Drei gewaltige Talkessel bilden das Innere der Insel La Réunion. Wie ein Kleeblatt gruppieren sich die Cirques von Salazie, Mafate und Cilaos um den 3071 m hohen Vulkan Piton des Neiges. Wir starten unsere Reise mit dem Cirque de Salazie. Als größter der drei Talkessel ist er am leichtesten zugänglich und am besten erschlossen. Dadurch leben hier auch deutlich mehr Menschen als in Cilaos und Mafate. Mit seiner Ausrichtung nach Nordosten ist der Cirque de Salazie zugleich der feuchteste und grünste der drei Cirques. Selbst in der Trockenzeit gehen insbesondere in den höher gelegenen Wäldern auch kräftigere Regenschauer nieder. Sie speisen die vielen Wasserfälle, die teils mehrere 100 Meter tief in den Talkessel stürzen und von denen einige bereits von der Hauptstraße aus zu sehen sind. Daneben wird die Landschaft von Bananen- und Chouchou-Feldern geprägt, die von dem feuchten, aber milden Klima profitieren. Auch bei unserer Ankunft nieselt es leicht. Damit verschieben wir unsere erste Wanderung auf den nächsten Morgen und erkunden lieber Hell-Bourg. Dank seiner kreolischen Häusern wurde der im oberen Talkessel gegründete Ort 1999 als eines der schönsten Dörfer Frankreichs ausgezeichnet.
Aufnahmen vom kleinen Ortszentrum und der Umgebung von Hell-Bourg im Cirque de Salazie auf La Réunion. Eindrücke der Wasserfälle Cascade du Voile de la Mariée.
»Ein guter Platz zum Leben« - auf madagassisch »Soalazy« - so nannten die entflohenen und in den Bergen Schutz suchenden Sklaven die Gegend. Sie waren die ersten Menschen, die in den schwer zugänglichen Talkessel siedelten. Später kamen verarmte weiße Kleingrundbesitzer auf der Suche nach neuem fruchtbaren Boden für Obst und Gemüse hinzu. Gemeinsam entwickelten sie eine kreolische Lebensart, die noch heute beim Essen und der Architektur zu erkennen ist. Schließlich zog es auch reiche Plantagenbesitzer nach Salazie. Sie fanden in der kühlen Bergluft Erholung und ließen es sich in den Thermalquellen gut gehen.
Leider versiegten die heißen Quellen ab 1920 langsam. Zunächst versuchte man das Wasser chemisch zu erhitzen. Allein der Erfolg war nur von kurzer Dauer. 1948 löste ein Zyklon einen Erdrutsch aus und zerstörte die Therme. Doch auch wenn von dem Thermalbad nur noch eine Ruine erhalten ist, spielt die Gegend im Fremdenverkehr eine große Rolle. Ruhe, wunderschöne Häuser, viele Wanderwege und mehrere Restaurants und Hotels machen Salazie und Hell-Bourg zu einen Anziehungspunkt für jede Menge Touristen.
Cimetiere Paysager - der Friedhof von Hell-Bourg
Ein ausgedehnter Spaziergang führt uns an den bunten, kreolischen Häusern vorbei. Teilweise sind diese noch mit den typischen Ausguck-Erkern aus früheren Zeiten verziert. Die meisten Häuser verstecken sich hinter Gartenmauern, erlauben uns aber trotzdem genügend Einblicke. Allerdings ist unser Erscheinen für die nahezu allgegenwärtigen Wachhunde ein willkommener Anlass, sich lautstark bemerkbar zu machen. Ob die herumlungernden Arbeitslosen in der Hauptstraße ein Grund für die tierische Überwachung ist? Wir wissen es nicht und genießen abseits der Häuser erst einmal für eine Weile die Ruhe auf dem Friedhof. Während uns dieser auf der einen Seite ein wahres Blumenmeer bietet, tritt auf der anderen Seite der Platzmangel auf der Insel offen zu Tage. Auf Grabstellen, die in Deutschland für ein bis zwei Verstorbene gedacht sind, stehen hier jede Menge Kreuze eng aneinander und vereinen teils mehrere Generationen der Familie auf kleinstem Raum.
