Andenberge, ganz gleich wohin das Auge schaut. Dazwischen ein schmales Tal mit Bürotürmen und Apartmenthäusern, die nach dem Himmel zu greifen scheinen. Dazu ein angenehmes Klima, welches Medellín den Beinamen Stadt des ewigen Frühlings einbrachte. Eine Stadt, die zum Wohlfühlen prädestiniert zu sein scheint. Wir wissen es besser.
Viele Jahre haben sich die Einwohner bei Einbruch der Dunkelheit nicht mehr auf die Straßen getraut. Es herrschte Angst vor einem Drogenkartell, welches ein Kopfgeld auf jeden getöteten Polizisten auszahlte und auch sonst nicht zimperlich mit dem Leben anderer umging. Mitten in der Zona Cafetera befand sich anstatt der Kaffeehauptstadt die Kapitale des weltweiten Kokainhandels.
Doch die täglichen Schießereien haben die Stadt und ihre Einwohner längst hinter sich gelassen. Mit dem Tod Pablo Escobars im Jahr 1993 nahm die Gewaltherrschaft ein Ende und wurde die Stadt von einem unerträglichen Joch befreit. Medellín befindet sich im Wandel.
Mehr noch, wegen ihrer rasanten Entwicklung wurde sie zur innovativsten Stadt der Welt erklärt. Sie gilt als ein Vorzeigeprojekt für ganz Lateinamerika und gehört heute zu den für Reisende unkompliziertesten Zielen in Kolumbien.
Auch wir spazieren unbekümmert durch die Stadt und finden nahe dem Stadtwäldchen Parque Lleras das Restaurant La Bronca, wo man inmitten etlicher Pflanzen sowie bei Kerzenschein gemütlich sitzen kann. Verhungern muss hier im Stadtteil El Poblado keiner. Hier reiht sich wieder ein Restaurant an das Nächste. Gerade um den Parque Lleras herum hat man die Qual der Wahl, auch wenn die meisten Läden recht touristisch und für unseren Geschmack viel zu groß wirken.
Wir indes hoffen, bei dem Platz ein Tanzlokal zu finden. Doch da hat man am Wochenende mehr Glück als zu Wochenbeginn. Eine Möglichkeit bietet die Diskothek Tabu, für die wir uns deutlich stärker aufbrezeln müssten. Schließlich zieht es uns in das kubanische Mi Habana, gleich neben der Disco. Anstelle der vermeintlich zu kühlen Klimaanlage gibt es dort Live-Musik und einen Sänger, der sich darüber freut, wenn Gäste auf seinen Vortrag reagieren und Salsa tanzen.
Nach dem Besuch der Comuna 13, nehmen wir am Fuße der Favela den Linienbus und fahren zur Metrostation San Javier. Der Bus ist so klein, dass wir ihn als Gruppe nahezu komplett ausfüllen. Einzig eine Mutter mit ihrem kleinen Sohn findet noch Platz.
Sehr zur Freude des Jungen natürlich, der dankbar die Süßigkeiten der Touristen entgegennimmt, eh wir die Metro erreichen. Ab dort geht es mit der Bahn weiter zur Haltestelle San Antonio, mitten in der La Candelaria von Medellín.
Wir erinnern uns an die Candelaria von Bogota. Sie besitzt noch einen typischen Altstadtcharakter mit engen Gassen und Kolonialhäusern. Hier, in Medellín erstrecken sich stattdessen die Hochschienen der Metro über die Fußgängerzone und beherrschen moderne Hochhäuser das Stadtbild.
Und obgleich dieses Viertel eine der niedrigsten Einwohnerdichten der Stadt verzeichnet, ist hier die reinste Hölle los. Auch das Verhalten unterscheidet sich von dem in der Hauptstadt. In Bogota wurden wir noch von Passanten darauf hingewiesen, dass die Kamera in Gefahr sei. In Medellín eilen indes alle so geschäftig von einem Schnäppchen zum anderen, dass kaum jemand wahrgenommen wird.
