Riga ist eine Stadt des Jugendstils. Fast ein Drittel aller Gebäude sind Jugendstilbauten. Als am eindrucksvollsten gelten dabei die Häuser in der Alberta iela in der Neustadt. So wollen auch wir dieses Stadtviertel kennenlernen und machen uns auf den Weg. Na ja, in Riga ist alles so nah beieinander, dass wir die Albertstraße vom Basteiberg aus nach gut einer Viertelstunde erreichen. Dort angekommen, blicken geheimnisvolle Gesichter von den Fassaden auf uns hinab. Um Ostern sind die Bäume noch frei von Laub. Damit sollte die Sicht auf den Jungendstil eigentlich ungetrübt sein. Leider aber steht die Straße während unserer Aufenthalts voller Blech – dann doch lieber belaubte Bäume!
Auch wenn der Jugendstil zur Wende zum 20. Jahrhundert nur kurz weilte, so erlebte Riga gerade in dieser Zeit dank der Hanse eine wirtschaftliche Hochkonjunktur. Es kam zu einem raschen Bevölkerungszuwachs, der eine intensive Bautätigkeit mit sich brachte. Die Stadt war auf einmal wohlhabend. Natürlich wollte man dies zeigen und mit anderen europäischen Städten wie Wien, Barcelona, Brüssel oder gar Paris gleichziehen. So wurden Bürgerhäuser mit den typischen Ornamenten dieser einprägsamen Kunstrichtung verziert. Innerhalb weniger Jahre entwickelte sich Riga zu einer der Metropolen des Jugendstils, auch wenn dieser vor allem eine architektonische Visitenkarte der Oberschicht war.
Während der kurzen Blütezeit des Jugendstils müssen auch die Künstler, Steinmetze und Stuckateure einen ungeahnten Boom erlebt haben. Denn allein in der Alberstraße zieren unglaublich viele der teils verspielten, teils abstrakten Ornamente, Pflanzen, Tiere, Fratzen und freundliche Gesichter die Fassaden, Fenster und Eingänge. Auffallend ist die nackte Weiblichkeit, die üppig und schön an den meisten Bauwerken vertreten ist. In den nächsten Jahren werden noch einige hinzu kommen. Denn die Restaurierungen der alten Bürgerhäuser sind immer noch in Gange. So ist es bei unserem eigenen Besuch nur eine Frage der Zeit, wann die nächsten, noch in Baugerüst eingepackten Fassaden wieder in neuem Glanz erstrahlen.
Richtig schöne und ruhige Gassen Rigas finden sich in Riga rund um die Torna iela. Der Weg dorthin führt durch die recht schmale Gasse der Troksnu iela, der »lauten Straße«. Ihr Name geht aus das 13. Jahrhundert zurück, als die Händler hier ihre Läden hatten und lauthals ihre Ware feilboten. Ab dem 19. Jahrhundert änderte sich das Gewerbe und das Warenangebot. Anstelle der Händler bezogen Prostituierte die Einraumwohnungen entlang der Straße. Es heißt, damals brauchte Man(n) in der Troksnu iela nur in die Hände klatschen und schon lugten die Frauen aus den Fenstern um zwinkernd ihre Liebesdienste anzubieten.
Heute geht es in der Gasse ruhig zu und begegnen wir nur wenigen anderen Fußgängern. Dafür aber lädt in der Gasse ein kleines Café, das Ligitas gardumi, zum Verweilen ein. Gerne nehmen wir dies an und gönnen uns im hübschen Wintergarten des Cafés einen Latte macchiato und leckeren Kuchen. Dann aber geht es durch das Schwedentor, das einzig erhaltene Stadttor aus dem Jahr 1698, zur Torna iela. Hier steht noch ein Überbleibsel der Stadtmauer mitsamt dem Rahmerturm. Der Abschnitt der alten Befestigung wurde in den 1970er Jahren auf den original erhaltenen Fundamenten wieder aufgebaut. Gegenüber befinden sich die Jakobskasernen, die im 18. Jahrhundert vor der Stadtmauer errichtet wurde. Nach der Restaurierung der Kasernengebäude erstrahlen diese in schönem gelb und sind lettische Spezialitätenrestaurants und Souvenirläden eingezogen.
Auffallend bei der Torna iela ist der markante Rigaer Pulverturm am Beginn der Straße. Auch er gehört zu den Überresten der Stadtbefestigung von Riga. In seiner heutige Form wurde er im Jahr 1650 errichtet. Warum er den Namen Pulverturm erhielt, ist ungewiss. Naheliegend ist, dass der Turm in der Vergangenheit als Lager für Schießpulver diente. Doch auch der Pulvergeruch, der vom Abfeuern der Kanonen herrührte, kann ihm den Namen gegeben haben. Sicher jedoch ist, dass die Mauern schon in früheren Jahrhunderten zwei Meter dick waren, sodass sie auch starkem Beschuss standhielten. So konnte darin 1919 ein Museum eingerichtet werden, das sich mit den Jahren zum lettischen Kriegsmuseum gemausert hat.