Der Flug mit Avianca verläuft angenehm ruhig. Und das, obwohl sonnige Abschnitte immer wieder durch gewaltige Wolkenmassen unterbrochen werden. Bald werden die grünen Hügel unter uns niedriger, bis sie schließlich in Stadtbebauung übergehen.
Wir fliegen über Cartagena. Sie gilt als Perle an der Karibikküste. Was uns als Erstes auffällt, sind indes gewaltige, weiße Wohn- und Bürotürme. Von oben betrachtet gleicht die Kulisse damit mehr Miami Beach in Florida als einer karibischen Kolonialstadt.
In der Ferne erkennen wir dicke Regenwolken, die sich gerade entladen. Wir hoffen, dass diese über das Karibische Meer hinwegziehen. Doch die Hochhäuser scheinen sie an Cartagena zu fesseln. Sowie wir landen, schüttet es schließlich wie aus Kübeln. Die Tür des Fliegers wird nach dem Öffnen augenblicklich wieder verschlossen.
Wir sollen auf unseren Sitzen ausharren, bis der gröbste Regenschauer halbwegs vorüber ist. Hoffentlich handhaben sie es mit unseren Koffern genauso. Ja, das tun sie. Trotzdem erreicht unser Gepäck schon bald die Halle und können wir ohne weitere Verzögerung in Richtung Altstadt abfahren.
Am hier palmenlosen Strand rollen die Wellen heran. Kurz darauf passieren wir das erste Bollwerk der 13 Kilometer langen Stadtmauer um die Altstadt Cartagenas.
Die Halbinsel mit der Altstadt ist in drei Stadtteile aufgeteilt. Unser Hotel befindet sich in Getsemaní, dem Viertel der kleinen Leute und Handwerker. Wir sind gespannt.
Bevor wir den großen Stadtrundgang durch die Altstadt beginnen, legen wir einen kurzen Stopp bei Las Bóvades ein. Es sind bombensichere Gewölbe am Rand von Cartagena. Das lange Gebäude wurde in der Altstadt direkt an die mächtige Festungsmauer angeschlossen.
Die 23 Gewölbe entstanden zwischen 1789 und 1795 nach dem Entwurf von Antonio de Arebalo. Hier waren die Schurken und Halunken untergebracht, weshalb die Gebäude bombensicher erbaut wurden. Somit hielt das Gefängnis auch Angriffen von außen stand.
Die unglücklichen Insassen konnten allerdings auch dem Meerwasser nicht entkommen. Bei Flut standen sie nämlich bis zu den Knien im Nassen. Heute ist die Altstadt sicherlich besser vor Hochwasser geschützt.
Auch haben der hübsche Arkadengang und die ehemaligen Verliese ihre Bestimmung längst geändert. Anstelle von Verbrechern beherbergen die Zellen heute eine Reihe Kunsthandwerkläden, deren Sortiment sich von Tür zu Tür wiederholt.
Die meisten Teilnehmer unserer Reisegruppe gehen sogleich auf Jagd nach Souvenirs, Kaffee und Toiletten. Wir indes nutzen eine Rampe, die hoch auf die Mauer führt. Oben eröffnet uns diese zwei schöne Aussichten.
Zur Altstadt auf der einen und zum Meer mit den seltsamen Strandbögen auf der anderen Seite. Und da sich immer noch kein Kreuzfahrtschiff blicken lässt, können wir die Kulisse in Ruhe auf uns wirken lassen, eh wir wieder zu den anderen stoßen und es weiter zum nächsten Programmpunkt geht.
Innerhalb der Altstadtmauer, nahe dem Theater, entlässt uns der Fahrer endgültig aus seinem Kleinbus. El Centro, das historische Viertel innerhalb der großen Stadtmauern von Cartagena, werden wir zu Fuß erkunden. Wir starten an der Plaza de la Merced, dem Platz der Barmherzigkeit.