Gelassener geht es beim Parque Berrio zu. Dieser ist zwar auch von Menschen überlaufen, doch die meisten tummeln sich um kleine Imbisse und um die musizierenden Cabelleros herum. Und wer in der quirligen Stadt Ruhe sucht, schlüpft einfach in die Basilica de la Candelaria. Sie ist Medellíns bedeutendste Kirche, gleich neben dem Parque Berrio.
Eigentlich sollten wir ja der Orgel Beachtung schenken. Diese wurde in Deutschland hergestellt und mit dem Schiff über den Río Magdalena bis auf die Höhe Medellíns befördert. Für die restlichen 150 Kilometer bis ins Zentrum der Stadt mussten Pferde den Transport übernehmen.
Es ist mal wieder Zeit für eine Mittagspause. In der Carrera 49 lädt das Caféhaus Astor zu gutem kolumbianischem Kaffee und einer Flut an Süßwaren in hunderten Variationen ein. Der Gastraum ist recht groß und wirkt trotz des nachgeahmten Kaffeehaus-Stils etwas kühl.
Die Architektur lässt die Gespräche der Gäste durch den gesamten Saal hallen. Bis auf Lars scheint der stete Lärmpegel jedoch kaum einen zu stören. Hier kommt man her, genießt die geballten Kalorien und sammelt Quark- und Sahneschnitten auf den Hüften.
Dabei fing, wie so oft, einmal alles ganz klein an. Als der Schweizer Henry Baer 1930 in Medellín seinen ersten Tearoom Astor eröffnete, zählte das Etablissement gerade mal eine Handvoll Tische. Den Grundstein für den Erfolg legte der Konditor, indem er seinen damals zehn Angestellten die Kunst der Chocolatiers lehrte.
Körbe voller Schokolade verließen bald täglich den Verkaufsraum. Seine Kundschaft bestand hauptsächlich aus Mitgliedern der höheren europäischen Gesellschaft Medellíns. Nach dem Besuch der eleganten Geschäfte galt es bald als schick, ein paar ausgesuchte Delikatessen und feine Süßwaren des El Astor mitzunehmen.
Besuch vom Café Astor in Medellín
Nach wie vor ist das Astor ein Ort, den auch die Kolumbianer besuchen, um sich für einen Moment als besonders zu fühlen. Sonntags, wenn viele ihre Großmütter in der Stadt ausführen, soll es hier brechend voll sein. Unter der Woche bietet der Saal auch Reisegruppen genügend Platz für ein kleines Mittagessen.
Wir halten uns lieber bei figurfreundlichem Salat. Doch als die Bedienung mit einem Servierwagen voller Kuchenstückchen und kunstvoll gebackener Teilchen zwischen den Tischen hindurch spaziert, können nur die wenigsten der Versuchung widerstehen.
Eindrücke vom Zentrum Medellíns
Nach dem Kaffeehausbesuch spazieren wir weiter zur Plaza Botero und den Kulturpalast von Medellín. Dieses schön verspielte, jedoch etwas seltsam karierte Gebäude wurde vom Belgier Agustín Goovaerts entworfen. Die Arbeiten an dem Projekt begannen 1920. Die Wirtschaftskrise von 1929 ließ des Bauprojekt allerdings stocken, weshalb Goovaerts Kolumbien den Rücken kehrte. Auch wenn das Gebäude zunächst unvollendet blieb, wurde es in den 1930er Jahren eingeweiht. Architekten, die mit dem Weiterbau beauftragt wurden, sahen sich mit Haushaltskürzungen konfrontiert. 1938 wurde das Werk schließlich auf unbestimmte Zeit ausgesetzt.
Erst 1970 erhielt das Gebäude sein heutiges Erscheinungsbild. Die ursprünglichen Pläne Goovaerts fanden dabei allerdings keine große Beachtung mehr. Das Design wurde um die Hälfte gekürzt. Trotzdem wurde es 1982 zum Nationaldenkmal erklärt. 1987 nahm es seinen heutigen Namen zu Ehren von Rafael Uribe Uribe an.
Es beherbergt eine stattliche Sammlung an Gemälden in seinen sonst leeren Räumen. Umso beeindruckender ist die Aussicht, die uns die Dachterrasse des Gebäudes auf der umliegenden Plaza Botero und den mit Palmen geschmückten Innenhof eröffnet.
