Die letzte Burg unseres ersten Tags im Gauja Nationalpark befindet sich in Cesis, im mittelalterlichen Wenden. Wer mehr Zeit für den Ort einplant, findet auch im Umfeld einige Attraktionen. Zu den Höhepunkten zählt das Freilichtmuseum Araisu ezerpils im Araisi See. Archäologen haben hier die Reste von rund 150 Pfahlbauten aus dem 9. Jahrhundert freigelegt und Teile der Siedlung anhand alter Funde rekonstruiert. Die Anfahrt zum Museumsdorf erfolgt ab Cesis über die P20 Richtung Süden (gps 57.2499, 25.2804).
Da wir selbst erst am späten Nachmittag in Cesis oder auch Wenden - so der deutsche Name - ankommen, belassen wir es indes bei der Besichtigung der Ordensburg und einem Spaziergang im Ortszentrum. Dabei kommen wir am Neuen Schloss von Cesis vorbei, das in seinen Räumen das Museum für Geschichte und Kunst beherbergt. Daneben bietet das Neue Schloss Führungen und Ritterspiele mit Bogenschießen, Kräftemessen und Geschicklichkeitsspielen an.
Wenige Schritte südlich vom Schloss steht die Johanniskirche. Die im 13. Jahrhundert durch den Livonischen Orden gebaute Kirche ist eines der ältesten Architekturdenkmäler von Lettland. Mit 65 Metern in der Länge und 32 Meter in der Breite sowie dem 65 Meter hohen Glockenturm ist die in drei Schiffe untergliederte Kirche die größte mittelalterliche Basilika außerhalb von Riga. Ihre Bedeutung rührt auch daher, dass der Orden während der Christianisierung des Baltikums in Cesis seine Residenz hatte. Damit war Cesis zwischen 1237 bis 1561 eines der wichtigsten Zentren der Deutschen. Vom Kirchturm aus soll die Sicht bis zum 27 km weiter nördlich gelegenen Blauen Berg (Zilais kalns) reichen, obwohl sich die Kirchenschwelle nur 100 Meter über dem Meer befindet.
Als wir im Anschluss des Burgbesuchs ein zweites Mal durch den Park südlich der Festung spazieren, gelangen wir über die Torna iela auf den Rožu laukums, dem Stadtplatz von Cesis. Auch dieser existierte bereits im Mittelalter und diente dazu, wichtige Verordnungen öffentlich zu verkünden. Daneben wurden hier allerdings auch Straftäter unter den Augen der Bewohner hingerichtet. Heute geht es zum Glück friedlich auf dem Stadtplatz zu und laden mehrere Restaurants und Cafés am Platz und in den umliegenden, mit Kopfsteinpflaster versehenen Gassen zum Verweilen ein. Doch auch auf dem Platz selbst können wir es gut eine Weile aushalten, eh wir zurück zum Auto laufen und weiter zum Adlerfelsen, unserem letzten Ziel des Tages, fahren.
Als wir die Ordensburg von Cesis erreichen, ist es kurz vor halb fünf. Wenn man bedenkt, wie lange es auch schon im April im Baltikum hell bleibt, ist das in etwa später Nachmittag. Davon unbeeindruckt schließt die Burg im Frühjahr dennoch um 17 Uhr. Vom 1. Mai bis Ende September ist die Burg bis 18 Uhr geöffnet. Als Folge will uns die nette Dame beim Einlass nicht so sehr gerne mehr in die Burg hineinlassen, da die Zeit zu knapp ist, um das Museum und die Festung anzuschauen. Nachdem wir erklären, dass es uns einzig um die Burg geht, ist das Problem aber auch schon gelöst und der Weg in die Anlage frei.