Die Plaza ist nach dem Kloster benannt, in dessen Kirchengebäude das heutige Theater Adolfo Mejía untergebracht ist. Platz für größere Gebäude innerhalb der Stadtmauern ist rar. Da muss sich so manche Kirche barmherzig zeigen und ihre Räume auch mal anderen Zwecken opfern.
Der Platzmangel wird auch in den engen Gassen deutlich. So wäre es ein Leichtes für die Einwohner, sich vom Balkon aus mit ihrem Nachbarn gegenüber zu unterhalten. Auch ließe sich eine Wäscheleine bequem über die Gasse spannen. Dafür ist alles fußläufig gut zu erreichen. Trotzdem ist es bis dato erlaubt, mit dem Auto via Einbahnverkehr durch die Altstadt zu fegen.
Zum Glück sind wir solches gewohnt. Phlegmatisch wie wir uns geben können, bleiben wir also mitten in den Gassen stehen, um Bilder frei von Autos zu schießen. Wobei es bei den Taxis, die hinter uns drängeln, dann doch gute Nerven braucht, um auszuharren. Und wie bereits erwähnt: wir haben ein Sauglück, dass heute keine Kreuzfahrtschiffe im Hafen liegen.
Die Altstadt Cartagenas ist in zwei Viertel unterteilt, auch wenn dies kaum noch sichtbar ist. Das El Centro, wo wir uns nun befinden, war der oberen Gesellschaft vorbehalten. Das andere ist San Diego, wo die Mittelklasse lebte. In beiden Vierteln finden sich Paläste und Herrenhäuser aus der Kolonialzeit mit bunten Balkonen, herrlichen Patios und farbenfrohem Blumenschmuck.
Kirchen, Klöster und schmucke Plätze sind gut erhalten. Damit spielte es irgendwann keine Rolle mehr, welcher Klasse man angehörte. Hier ein Gebäude zu besitzen, stellte sich spätestens mit dem Aufkommen des Tourismus als Goldgrube heraus.
Als Nächstes kommen wir zur Plaza de Santo Domingo. Hier steht die älteste Kirche von Cartagena, die im Lauf der Jahrhunderte schon so einiges aushalten musste. Die erste Dominikanerkirche wurde 1549 an der Plaza de los Coches errichtet. Doch im Februar 1552 zerstörte ein Feuer die Stadt und mit ihr die Kirche. Auf der Plaza de Santo Domingo fand man einen neuen, geeigneten Platz. Um das neue Gotteshaus zu errichten, mussten auch die Ureinwohner mit anpacken. Dennoch erstreckte sich die Bauzeit auf gut 150 Jahre.
Eine Ursache war das feucht-warme Klima. Wegen der damit verbundenen Schäden musste die Kirche bereits vor der Fertigstellung einige Male saniert werden. Zudem hatten die architektonischen Wünsche die Statik missachtet. Als Folge drohte das Gebäude einzustürzen und mussten massive Stützpfeiler gesetzt werden. Dies konnte allerdings nicht mehr verhindern, dass Teile des Gebäudes aus dem Lot gerieten. Mit dem Glockenturm besitzt damit auch Cartagena seinen eigenen »schiefen Turm«.
Keine 200 Meter weiter steht die Kathedrale von Cartagena, die Catedral de Santa Catalina de Alejandría. Die Grundsteinlegung war im Jahr 1577. Auch hier verzögerte sich die Fertigstellung. Anders als bei den Dominikanern waren es diesmal nicht extravagante Wünsche an der Bauform, sondern die Kanonen des englischen Freibeuters und Vizeadmirals Francis Drake.
Bei einem Beschuss der Hafenstadt im Jahr 1586 wurde die Kirche durch mehrere Treffer schwer beschädigt. Während das Gebäude von außen einer Festung ähnelt, ist sie im Innern eher schlicht gehalten. Nur beim Altar ließ man sich nicht lumpen und verpasste ihm einen Blattgoldaufsatz.