Bei uns kommt Hunger auf und wir kehren zurück zur Hauptstraße. Wir haben Glück und sind noch knapp in der Mittagszeit. In der winzigen Dorfpizzeria bemüht sich der Chef persönlich, uns die französische Karte zu übersetzen, so gut es geht. Lars bleibt dennoch bei Pizza (Pizza de la Fournaise), während ich den kreolischen Salat probiere. Unser für beides geltendes Fazit: So lecker! Wir sind so ziemlich die letzten Gäste, die mit Essen versorgt werden. In Frankreich schließen viele Restaurants nach der Mittagszeit oder bieten nachmittags nur noch Getränke an. Wären wir etwas später angekommen, hätten wir bis am Abend warten können, wenn die ersten Restaurants ab 19:30 Uhr wieder öffnen. Für viele Wanderer sind diese abendlichen Essenszeiten einfach zu spät. Als Alternative gibt es aber einen gut sortierten Supermarkt. Dadurch können wir uns mit Käse, Kräckern und guten französischen Wein eindecken und die Abende schlemmend auf der Terrasse verbringen.
Da wir für die Wanderung zum Grand Sable früh am Morgen gestartet sind, haben wir nachmittags noch Zeit, die Aussichtspunkte im Talkessel von Salazie abzuklappern. In der engen Schlucht des Rivière du Màt können wir gut erkennen, dass der Cirque de Salazie mit reichlich Niederschlägen gesegnet ist. Überall wo es halbwegs flach ist, bestimmen grüne Chouchou-Felder das Landschaftsbild. Schauen wir nach oben, blicken wir zu steil abfallende Felswände, über die ganze Bäche in die Tiefe stürzen. Wir fragen uns, wo das viele Wasser herkommt, denn soviel hat es die letzten Tage gar nicht geregnet. Oberhalb der Steilwände aber erstrecken sich Regenwälder, welche die Wasserfälle das ganze Jahr über mit Wasser speisen. Einer davon ist der Cascade du Voile de la Mariée, der Brautschleier-Wasserfall. Diese Bezeichnung kennen wir schon aus anderen Ländern. Wie in Kanada beim Bow Summit oder in Kalifornien im Yosemite-Nationalpark ist der Name auch hier passend.
Der Parkplatz bei der Kirche Notre Dame de l'Assomption bietet sich für den nächsten Stopp an. Das kleine Dorf Salazie ist schattig in der Schlucht gelegen und wird von den meisten Touristen auf dem Weg nach Hell-Bourg einfach nur durchfahren. Die markante Kirche mit der Muttergottes auf dem Giebel und das von Blumen umgebene Hotel de Ville de Salazie, also das Rathaus, bilden den Ortskern, der durchaus sehenswert ist.
Von dort fahren wir weiter zur Cascade Blanche, dem »Weißen Wasserfall«. Mit einer Gesamthöhe von 640 Metern ist er einer der höchsten Wasserfälle der Erde. Eine imposante Sicht auf den Wasserfall bietet das gleichnamige Restaurant direkt an der Durchgangsstraße. Doch leider bleiben wir im Verkehrsstau stecken. Was die Ursache ist, bleibt uns verborgen, aber nachdem eine ganze Weile Stillstand herrscht, ohne dass uns auch nur ein Fahrzeug entgegenkommt, kehren wir um. Bei den Sackgassen in die engen Schluchten fehlen meist Ausweichstrecken, wie auch beim Talkessel von Salazie. So machen wir uns wieder auf den Rückweg nach Hell-Bourg und genießen kurz vor dem Ort noch einen Rundblick auf die Berge, die sich nun wieder in Wolken hüllen und auf den nächsten sonnigen Morgen warten.
