Die Tatacoa-Wüste zählt zu den besonderen Landschaften Kolumbiens. Die rund 330 km² große Wüste erstreckt sich im Tal des Río Magdalena im Norden der Region del Huila. Neben der Nähe zum Fluss ist die Wüstenbildung auch durch die Lage nahe des Äquators erstaunlich. So wächst hier der Melocactus, eine bei uns beliebte Zimmerpflanze.
Lange Zeit fahren wir westlich des Magdalena-Flusses in Richtung Süden. Dadurch merken wir gar nicht, dass wir eigentlich an der Tatacoa-Wüste vorbei fahren. Nach wie vor ist die Landschaft um uns herum grün. Inzwischen ist es zwar recht warm geworden, doch den Eindruck von Wüste kann auch dies nicht wirklich vermitteln. Irgendwie verläuft die beste, für Busse zu fahrende Strecke durch das südlich gelegene Neiva, da es sonst kaum Möglichkeiten über den Magdalena-Fluss gibt. Und wenn, dann sind die Straßen auf der gegenüberliegenden Seite zu schlecht.
Schließlich erkennen wir, warum Neiva so menschenleer wirkt. Bei einem Brücklein über einen Fluss gibt es einige Sandbänke, die zum Baden und Planschen im frischen Nass einladen. Heute ist ein sogenannter »Brückentag«, der für Europäer nicht so leicht nachzuvollziehen ist.
Doch der 1. November war ein Donnerstag, was nach kolumbianischer Logik einen freien Montag nach sich zieht. Auf jeden Fall haben die Kolumbianer heute frei. So tummelt sich scheinbar das ganze Dorf am Bach.
Auf einer Staubpiste fahren wir langsam weiter, bis wir endlich Wüste erblicken und die für die Tatacoa typischen Felsformationen vor uns auftauchen. Die Sonne steht bereits tief am Horizont. Wenn wir noch etwas von der Wüste sehen wollen, dann sollten wir keine Zeit mehr verlieren. Blöd nur, dass zunächst das Gepäck in unserer Posada abgeladen und das Abendessen vorbestellt werden muss.
Alles braucht seine Zeit – unsere Zeit, die wir eigentlich nutzen wollten, um etwas von der Wüste zu sehen. Schade eigentlich. Bis zur heutigen kurzen Wanderung sind wir mit dem Bus nochmals gut 20 Minuten unterwegs. Und sowie wir unser Ziel erreicht haben, ist die Sonne vollends verschwunden. Die »Blaue Stunde« ist leider eine schlechte Zeit für die Wüste. Wir machen das Beste daraus.
Womit wir allerdings nicht rechnen, ist ein Schwimmbad, das eine Rinne zwischen grauen Felswänden mit seinen leuchtend blauen Becken ausfüllt. Unser Weg führt geradewegs daran vorbei, hinab in eine Schlucht. Nachdem die Vögel längst schlafen gegangen sind, bleiben uns die Kakteen der Art »Melocactus curvispinus« mit ihren auffallend weißen Blütenstandzonen.
Die Schlucht ist eindeutig durch Auswaschungen entstanden, genauso wie die einzeln stehenden Sandsteinformationen. Die Tatacoa-Wüste hat unterschiedliche Gesteinszonen. Hier ist sie grau – und das ist auch so bei Sonnenschein, womit sich zumindest der fotografische Schaden in Grenzen hält. Morgen werden wir nahe unserer Posada die rote Tatacoa kennenlernen.
Ganz in der Nähe der Sternwarte Tatacoa befindet sich die Posada Estadero Sol de Verano Doña Lilia. Sie bietet günstige Übernachtungsmöglichkeiten in der Wüste. Unsere letzte Nacht in der Wüste verbrachten wir in einem Beduinenzelt. Verglichen damit sind die Hütten hier etwas komfortabler ausgestattet. Immerhin haben sie Dusche, Waschbecken und Toilette im Zimmer.