Schatten spendende Bäume und die umliegenden elegantesten Kolonialgebäude der Stadt machen die Plaza de Bolívar zu einem der charmantesten Plätze Cartagenas. Einzig der angrenzende Palacio de la Inquisición zeigt, dass der Platz böse Zeiten durchlitten hat. Hier befand sich der Sitz der grausamen Inquisition.
Mit allerlei Folterinstrumenten wurden alle Formen der Häresie bekämpft. Mit anderen Worten: Ketzern und Andersgläubigen wurden auf blutige Art die Flausen aus dem Kopf getrieben. Heute sitzt der Nationalheld Simón Bolívar auf seinem edlen Ross mitten auf dem Platz.
In einem der Arkadengängen um den Platz befindet sich das Portal de las Reinas, der Durchgang der Königinnen. Hier sind die Bilder sämtlicher Schönheitsköniginnen Kolumbiens auf schwarzen Platten verewigt. Was wie eine große Ehre klingt, entpuppte sich für einige Frauen bald als zweiseitiges Schwert.
Denn Pablo Escobar liebte es, Schönheitsköniginnen für sich und seine Gäste tanzen zu lassen. Verbale Demütigungen zählten bei solchen Anlässen zu den harmloseren Dingen, denen sie hilflos ausgesetzt waren. So wurden sie gezwungen, nackt zu tanzen und auf Bäume zu klettern.
Gesitteter geht es bei der Plaza de la Proclamación zu. Hier wurde am 11. November 1811 die Unabhängigkeit Kolumbiens verkündet. Es ist ein Platz für religiöse Feierlichkeiten, weshalb auch der Papst an der Ecke der Kathedrale einen Platz für ein Denkmal bekommen hat. Daneben haben die bunt gekleideten Palenqueras den Platz für sich entdeckt. Ihr Name stammt aus der Kolonialzeit, als Sklaven mit afrikanischem Ursprung in die Berge flohen. Dort schlossen sie sich in Gruppen zusammen, den Palenqueras. Heute tragen die Frauen üppige und bunte Kleider, in hauptsächlich den kolumbianischen Nationalfarben gelb, blau und rot.
Um ihre Ware auf dem Kopf transportieren zu können, umwickeln sie ihr Haar mit Tüchern. Die Obstverkäuferinnen gehören zu den kulturellen Symbolen von Cartagena. Der Verkauf ihrer Ware, wie selbstgemachte Süßigkeiten und Obst, ist längst Nebensache geworden. Denn sie sind ein typisches Motiv der Stadt. Sie mögen es aber gar nicht, heimlich fotografiert zu werden. Aber warum sollte man dies? Mehr als ein paar Peso muss man nicht locker machen, um ein schönes Foto aufnehmen zu können. Da sind die Damen mit Zigarren in Havanna einiges teurer.
Wir erreichen die Plaza de los coches, den Platz der Kutschen. Passend zum Namen stehen hier einige Kutschen herum und warten auf Touristen. So wie es scheint, schonen viele Kutscher ihre Tiere und lassen sie erst dann arbeiten, wenn die Mittagshitze vorüber ist und die Temperaturen erträglicher werden.
Viele der Pferde haben heute frei. Morgen werden zwei Kreuzfahrtschiffe erwartet. Dann dürfte es vorbei sein mit der Schonzeit und gilt es, möglichst viel Geld einzustreichen. Besucher der Altstadt können sich dann auf einen Kutschen-Stau einstellen.
Früher hieß der Platz Plaza de la Yerba, der Kräuterplatz. Das Gebäude mit dem Uhrturm ist der Eingang zur Altstadt. Gleich daneben fand einst der Sklavenmarkt von Cartagena statt. Heute thront die Statue des Stadtgründers Piedro de Heredia mitten auf dem Platz.
Anstatt mit menschlicher Ware wird heute mit Süßigkeiten gehandelt und laden reichlich Bänke zum Verweilen und Beobachten ein. Diese werden jedoch eher in den Abendstunden genutzt, wenn es etwas kühler wird.