Etwas oberhalb von Hell-Bourg befindet sich die Anlage des Hotel Les Jardins d'Heva. Als Erstes betreten wir in einen kleinen und mit Souvenirs überfüllten Andenkenladen. Er dient gleichzeitig als Rezeption, wo wir superfreundlich empfangen werden. Hilfsbereit schreibt die Chefin unseren Veranstalter wegen der fehlende Voucher an, allerdings erst, nachdem sie uns vom Laden über eine breite Treppe zu den Doppelbungalows geführt hat. Dort bekommen wir zwei Zimmer zur Auswahl. Das zweite ist zwar etwas düsterer als das erste, aber ich fühle mich beim Eintreten sofort wohl, dass ich mich dafür entscheide. Die verschiedene Gestaltung der Räume soll die ethnische Vielfalt von La Réunion widerspiegeln. Eine Idee, deren Umsetzung in den Jardins d'Heva, den Gärten der Heva, sehr schön gelungen ist.
Von außen sind die Bungalows wahlweise verputzt oder geschindelt. Die Zimmer selbst sind schlicht, aber gemütlich eingerichtet. Da wir uns auf einer Höhe von 1100 m befinden, kann es nachts stark abkühlen. Dagegen helfen reichlich Decken und eine Vortüre, die wir abends schließen. Zudem empfiehlt uns die Chefin, ab vier Uhr die Handtuchheizung im Bad einzuschalten, um das Zimmer etwas aufzuheizen. Das befolgen wir gerne, zumal unsere Wassersandalen noch von den ersten Tagen auf den Seychellen feucht sind und erst auf der Heizung richtig trocknen.
Vor jedem Häuschen befindet sich eine Terrasse mit verschiedenen Sitzmöglichkeiten. Eingewickelt in Decken verbringen wir hier unsere Abende mit einem Gläschen Rotwein. Um uns herum haben wir eine schön gepflegte Gartenanlage mit Bananenstauden, riesigen Rosmarinbüschen und Orchideen. So lässt es sich hier bestens aushalten, zumal es trotz der nahen, zum Glück nur schwach befahrenen Straße angenehm ruhig ist. Einzig die knatternden Hubschrauber, die ab den frühen Morgenstunden über die Talkessel schwirren, sind etwas gewöhnungsbedürftig.
Frühstück gibt es im Hotelrestaurant. Wer früh aufsteht, hat hier oben mehr vom Tag. So erwartet uns am nächsten Morgen ein strahlend-blauer Himmel und wo wir bei der Ankunft noch in tief hängende Wolken blickten, reihen sich am oberen Talrand hohe Berge aneinander. Das ist typisch für Réunion. Und da es in den Talkesseln genauso typisch ist, dass schon am späten Vormittag neue Wolken aufziehen, kommen wir eine halbe Stunde zu zeitig zum Frühstück. Macht aber nichts – in Hell-Bourg sind die Menschen dies offenbar von den Wanderern gewöhnt – es ist fast alles schon gerichtet.
Zu unserer Begeisterung gibt es fünf Sorten Käse zur Auswahl, vernünftige Salami, Kochschinken, Tee, Kaffee, genügend Saft, selbstgemachte Marmelade, streichzarte Butter und richtig gutes Baguette – und das alles auf einer Insel im Indischen Ozean! Am Abend gibt es dann ab 19:30 Uhr ein kreolisches Menü oder auch Büfett. Gemessen an der Qualität vom Frühstück ist dies sicher auch gut. Wir haben aber darauf verzichtet, weil es uns einfach zu spät ist. Wer will, kann sich im Hotel außerdem nach Voranmeldung massieren lassen oder die Sauna und das Hammam benutzen.
Für Wanderer und Autoreisende ist das Hotel ein guter Ausgangspunkt. Der Parkplatz reicht genau für die Anzahl der Zimmer und Gäste. Dieser wird Abends geschlossen. Um rein und raus zu kommen, gibt es zwei Codes – einen für das Tor zum Hof mit dem Parkplatz, den anderen für das Fußgängertor. Wer eine Mehrtagestour unternimmt, kann sein Gepäck hier deponieren. An unserem Abreisetag können wir das Auto erst einmal mitsamt Gepäck sicher stehen lassen und noch eine Wanderung unternehmen. Auch dadurch hat uns das Hotel Les Jardin d'Heva einen wunderschönen Auftakt auf La Réunion ermöglicht.