Das weitaus größere Museum befindet sich außerhalb des Kulturpalasts, auf der Plaza Botero. Hier verteilen sich 23 der überproportionalen Skulpturen des kolumbianischen Künstlers Fernando Botero. Im Laufe seiner Karriere spendete Botero immer wieder Kunstwerke an Bogota sowie auch an seine Heimatstadt Medellín.
Es sind in der Regel keine Unikate. An zwei Nummern im Sockel lässt sich erkennen, wie viele Replikate es von der jeweiligen Form gibt und um das wievielte es sich auf dem Platz jeweils handelt. Wer also von seinen europäischen Städtereisen einen Botero wiedererkennt, sieht hier nicht dieselbe, sondern nur die gleiche Skulptur.
Die bronzenen Nackedeis des Plaza Botero sind natürlich eine beliebte Touristenattraktion. Doch auch die Einheimischen zieht es immer wieder hierher, um Fotos mit ihren Kindern zu schießen. Ein kleiner Junge ist vom besten Stück des »Römischen Soldaten« so begeistert, dass es der Mutter sichtlich peinlich ist. Trotzdem lacht sie uns, wenn auch etwas verlegen, so doch fröhlich in die Kamera.
Wenige Schritte von der Plaza Botero entfernt stehen die Damen aus dem Gewerbe der käuflichen Liebe. Mit der Kolonialkirche Ermita de la Veracruz im Hintergrund haben sie eine edle Kulisse. Wir indes betrachten lieber die Auslage der Geschäfte in der Mall des Nationalpalastes. Der Palast befindet sich in bester Lage inmitten von Medellín. Hinter den romantischen Arkaden können in mehr als 400 Läden Schuhe, Klamotten und auch Souvenirs gekauft werden.
Anders als im Moskauer Luxus-Kaufhaus GUM sind hier die Läden weniger exklusiv. Während bei unserem Besuch im GUM kaum Menschen unterwegs waren, weil sich schlicht kaum ein Moskowiter die Preise leisten kann, herrscht hier dafür entschieden mehr Rummel. Doch auch wenn hier Jeans und Sweatshirts einiges günstiger als in Deutschland sind, bleiben wir bei unserem Motto: Shoppen können wir auch zu Hause und verzichten auf einen Einkaufsbummel.
Unter der Hochbahn hindurch erreichen wir als Nächstes die Plaza de Cisneros. Sie ist nach dem kubanischen Ingenieur Francisco Javier Cisneros benannt, der in Kolumbien Pionierarbeit beim Bau von Eisenbahntrassen leistete. Der Platz war einer der öffentlichen Märkte der Stadt.
Doch immer wieder aufkeimende Bürgerkriege zwangen das wohlhabende Bürgertum, sein Vermögen zu investieren. Sie sahen im Bau einer Markthalle eine gute Wertanlage. Also entstanden die Gebäude Vásquez und Carré und schon hatten die Marktstände ein Dach über dem Kopf.
Allerdings bescherte die Überbauung den Marktverkäufern weniger Umsatz als benötigt, sodass sie von dannen zogen. Bald waren die Gebäude verwaist und blieben sich weitgehend selbst überlassen. Mit der Plaza de Cisneros ging es städtebaulich und sozial rasant bergab. Drogen und Prostitution übernahmen das Viertel. Erst im Jahr 2002 nahm man sich dem Stadtviertel wieder an und investierte Milliarden an Pesos, um den Platz und seine Gebäude zu sanieren.
Das Ergebnis lässt sich sehen. Es entstand ein Wald aus Lichtsäulen, vermischt mit einem großen Bambusgarten. »Heute ist es hier sehr sicher«, erklärt uns Cilfredo zuversichtlich. Einzig sein Gesichtsausdruck erzählt etwas anderes.
Es ist wohl doch besser, bei Dunkelheit einen anderen Weg einzuschlagen, als durch den Park. Und auch die Drogen sind nach wie vor präsent. Nirgends in Medellín fiel uns zuvor der Geruch nach Gras so arg auf wie hier auf der Plaza de Cisneros.