Der Vorteil von Gruppenreisen ist ja, dass allein die Vorfreude genügt, um auf Reisen zu gehen. Sobald der Koffer gepackt und die abenteuerliche Katze bei Nachbarn versorgt ist, erledigt alles Weitere das Rund-um-Sorglos-Programm des Veranstalters. So haben wir selbst zwar einiges über Kolumbien gelesen, Popayán aber irgendwie außer Acht gelassen.
Aber reden wir Tacheles: La Ciudad blanca, also die Weiße Stadt, erreichen wir völlig unvorbereitet. Bis zuletzt wähnten wir hinter dem wohl klingenden Namen ein idyllisches Kolonialstädtchen ähnlich Villa de Leyva oder Raquirá. Doch weit gefehlt. Popayán ist eine Großstadt mit Stau und allem, was dazu gehört bzw. wir gerne drauf verzichten können.
Doch wir kommen schneller voran als befürchtet und erreichen schon bald die Altstadt. Diese macht ihrem Namen als Weiße Stadt Kolumbiens übrigens alle Ehre. Weiß gekalkte Fassaden haben die Stadt berühmt gemacht und die schmalen Gassen verleihen dem historischen Zentrum sogar ein fast idyllisches Ambiente.
Gäbe es nur ein besseres Verkehrskonzept. Scheinbar ziellos schieben sich Kolonnen von Autos durch die Stadt. Für Fußgänger bleibt oft nur ein schmaler Gehweg oder aber der Parque Caldas mit dem autofreien Vorplatz der Kathedrale.
Ob das alles so im Sinne des Stadtgründers Sebastián de Belalcázar war? Wahrscheinlich schon, denn Popayán entwickelte sich nach seiner Gründung im Jahr 1537 rasch zu einem wichtigen Zwischenstopp zwischen Cartagena an der karibischen Küste und Quito in Ecuador. Der Durchreiseverkehr, mit was für einem Gefährt auch immer, war somit von Anfang an geplant.
Da das Klima in Popayán zudem milder ist als in den Zuckerrohrgegenden der Valle de Cauca, ließen sich hier viele wohlhabende Familien nieder. Im 17. Jahrhundert entstanden Herrenhäuser, Schulen, Klöster und Kirchen. Und in einem dieser Kolonialhäusern ist unser Hotel untergebracht, in das wir flugs einchecken, bevor wir auch schon den ersten Stadtrundgang in Angriff nehmen.
Am späten Nachmittag holt uns ein Local Guide beim Hotel La Plazuela ab. Er soll uns die schönen Ecken der weißen Stadt Popayán näherbringen. Leider ist ausgerechnet der späte Nachmittag eine denkbar ungünstige Zeit für Erkundungen in Kolumbien.
Meistens ziehen dunkle Wolken auf und beginnt es zu regnen. So ist der Himmel auch beim Aufbruch zum Stadtrundgang bedeckt, sodass wir vorsichtshalber einen Regenschirm mitnehmen.
Wir beginnen am Parque Caldas, auf dem reges Treiben herrscht. Hier treffen sich die Bewohner der Stadt zum Klatsch und Tratsch, um zu spielen oder um Tauben zu füttern. Andere verweilen einfach auf den Parkbänken, beobachten das Geschehen um sie herum oder dösen einfach vor sich hin. Wir stehen vor der Kathedrale. Sie gehört zu den vielen Gebäuden Popayáns, die beim Großen Erdbeben vom 31. März 1983 schwere Schäden erlitt.
Die Osterprozessionen von Popayán ist als ein besonderes Erlebnis bis über weit die Grenzen Kolumbiens hinaus bekannt. Umso tragischer erscheint es, dass das Erdbeben die Stadt ausgerechnet in der Karwoche während der Feierlichkeiten erwischte. Bei der Kathedrale stürzte die gesamte Kuppel ein. Nach dem Beben wurde die Basilika vollständig rekonstruiert und im Jahr 1986 kam sogar Papst Johannes Paul II hier zu Besuch.
