ist er nämlich auf dem Weg zu einer Quelle, um seine Trinkflasche aufzufüllen.
Wir gönnen es ihm und werden seinem Beispiel sicher nicht folgen. Zu groß ist für Mitteleuropäer das Risiko, fremde, schädliche Bakterien zu konsumieren. Die Pause aber tut uns richtig gut. Immerhin sind wir schon wieder seit drei Stunden unterwegs.
Nachdem wir die nächste schweißtreibende Kuppe überwunden haben und uns etwas nordöstlich vom Monte Graciosa wieder finden, können wir den weiteren Verlauf der Wanderung erkennen. Wie ich befürchtet hatte, führt diese weit am Berg vorbei, bevor es in einer langen Kurve zu einem Dorf geht. »Oh, Assomada«, bemerke ich und ernte Kikis Lachen. Nein, natürlich ist es nicht das Bergdorf Assomada (das wäre wirklich der Gipfel), sondern der entlegene Ort...
ähm, eigentlich hatte ich gedacht, dass ich das Nest auf irgendeiner Karte finde... )-: Nun gut, auf jeden Fall kommen wir durch ein Dorf, in dem es neben spielenden Kindern, Hunden, Ziegen und Rindern in den Gassen ein Dach gibt, was mit einer größeren Photovoltaikanlage glänzt. Wer hätte diesen Fortschritt hier erwartet?
Geht es in dem Dorf schon steil nach oben, wird der Weg danach zur Qual. Also, der Graciosa hat eine Höhe von etwa 650 Meter. Bedenkt man, dass wir bei 0 m gestartet sind, hoch auf ein Plateau (200), runter zum Leuchtturm (20?), wieder hoch aufs Plateau, auf und ab um die Nordseite (150, 100, 150, 120, 200 - oder so) mussten,
um über dem Dorf den sonnenverbrannten Monte Graciosa endlich in Angriff zu nehmen, dann will ich gar nicht darüber nachdenken, wie viele Höhenmeter uns in den Beinen stecken, als wir uns östlich vom Berg auf halber Höhe zum Gipfel befinden.
Zugleich sind wir froh, dass wir Kiki dabei haben. Denn oben ist der Boden so hart, dass der Weg nicht zu sehen ist. Wie lange Zeit übrigens auch Tarrafal. Denn leider besteht der Bergrücken des einstigen Vulkans aus mehreren Rippen, die wir brav eine nach der anderen erklimmen.
Erst, als wir die vorletzte bewältigt haben, und ich schon behauptet habe, dass Tarrafal verschwunden sei, entdecken wir die Stadt weit unter uns. Und vor uns erneut Rinder, die in der Einöde stehen und der Regenzeit nachtrauern.
Insgesamt 5 Stunden und 15 Minuten nach dem Start beim King Fisher erreichen wir schließlich den Strand von Tarrafal. Die Sonne steht hoch und wir geben uns Mühe, möglichst entspannt und
(das mussten wir uns geben) munter plappernd wie nach einem leichten Spaziergang in die Ferienanlage zurückzukehren. Schade nur, dass uns diesmal niemand empfängt (-;