Wobei die Dusche so aussieht, als wäre sie nur selten in Betrieb. Dafür ist das Bett ordentlich. Wer jedoch denkt, er könne die ganze Nacht über die Mücken mit dem Ventilator vertreiben, ist angeschmiert. Am späten Abend wird nämlich der Strom abgeschaltet. Eine gescheite Taschenlampe gehört also ins Reisegepäck.
Die Posada verwöhnt ihre Gäste mit richtig gutem Essen. Wir können zwischen drei Menüs wählen und nehmen, wie üblich, den Fisch. Aber es gibt auch Rindfleisch und die Hausspezialität Ziege. Bis wir von unserem Abendspaziergang zurückkommen,
ist die Tafel gerichtet und kurz darauf wird das Essen serviert. Wir verbringen einen schönen Abend in der Posada, gehen aber trotzdem früh ins Bett, da wir morgen wieder sehr früh aufstehen werden.
Die Zimmer in den Langhäusern sind nur durch eine unverputzte Stein- und Bretterwand voneinander getrennt. Dementsprechend hellhörig ist es. Wir nutzen Ohrstöpsel, denn neben dem zu uns herüber dringenden Schnarchen aus dem Nachbarzimmer poltern auch immer wieder Tierchen über das Dach. Kaum hört das Gerenne auf, da fallen dicke Tropfen auf das Blechdach. Ein Wolkenbruch prasselt herab, und das mitten in der Wüste.
Die Nacht ist also mehr oder eher weniger erholsam. Zumindest ist uns keine Mausefalle unterm Bett aufgefallen, im Gegensatz zu den anderen. Aber wer schaut in solch Unterkünften auch unters Bett? Schön, dass wir so flexibel sind, dass wir bei Bedarf ein paar Kleinigkeiten ausblenden können. Denn wir haben schon in ganz anderen Hütten gewohnt. Für so manchen Städter in unserer Gruppe ist es hier jedoch einfach zu »ländlich«.
Es ist noch fast dunkel, als wir unsere Nasen ins Freie strecken. Auf der Fußmatte vor der Hütte schläft ein Hund. Für ihn ist es noch zu früh, er will weiterschlafen. Wir treffen aber Eringson, unseren Localguide.
Er wird uns während der Tour durch die Wüste begleiten. Dabei geht es weniger ums Verlaufen. Die Tatacoa-Wüste hat einiges an Pflanzen und Tiere zu bieten und genau das ist sein Fachgebiet.
Es kann schon richtig heiß werden in der Tatacoa-Wüste. Manchmal werden Temperaturen bis zu 50°C gemessen. Doch der Wolkenbruch von letzter Nacht zeigt, dass die Tatacoa keine richtige Wüste ist. Übers Jahr verteilt fallen hier gut 1000 mm Niederschlag. Das ist deutlich mehr als bei uns daheim.
Hier indes reicht dies nicht aus, um die Verdunstung durch die hohen Temperaturen auszugleichen. Gebirgszüge der Zentral- und der Ostkordillere fangen einen Großteil der Regenwolken und dadurch auch den Niederschlag ab. Somit ist die Tatacoa eigentlich ein vertrockneter Tropenwald.
Die Gebirgszüge um die Tatacoa herum sorgen zugleich dafür, dass sich die Wüste nicht weiter ausbreiten kann. Und mit 330 km² ist sie eine ziemlich kleine Wüste. Umgerechnet entspricht dies gerade mal 18 auf 18 Kilometer. Zum Vergleich dazu ist die Sandwüste Rub al-Khali im Oman einiges über 1500 mal so groß wie die Tatacoa-Wüste.