Neben der Kathedrale steht der Uhrturm von Popayán. Auf den ersten Blick wirkt dieser recht unscheinbar. Der Turm wurde aus 90.000 Ziegelsteinen erbaut, was ihn so stabil machte, dass das große Erdbeben nur einzelne Risse verursachte. So konnte er rasch repariert werden,
ohne dass auch nur ein einzelner der Steine bewegt werden musste. Anders erging es der Turmuhr,. Sie ist eine weitere Besonderheit Popayáns, da sie nur einen Zeiger besitzt. Bei den Einheimischen hat ihr dies den Namen »Nariz de Popayán«, also die Nase von Popayán eingebracht.
Die Uhr wurde 1737 von den Priestern der Stadt gestiftet. 1814 wurden Teile von ihr geplündert. Während der Befreiungskriege benötigte man die Bleigewichte als Rohstoff für Geschützkugeln. Die alten Gewichte wurden anschließend durch Steine ersetzt.
Beim Erdbeben von 1983 blieb sie für eine ganze Weile stehen. Erst im Herbst 1998, also gut 15 Jahre nach der Katastrophe erhielt das Uhrwerk eine mehrwöchige Reparatur in England. Nun müsste sie wieder richtig ticken, auch wenn in England die Uhren anders ticken.
Unser Local Guide fragt, ob wir uns lieber auf die Sehenswürdigkeiten der Stadt konzentrieren wollen, oder ob uns auch die Geschichte der indigenen Dörfer der Region interessiert. Auch er ist ein Indianer. Ist das eine Fangfrage? Während Lars und ich uns zurückhalten, preschen zwei in unserer Gruppe vor und erklären,
dass sie eine schnelle Sightseeingtour bevorzugen. Ja, mit Elan lassen sich Fettnäpfchen immer noch am besten abräumen. Andererseits ist das Tröpfeln inzwischen in einen satten Regenschauer übergegangen. Wer will da schon unnötig draußen im Nassen stehen?
Wir gehen also flugs ins Stadttheater, eines der wenigen Gebäude von Popayán, das grün anstatt weiß gestrichen ist. Ein italienischer Architekt hat es im Stil seiner Heimat erbaut. Es bietet Platz für 800 Besucher und umfasst vier Ränge. Was fehlt, ist ein festes Ensemble oder ein Orchester. Die Stadt vermietet das Gebäude stattdessen für private Aufführungen. Ganz in der Nähe des Theaters befindet sich außerdem die Puente del Humilladero, eines der Wahrzeichen Popayáns.
Die 240 Meter lange Ziegelsteinbrücke wird von elf Pfeilern gestützt und stammt aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie sollte die nördlichen Vorstädte besser mit dem Zentrum verbinden. Gleich daneben steht die kleinere Puente de la Custodia aus dem Jahr 1713. Priester sollen sie damals genutzt haben, um die Kranken der Stadt auf der anderen Seite des Flusses zu segnen.
Beim weiteren Rundgang durch Popayán wird der Regen immer ungemütlicher. So sind wir froh, dass wir bald das kleine Museum zur Semana Santa erreichen. Popayán ist eine stark katholisch geprägte Stadt. Deutlich wird dies auch an dem Herrenhaus einer Familie, welche die Mauern mit Motiven aus der Karwoche verziert hat. Was unter normalen Umständen einen längeren Stopp wert ist, verkommt im Regen zur Nebensache.
Jetzt rächt es sich, kein Interesse an der Kultur unseres Guides gezeigt zu haben. Er fühlt sich in seinem Stolz gekränkt. Seine Familie stammt aus einem Indianerdorf, an die 90 Kilometer von Popayán entfernt. Das Dorf war immer arm und wurde lange Zeit von den sozialrevolutionären Guerillas der FARC unterstützt. Längst sind die Indianer katholisch missioniert. Doch langsam besinnen sie sich ihrer Wurzeln und beginnen, die alten Sprachen neu zu lernen.
Lernen wollen in Popayán auch die jungen Leute. Seit Wochen treibt es sie immer wieder auf die Straße, um für ihre Anliegen und Zukunft zu demonstrieren. Wir versuchen, den Demonstrationen aus dem Weg zu gehen und suchen uns am Abend ein geeignetes Restaurant. In der Straße zur Puente del Humilladero waren uns beim Rundgang einige Wirtschaften aufgefallen. Zur Not gäbe es dort außerdem ein gemütlich wirkendes Hotelrestaurant. Wir entscheiden uns für eine kleine Pizzeria. Laut dem Aushang sollte sie geöffnet sein.
