Auf Santiago existieren bis dato an noch zehn Orten Gemeinschaften der Rabelados. Die Ursprünge gehen auf das Jahr 1940 zurück, als der Vatikan Kontrolleure in das älteste katholische Land außerhalb Europas schickte. Was die Abgesandten bei ihrer Inspektion sahen, jagte ihnen einen Schauer über den Rücken. In der 1461 begründeten katholischen Gemeinde war es üblich, dass die Priester mit mehreren Frauen gleichzeitig verheiratet waren und Kinder hatten.
Die ausschließlich ihnen anvertrauten Aufgaben ließen sie hingegen von Laien verrichten. Um diesem Treiben ein Ende zu setzen, schickte der Vatikan weiße Priester in weißen Gewändern auf die Insel, führte einen neuen Katechismus ein und verbot den Inselbewohnern verschiedene Bräuche. Dazu zählte die einwöchige Totenwache mit öffentlichem Beten und Wehgesang der Hinterbliebenen. All dies waren Maßnahmen, nur bald schon Wirkung zeigten.
Wanderung durch den Naturpark der Serrra Malagueta über den Gongon-Trail bis zu den Rabellados an der Ostküste von Santiago.
Allerdings war es nicht die vom Vatikan gewünschte. Denn die Bevölkerung boykottierte den neuen Katechismus wie auch die Messen der weißen Priester. Auch auf Hochzeiten und Taufen waren die vom Vatikan gesandten Priester allenfalls Zaungast. An ihrem Glauben aber hielten die Inselbewohner fest. Sie begannen, die Bibel in Hauskreisen zu studieren, sodass sich von den weißen Priestern unabhängige Gemeinschaften entwickelten. Das freilich sehr zum Verdruss der Herrschenden.
So setzte der portugiesische Diktator António de Oliveira Salazar die Proteste gegen den Vatikan mit einer Rebellion gegen sein Regime gleich und ließ die Anführer verbannen oder in das Konzentrationslager bei Tarrafal stecken. Der Staatsterror trieb schließlich etliche Gläubige in nur schwer zugängliche Regionen Santiagos. Sie wurden Rabelados (Rebellen) bezeichnet und lehnten noch bis vor wenigen Jahren den Staat als Ganzes ab. Stattdessen beriefen sie sich die Bibel und eigenen Werte.
Erst mit dem Heranwachsen der neuen Generation ändert sich die Tradition. Heute gehen Rabelados ganz selbstverständlich zur Schule und an die Uni, lassen sich im Krankenhaus behandeln und kleiden sich modern. Auch nutzen sie inzwischen Elektrizität und Telekommunikation, zwei Dinge, die bis vor wenigen Jahren noch undenkbar erschienen.
Andere Bräuche hingegen haben sich gehalten. So gibt es auf den Kapverden immer noch Priester, die Kinder haben, und wird an der einwöchigen Totenwache mitsamt den damit verbundenen Zeremonien festgehalten. Die Bibel wird heute vor allem in Hauskreisen an den Wochenenden gemeinsam studiert.
Bei unserem Besuch in Espinho Branco liegt das Dorf der Rabelados verlassen da. Kunststück, schließlich sind auch sie mit der Ernte beschäftigt und also bei der Feldarbeit. Einzig in einem gemauerten Gebäude, in dem Zeichnungen, Malereien und andere Kunstwerke der Gemeinschaft angeboten werden, treffen wir einen Mann. Es gebührt der Anstand, die ausgestellten Werke eine Weile zu betrachten. Allzu viel Zeit wollen wir hier nach der langen Wanderung aber nicht verbringen und lassen uns alsbald von Joe durch das Künstlerdorf führen.
Ungestört können wir die einfachen, aber zweckmäßigen Hütten (von außen) betrachten und uns auf dem platzähnlichen Bereich zwischen zwei Häuserreihen umsehen. Neben mehrerer Leinen Wäsche entdecken wir gefasste Feuerstellen und kleine, aus Steinen erstellte, Gatter - oder so etwas in der Art, da die Tiere frei herumlaufen und in die Hütten hinein und heraus spazieren. Die meisten zumindest, denn im hinteren Bereich sehen wir plötzlich ein Mädchen, das dem Zickzack-Kurs eines Huhns hinterher hastet. Nach ein paar Runden steht die Siegerin fest. Armes Huhn.
Vor Ort wissen wir nicht, ob wir über die Leere im Dorf enttäuscht oder doch eher erleichtert sein sollen. Denn die Rabelados sind durch das selbst gewählte jahrelange Leben abseits der großen Städte ein Volk für sich, das eine eigene Sprache spricht und sich seine eigene Kultur geschaffen und bewahrt hat.
Damit verbunden haben sich verschiedene Mythen um die Gemeinschaft gebildet und bangt man, nicht aus Unwissenheit irgendeinen Fauxpas zu begehen. Vor Ort aber bietet sich uns dann doch ein eher normales Bild. Es gibt Radio und Fernsehen und als Touristen werden freundlich empfangen - insofern jemand da ist.