Um nicht so schnell von einem zum anderen Ende der Wüste zu gelangen, lässt sich Eringson viel Zeit für unsere Tour. Nein, schon nahe unserer Posada gibt es einiges zu sehen und zu entdecken. So zeigt uns Eringson, wie sich die knallroten Früchte aus den Melocactuses ziehen lassen. Während wir aufpassen müssen, nicht über die kugeligen Melocactuses zu stolpern,
wachsen die Candelarius-Kakteen mit ihren leuchtend weißen Dornen weit in die Höhe. Oft beobachtet uns ein Falke von einer ihrer Spitzen. Dazwischen recken Opuntioideae ihre blattförmigen Stacheltriebe fies in die Landschaft. Insgesamt gibt es sechs verschiedene Kakteen-Arten. In Berührung wollen wir mit keiner kommen.
Während wir zwischen den Kakteen umher schlendern, schlafen einige Besucher der Wüste noch tief und fest in ihren Zelten. Bei unserer Posada gibt es extra dafür einen kleinen Zeltplatz.
Daneben scheint aber auch das Wildcampen möglich oder zumindest gängige Praxis zu sein. Einige der Camper genießen bereits die ruhigen Morgenstunden. Die übrigen werden wohl spätestens mit der aufgehenden Sonne munter.
Bei der etwas »weniger« komfortablen Posada La Guaca führt ein Pfad hinunter in die rote Wüste. Ein gut angelegter Wanderweg soll Besucher davor abhalten, die empfindliche Vegetation zu zertrampeln. Mit dem Hinweis, dass es hier auch Skorpione gibt, klappt das sogar ansatzweise. Die Tatacoa hat ihren Namen von einer hiesigen Schlangenart. Wobei es sich bei einer Tatacoa eher um eine Amphisbaena alba, also eine Blindschleiche handelt,
die vorwärts und rückwärts schleichen kann. Angst brauchen wir keine zu haben. Zum einen ist das Reptil ungefährlich, zum anderen leider in der Tatacoa-Wüste längst ausgestorben. Doch scheinbar bezeichnen Kolumbianer auch kratzbürstige Frauen als Tatacoa. Im Gegensatz zu den Blindschleichen handelt es sich dabei um eine sehr erfolgreiche Spezies, die selbst in so einer entlegenen Gegend hin und wieder anzutreffen ist.
Der erste Teil auf dem Wanderweg durch die rote Wüste ist übersichtlich. Wir finden einen Haufen Vulkan-Asche vom letzten Ausbruch des nahe gelegenen Vulkans. Es sind für Asche gewaltige Brocken. Gleich dahinter erreichen wir die Karstlandschaft. Auch wenn die ausgewaschenen Täler nicht sonderlich tief sind, sind wir in diesem Bereich von roten Wänden umgeben und ist kaum auszumachen, ob ein Pfad in einer Sackgasse endet,
oder ob sich der Weg um den nächsten Hügel herum fortsetzt. Wir haben ja einen Guide. Der weiß, wo es lang geht. Leider erreichen wir nur allzu bald die Sternwarte, wo die Tour endet. Frühstück ist angesagt. In anderthalb Stunden ist Abfahrt nach San Agustin. Es steht also eine weitere lange Fahrt auf dem Programm. Und wie wir unsere Gruppe bereits kennen, wird es unterwegs reichlich zu Essen geben.
Wir verzichten also auf das Frühstück und brechen gleich wieder in die rote Wüste der Tatacoa auf. Bis auf zwei Esel, die uns misstrauisch beobachten und uns lieber aus dem Weg gehen, spazieren wir diesmal in trauter Zweisamkeit durch die Stille der winzigen Täler. Es ist herrlich und richtig überraschend, dass hier wirklich niemand anzutreffen ist.
Als kleiner Wermutstropfen jedoch ist der Himmel weitgehend bedeckt. Eigentlich sollte man mindestens zwei Nächte in der Wüste verbringen, um das Karstgebirge mit seinen schönen Farben richtig zu erleben. Andererseits sind wir gespannt, was San Agustin Schönes zu bieten hat.