Neun Tage haben wir inzwischen im Gebirge von La Réunion verbracht. Damit wird es langsam Zeit, auch die Küstengebiete der Insel kennenzulernen. Wir fahren in den kleinen Ort Petite Île. Das Meer ist noch ein ganzes Stück entfernt, aber in Sichtweite. Nach den vielen Kehren auf der N5 hinunter von Cilaos, wäre es mit Sicherheit angenehmer gewesen, die Küstenstraße N2 bis nach Petite Île zu nehmen. Wir aber vertrauen unserem Navi, welches uns wie schon so oft eine abenteuerliche Tour beschert. Anstelle auf breiten Straßen unterwegs zu sein, begrenzt hohes Zuckerrohr die ohnehin schon unübersichtlichen und engen Straßen. Zudem müssen wir auf riesige Landwirtschaftsfahrzeuge achten bzw. denselben irgendwie ausweichen. Aber gut, unser Navi ist vieles, aber ganz sicher nicht langweilig.
Petite Île ist eine von Landwirtschaft geprägte Gegend, die nach einer kleinen Insel direkt vor der Küste von Réunion benannt ist. Es ist die einzige Insel, die zu La Réunion gehört, wobei der Begriff Insel allerdings schmeichelhaft gewählt ist. Großer Felsen wäre passender. Da er zum Bewohnen zu klein ist, bietet er zahlreichen Vögeln eine Brut- und Heimstätte. Uns interessiert indes der Ortskern der Gegend, bei dessen Kirche wir auf Anhieb einen Parkplatz finden.
Noch immer auf 400 Meter über dem Meeresspiegel müssen wir uns bald eingestehen, dass der Ort selbst nur wenig zu bieten hat. Es gibt zwar einige traditionelle kreolische Häuser, aber wegen der Durchgangsstraße ist es recht laut und weniger idyllisch. Ein Lichtblick ist eine freundlich eingerichtete Boulangerie, eine Bäckerei, die uns eine riesige Auswahl an leckeren Snacks bietet und wo wir uns erst einmal einen guten Kaffee gönnen. Schön finden wir, dass wir in die Backstube blicken können, wo der Bäcker gerade die nächsten Brezel richtet. Darin sieht man, dass die Réunionesen wert auf wirklich frische Backwaren legen, anstatt einfach irgendwelche Fabrikware aufzubacken.
An der Kreuzung bei der Bäckerei ist der Piton du Calvaire ausgeschildert. Wir folgen dem Weg an der Straße entlang immer bergauf und gelangen bald an einen großen Friedhof. Wie bei Hell-Bourg steht auch hier ein Grab am anderen, überfüllt mit kleinen Kreuzen. Dazwischen sind ein paar einzelne Gruften den wohlhabenderen Familien vorbehalten. Erschreckend auffallend sind die vielen jungen Leute und Kinder, die hier begraben sind. Wie hoch ist eigentlich die Lebenserwartung auf der Insel? Darüber konnte ich nirgendwo etwas finden.
Oberhalb vom Friedhof kommen wir auf den Kalvarienberg. Nach einer Marienkapelle beginnen die Stufen mit den Stationen der Passion Christi. An der 14. Station beim Gipfel sind an einer Mauer etliche Merci-Tafeln angebracht. Jährlich am 14. September ist dieser Berg Ziel mehrerer zehntausend Gläubiger. Sie bedanken sich und genießen mit Sicherheit auch den eindrucksvollen Panoramablick, den wir von hier über die Küstenlandschaft von Saint-Piere haben.
Mit der Gîte Piton des Neiges hatte sich für uns die Sache Gîte auf La Réunion eigentlich erledigt. Lieber ein kleines gemütliches Hotel als eine kalte Berghütte. Umso erstaunter sind wir bei der Ankunft beim L'Orky-Mel. Laut dem Schild an der Einfahrt zählt es ebenfalls zur Kategorie Gîte. Etwas versteckt in einer engen Seitenstraße ist es idyllisch zwischen den vielen Zuckerrohrfeldern gelegen. Doch es besitzt keinerlei Ähnlichkeit mit den anderen Gîtes, in denen wir bis jetzt nächtigten. Viel mehr ähnelt es einem hübschen Familienhaus. Als wir eintreffen, sind gerade Bauarbeiter damit beschäftigt, einen Pool im Garten zu bauen. Sie können sich Zeit lassen. Denn bei der steifen Brise, die uns empfängt, bräuchte es doch eine gute Portion Mut, ins Wasser zu hüpfen. Im Südsommer werden hier wohl eher Badetemperaturen herrschen.