Als letztes Ziel unseres geführten Stadtrundgangs kommen wir auf die Plaza de la Aduana. Es ist der älteste und zugleich größte Platz der Altstadt. Früher diente er als Paradeplatz und war von wichtigen Regierungs- und Verwaltungsgebäuden umgeben.
Als Rathausplatz hat er die alte administrative Funktion bewahrt. Denn das ehemalige Königlichen Zollhaus beherbergt das Rathaus von Cartagena. Mitten auf dem Platz steht ein in Marmor gemeißelter Kolumbus, der den wohl günstigsten und freigiebigsten Bankautomat von Cartagena bewacht.
Allmählich wird die Stimme unseres Stadtführers heiser vom vielen Reden. Wir haben viel gesehen und gelernt. Jetzt wünschen wir uns ein ruhiges Restaurant und vor allem etwas Kühles zum Trinken. Es ist Freizeit angesagt, sodass wir alleine zu einer erneuten Runde durch die Altstadt starten. Bald finden wir in einer der Gassen das Restaurant »Le Petit«.
Perfekt, genau das brauchen wir jetzt. Den kleinen Balkon haben wir ganz für uns alleine. Dort bekommen wir einen Milchkaffee und einen leckeren Lula-Saft serviert. Zusammen mit dem kolonialen Altstadt-Flair um uns herum reicht es, um sich richtig wohl zu fühlen.
Eigentlich haben wir es erst mitten am Tag. Nach unserer Mittagspause im Le Petit nutzen wir das inzwischen herrliche Wetter und spazieren nochmals durch die Altstadt Cartagenas. Bei der Plaza de Bolivar suchen wir uns eine hübsche Palenquera,
die sich für ein paar Peso fotografieren lässt, und spannen dann nochmals den Sonnenschirm auf. Denn eines der wichtigsten Bauwerke der Stadt sind natürlich die Las Murallas, die dicken Stadtmauern.
Spaziergang entlang der Stadtmauer von Cartagena
Bis zum Angriff des Freibeuters Francis Drake im Jahr 1586 war Cartagena nahezu ungeschützt. Die Belagerung Drakes machte deutlich, dass die Stadt mehr Schutz braucht. Somit begannen die Spanier am Ende des 16. Jahrhunderts, eine Mauer zur Verteidigung hochzuziehen.
Doch das Unterfangen stellte sich als schwerer heraus als gedacht. Nach wie vor sahen sich die Bewohner Angriffen von Piraten ausgesetzt. Und das Meer tat mit seinen Stürmen das Seine hinzu. Immer wieder wurde die neue Mauer beschädigt.
Es brauchte eine gewisse Hartnäckigkeit. 1786, also nach gut 200 Jahren, aber war die Mauer dann endlich fertig. 25 Jahre später wurden die Spanier vertrieben. Zurückgelassen haben sie ein herausragendes Beispiel militärischer Bautechnik. Noch heute sind die Las Murallas sehr gut erhalten.
Nur gut 500 Meter zwischen dem Uhrturmgebäude und der Bastion San Pedro Martir beim angrenzenden Viertel La Matuna hat die Regierung der Stadt Mitte des 20 Jahrhunderts schleifen lassen. Der Rest bildet allein durch seine Größe eine für Kolumbien einzigartige Flaniermeile.
Die gesamten 13 Kilometer sind uns in der Mittagssonne aber doch zu viel. An den schönen Ecken der Mauer laden zwar Bars mit einer guten Cocktail-Auswahl zum Verweilen ein. Dort aber trifft man sich eher zum Sonnenuntergang.
Auch wir wollen dort später den Abend beim Café del Mar ausklingen lassen. In der Hoffnung, dass uns Cilfredo einen schönen Tisch reserviert hat, kehren wir bis dahin nochmals zurück zum Hotel und machen uns frisch für den Abend.