Gleich danach bekommen wir eine Laterne mit brennender Kerze. Auf diese sollen wir gut acht geben, da es in den inneren Räumen der Burg kein Licht gibt. Mit anderen Worten: ohne der Laterne stehen wir dann im Dunkeln. Das ist doch mal eine schöne Idee, die uns schon gleich zu Beginn die mittelalterliche Ordenszeit ein kleines Stückchen näher bringt. Mit der Laterne halten wir übrigens das seit 2004 offizielle Wahrzeichen von Cesis in der Hand. Zurück geht dies auf Ausgrabungen im Jahr 1986, bei denen beim westlichen Turm eine Laterne zu Tage kam. Nach einer genaueren Untersuchung datierten die Archäologen sie auf das 16. Jahrhundert, womit sie zu den ältesten, noch erhaltenen Laternen von Cesis zählt.
Die große Bedeutung des an sich einfachen Gebrauchsgegenstand erklärt sich auch aus einer Sage. So sollen sich unter der Burg von Cesis einige Keller befinden, in denen allerlei Dinge gelagert seien. Dazu zählte auch eine eherne Truhe, die prall voll mit Gegenständen aus Gold und Silber gefüllt sei. Das Problem bei der Sache: oben auf der Truhe saß ein großer Hund, der über den Schatz wachte. Zudem soll es in dem Keller mehrere unterirdische Gänge gegeben haben. Während die meisten Menschen die unheimlichen Räume unterhalb der Burg mieden, wagte es ein Lausbub, sich unten umzusehen. Nachdem er bereits einige Zeit verschwunden war, tauchte er plötzlich bei einer Sandsteinhöhle im Schlosspark wieder auf. Dabei soll er eine große, aus Silber gefertigte Laterne getragen haben. Allerdings hatte es ihm bei dem Abenteuer die Sprache verschlagen, so dass er niemanden erzählen konnte, was ihm dort unten widerfahren war.
Räume, Wendeltreppe und Dach in der Ordensburg Cesis
Mit dieser schönen, wenn auch traurigen Geschichte beginnen wir unseren Rundgang durch die Burg. Den Grundstein zu der Festung legten im Jahr 1209 auch hier die Kreuzritter des Schwertbruderordens. Nach mehreren Vergrößerungen der Ordensburg und ihrer später drei befestigten Vorburgen diente sie von 1237 bis 1561 als Residenz des Meisters des Deutschen Ordens und war damit zugleich der Hauptsitz der Schwertbrüder. Die Blütezeit der Burg Wenden endete 1577, als Truppen von Ivan dem Schrecklichen Cesis belagerte. Damit weder sie noch die Burg in die Hände des Tyrannen fielen, sprengten sich die Ordensbrüder mitsamt der Festung selbst in die Luft. Später wurde die Burg Wenden wieder aufgebaut, während des Großen Nordischen Kriegs aber im Jahr 1721 erneut zerstört und danach aufgegeben und sich selbst überlassen.
Nachdem wir uns zunächst die liebevoll rekonstruierten Außenanlagen mitsamt mehrerer parat gelegter Kanonenkugeln angeschaut haben, kommen wir zum Westturm. Den Hinweis, dass die Treppen im Turm eng und dunkel sind, nehmen wir wohlwollend zur Kenntnis. Schließlich sind wir mit unserer Laterne bestens gerüstet. Sowie wir den oberen Teil des Turms erreichen, öffnet sich uns eine schöne Sicht über den 1812 angelegten Schlosspark und die Johanniskirche. Auch die Außenmauern und die Reste der alten Kammern unterhalb der neuen Brücke lassen sich so gut überblicken.
Anschließend wechseln wir über ein nach oben offenes Gebäude in den Hauptturm. Bemerkenswert ist das aufwendig rekonstruierte Holzdach, welches mithilfe von Seilen zusammengehalten wird. Schließlich kommt nochmals unsere Laterne zum Einsatz, als wir in den Keller hinuntersteigen. Es vermittelt uns einen guten Eindruck, unter welch erbärmlichen Bedingungen Gefangene damals ihr Dasein fristen mussten. Da sind wir doch froh, schon bald wieder unbehelligt ans Tageslicht zurückkehren zu können. Wenig später endet dann auch schon unser kurzer, aber spannender Besuch.