Allerdings ist der Eingang ähnlich einer Schleuse doppelt vergittert. Wir fragen nebenan in der Autowerkstatt nach. Der Chef klingelt einfach bei seiner Nachbarin und löst irgendeinen Riegel am äußeren Gitter, als auch schon eine kleine Frau lachend auf uns zueilt und das innere Gitter öffnet. Das Restaurant ist in kleine, gemütliche Séparées unterteilt. Auch wenn wir vom Geplapper der kleinen Frau nur wenige Brocken verstehen, gibt es viel zu lachen. Besonders, als Lars das ständige »besame« des Radiomoderators mit einem »mucho« ergänzt.
Schließlich aber müssen wir zurück ins Hotel. Die Demonstration hat sich inzwischen auf den Parque Caldas verlagert. Das könnten wir noch umgehen. Doch bereits beim Theater kommen uns zahlreiche Polizisten in voller Montur entgegen. Ihren Schutzschild heben sie wegen des starken Regens über den Kopf. Was auch sonst? Wir fragen nach, ob es im Bereich der Demo gefährlich wäre.
»No, sólo son estudiantes inofensivos«, erklärt der Polizist. Viele dieser harmlosen Studenten tragen Kerzen durch die Nacht, was den friedlichen Eindruck noch verstärkt. So trauen auch wir uns ins Gewühl und erfahren, dass die jungen Menschen weniger für ihre Bildung bezahlen wollen und mehr Unterstützung vom Staat fordern. Klingt vernünftig, oder?
Am nächsten Morgen kehren wir vor der Weiterfahrt nochmals zum Parque Caldas zurück. Die Stadtarbeiter sind am Fegen und die Polizei packt langsam ihre Wasserwerfer zusammen. Haben sie etwa so heute Nacht aufgeräumt? Wir wissen es nicht, haben aber einige Hubschrauber über uns kreisen gehört.
Was etwas unschön ist, sind die rußigen Flecken der Kerzen, die an den weißen Gebäuden von der Kerzen-Demo künden. Wir lassen es uns nicht nehmen und labern die Polizisten in ihrem Schildkrötenlook an. Dafür, dass sie Nachtschicht hatten, sind sie recht vergnügt und stellen sich für ein Foto stolz mit ihrem Gummigeschoss in Pose.
Die Hacienda Anacaona in San Agustin haben wir als eine idyllische Unterkunft kennengelernt. Das aus viel Holz errichtete Haupthaus und der Garten laden wirklich zum Verweilen und Entspannen ein. Nach vier Nächten mit einer spartanischen Dusche freuen wir uns aber doch auf ein modernes Stadthotel in Popayan.
Das La Plazuela wirkt durch seine Aufmachung sehr kolonial. Die Zimmer jedoch sind äußert modern und voll funktionstüchtig. So genießen wir endlich mal wieder den Luxus einer Dusche mit ausreichend Druck und richtig heißem Wasser.
Passend zur weißen Stadt Popayán sind die Wände in dem Kolonialhotel weiß getüncht. In einer früheren Epoche war das La Plazuela vielleicht mal ein Herrenhaus der reichen Zuckerbarone. Dafür sprechen zwei hübsche Patios, die mit reichlich Pflanzen und hübschen Sitzplätzen
eine ruhige Oase inmitten der verkehrsgeplagten Altstadt bilden. Das Hotel wurde kurz vor unserem Aufenthalt frisch renoviert. Antike Möbel aus früheren Zeiten werden jedoch nach wie vor genutzt und verleihen dem Gebäude ein elegantes Flair.
Leider wird das Frühstück am Platz serviert, was sich immer unnötig in die Länge zieht. Allerdings mussten wir während der Reise schon länger auf die obligatorischen Eierspeisen warten.
Dafür befinden wir uns sehr zentral, nahe dem Parque Caldas, und können uns am Abend gut zu Fuß von der Gruppe davonschleichen und uns ein romantisches Restaurant in der Altstadt suchen.