Wir sind etwas zu früh dran für das Einchecken in einer Gîte , weshalb Christine, die Mutter im Haus, noch mit den Einkäufen beschäftigt ist. Egal, die Putzfrau weiß auch, wo die Schlüssel sind und führt uns zum Zimmer. Eine Art Wintergarten bildet den Vorraum zu den zwei großen Zimmern. Dieser ist ausgestattet mit Küche, Waschmaschine und Sitzmöglichkeiten. Die beiden Zimmer sind in den Keller hineingebaut, haben aber höher liegende Fenster, die etwas Sonnenlicht hineinlassen. Da die Ausstattung sehr hochwertig ist, sind wir zufrieden. Eine Besonderheit in der Gîte ist die Dusche, die so eingestellt ist, das ein perfekter Landregen von oben auf uns nieder prasselt. Auch praktisch ist der Handtuchtrockner, bei dem wir unsere Badesachen wieder trocken bekommen.
Sehr gesund ist das Essen in der Gîte L'Orky-Mel. Einige der Früchte und das Gemüse kommt vom eigenen Bauernhof der Familie, wie zum Beispiel Maniok, Papaya, Tomaten, je nach Saison Ananas und viele andere Sachen. Auch hat Christine Freude daran, Liköre mit Litschi und anderen Früchten herzustellen, mit denen sie ihre Gäste verköstigt. Der Litschibaum steht übrigens gleich vor dem Haus. Trotz der Küche bei den Zimmern wäre es schade, sich selbst zu verköstigen. Das Abendessen ist eines der Aushängeschilder des Hauses.
Sehr familiär verwöhnen Christine und ihr Mann Jean ihre Gäste am Abend und auch zum Frühstück. Wenn es seine Arbeitszeiten zulassen, hilft ihr Sohn Florian mit, der aus dem Hotelfach kommt und genauso gut und gerne kocht. So bekommen wir beide Abende ein leckeres kreolisches Menü serviert, wie sonst nirgendwo auf der Insel. Am ersten Abend sind wir nur vier Gäste und Christine ist alleine. Sie spricht zwar nur französisch, nutzt aber einen Tablet-PC mit Übersetzungsprogramm, um sich uns mitzuteilen und die einzelnen Gerichte zu erklären. Man weiß sich einfach zu helfen, wunderbar.
Am zweiten Abend ist »die Bude« voll. Es wird für 12 Leute gekocht. Auch das ist kein Problem. Weder bei der hübsch gedeckten Tafel, noch beim Essen. Beim Kochen sind die Gäste herzlich zum Zuschauen eingeladen. Der Junior kocht Fisch und erklärt uns - er spricht englisch - dass kreolisch Kochen gar nicht so schwierig ist. Man braucht nur jede Menge Zwiebeln und Knoblauch, außerdem Tomaten und zum Würzen eine Hand voll Thymian sowie ein Löffel voll Kurkuma, Fleischbrühe und süßsaure Sojasoße. Am Schluss kommt der Fisch und ein Schluck Wasser dazu und nach etwas Garen haben wir ein super leckeres Abendessen.
Mit einen leckeren Papayapunsch beginnt unser kreolischer Abend, der sich bald als sehr kurzweilig und unterhaltsam entpuppt. Wir sitzen am Tisch mit lauter Franzosen und einer Deutschen. Ein französisches Paar kommt aus dem Elsass und spricht sogar ein wenig Deutsch. Es ist ein wunderbarer Abend, bei dem wir köstlich unterhalten und noch köstlicher mit verschiedenen Leckereien verwöhnt werden. Gîte geht also auch anders und wir sind froh, dass wir Gäste bei Christine, Jean und ihrem Sohn Florian sein durften, eh wir zu Bett gehen und uns auf das ebenfalls sehr leckere Frühstück mit frischen Früchten freuen.
Vorbereitung eines kreolischen Abends in der Gîte L'Orky-Mel bei Petite Île im Süden von La Réunion.