Allen Figuren der San-Agustín-Kultur gemein sind der große Kopf, eine breite Nase und große, oft mandelförmige Augen. Zudem sind sie allesamt geometrisch gestaltet. Die meisten haben gewaltige Reißzähne.
Bram Stoker hätte hier seine Inspiration finden können. Doch die Raubtierfänge deuten wohl weniger auf Vampire hin. Sehr wahrscheinlich wurden auf diese Weise die Zähne von Puma oder Jaguar dargestellt.
Es wird vermutet, dass die Stätte von San Agustin keinen Platz für Wohnsiedlungen bot. Es dürfte eine riesige Nekropole gewesen sein, in welcher verschiedene südamerikanische Ethnien ihre verstorbenen Stammesführer überführten und beisetzten. Die Darstellung übernatürlicher Wesen könnte aber auch auf Gräber von Schamanen, Geisterbeschwörern und Priestern hindeuten.
Manche tragen riesigen Ohrschmuck, andere Waffen oder sonstige Geräte in der Hand. Was das alles bedeutet, ist Interpretationssache. So vermuten wir, dass eine Statue ein Kind auffressen will, während die Forscher davon überzeugt sind, es stelle eine Geburt dar.
Von den Grabfeldern führt ein Wanderweg hinab zum Fuente de Lavapatos. Die Fuente Ceremonial de Lavapatos oder einfach: der Lavapatos-Zeremonienbrunnen zählt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten von San Agustín. Etwas oberhalb davon sorgt ein Kiosk für das leibliche Wohl der Besucher. Während das Gros unserer Gruppe bei ihrem Kaffee verweilt, schlendern wir zur Kaskade hinab. Der Guide zweier Kolumbianer erklärt uns die Besonderheiten. Denn das Bachbett des Lavapatos diente als zeremonieller Kultstätte zur Verehrung des Wassers. Sorgfältig wurden die dicken Granitfelsen zu Kanälen und Teichen umgeformt.
Gut zu erkennen ist eine Reihe geschnitzter Platten auf dem Grund der gleichnamigen Schlucht. Die Kanäle, die das Wasser bis zu drei Teichen führen, bilden Silhouetten von Schlangen und Eidechsen. Sie sind mit Schnitzereien von Menschen, weiteren Amphibien oder Amphibien verziert. Wir erkennen außerdem ein in den Stein gemeißeltes Eichhörnchen. Die Bilder daneben sollen eine weitere Geburt darstellen. Wir sind froh, auf die Pause verzichtet zu haben und sogleich ans Wasser gegangen zu sein. Denn um die Kultstätte richtig zu begreifen und die vielen Details im Bachbett zu entdecken, muss man sie eine Weile auf sich wirken lassen.
Leider sorgen Umwelteinflüsse dafür, dass der Fuente de Lavapatos langsam auseinander fällt. Längst ist es verboten, über die Felsen zu laufen. Zum Schutz wurde außerdem ein Dach darüber gespannt. Das Bachwasser selbst kann über einen Kanal an der Kaskade vorbei geleitet werden.
Außerhalb der Öffnungszeiten fällt sie also trocken, sodass zumindest das Wasser aufhört, an der Kultstätte zu nagen. All diese Maßnahmen sind nötig, um das vor hunderten Jahren entstandene Kunstwerk zu schützen.
Durch den Wald geht es wieder zurück zum großen Grabfeld. Wir treffen auf eine hübsche Eule und weitere, grimmig dreinblickende Grabwächter. Auffallend sind die verschiedenen Geschlechter.
Während die Frauen alle Röcke tragen, sind die Männer nackt. Doch der Vormittag ist schon fast herum und ganz in der Nähe gibt es die Megalithstätten von El Tablón, die wir heute Nachmittag ebenfalls noch besuchen wollen.