Vom Livenplatz aus sind es über die Kalku iela drei Minuten bis an den Stadtkanal und auf den Basteiberg. Die kleine Anhöhe bildet das letzte Überbleibsel des mittelalterlichen Schutzwalls der Altstadt von Riga. Bunte Blumenbeete, ein künstlicher Bachlauf und alte Ahornbäume zieren den Basteiberg und bieten einen idyllischen Blick auf den Stadtkanal. Hier treffen sich junge Liebespaare und nutzen frisch Vermählte den Basteiberg für Erinnerungsfotos. Hier begegnen wir auch das erste Mal den Liebesschlössern, die sich mittlerweile für viele Brücken europäischer Metropolen zum statischen Problem entpuppt haben. In Riga ist es schon eine ältere Tradition, dass Hochzeitspaare ein Schloss an das Brückengeländer anbringen und den Schlüssel ins Wasser werfen. Sie versuchen damit, ihre Liebe auf immer und ewig zu besiegeln. Denn wie sollte man das Schloss wieder entfernen, ohne den passenden Schlüssel zu haben? Nun, die Stadtverwaltung hat Möglichkeiten gefunden, die zahllosen Schlösser regelmäßig zu entfernen. Ob sie für die hohe Scheidungsrate der Letten verantwortlich ist?
Auch wenn die heutige Idylle darüber hinwegtäuscht, erlebte der Basteiberg auch unruhige Zeiten. Schlichte Gedenksteine erinnern an die Opfer der Barrikaden von Riga im Januar 1991. Tausende Rigaer errichteten damals Mauern in und um die Altstadt. Mit Lastwagen voller Baumstämme verbarrikadierten sie die Straßen, um ihre Stadt gegen die Machtübernahme der sowjetischen Spezialeinheiten OMON zu schützen. Dennoch kam es zu einem Feuergefecht, bei dem fünf Menschen starben. Unter den Opfern war Andris Slapins, ein Dokumentarfilmer kleiner Völker und Kulturen. Ihm wurde ein rotes Licht an seiner Kamera zum Verhängnis. Am 21. August 1991 wurde schließlich die Unabhängigkeit Lettlands von der Sowjetmacht anerkannt.
Passend zu den Vorgängen im Jahr 1991 steht heute das Freiheitsdenkmal neben dem Basteiberg. Wobei das aus heutiger Sicht bedeutendste Monument Lettlands noch aus der Zwischenkriegszeit stammt bzw. in den 1930er Jahren an der Raina bulvaris errichtet wurde. Aus Stolz über die errungene Freiheit Lettlands wurde damals der 43 Meter hohe Obelisk aufgestellt. Darauf steht die Freiheitsfigur Milda, welche drei Sterne in ihren emporgehobenen Händen hält. Die Sterne repräsentieren die drei kulturhistorischen Regionen Lettlands: Lettgallen, Livland und Kurland.
Zu einem ruhigen Spaziergang lädt der Stadtkanal von Riga ein. Entlang des Kanals bildete sich ein Gürtel mit mehreren Parkanlagen und repräsentativen Gebäuden. Am Rande der Altstadt trennt er diese von der Neustadt und gilt als grüne Oase Rigas. An heißen Sommertagen spenden zahlreiche Bäume Schatten und mit elektrischen Holzbooten kann man sich bis in die Düna schippern lassen. Wir nutzen den Stadtkanal als Verbindungsweg zwischen den Stadtteilen. So führt uns dieser meist abseits der Straßen vom Freiheitsdenkmal zum Jugendstilviertel mit der Alberta iela.
Die Wege sind schön angelegt, wobei alle paar Meter eine Bank zum Verweilen einlädt. Um auch die jungen Letten in die Natur zu locken, gibt es hier mehrere Wifi-Hotspots. Wenn man bedenkt, dass es in Deutschland noch Gemeinden gibt, die ihre Bevölkerung kaum mit Internet in den Häusern versorgen können, geschweige denn mit Wifi-Zonen, fragen wir uns wie das in Ländern wie Lettland geht?
Egal, wir gönnen uns hier eine weitere ruhige Pause zwischen den Touren durch die quirligen Gassen. Beim Lettischen Nationaltheater entdecken wir eine Statue des russischen Nationaldichters Alexander Sergejewitsch Puschkin, dem Begründer der modernen russischen Literatur. Vielen bekannt ist der 1837 nach einem Duell verstorbene Schriftsteller heute durch einen nach ihm benannten Wodka. Nach einem kurzen Moment des Gedenkens kehren wir, an der im Stil des Neoklassizismus erbauten Oper vorbei, zurück in die Rigaer Altstadt.
Gut sichtbar, am Rande der Esplanade, befindet sich die Christi-Geburt-Kathedrale. Typisch für eine russisch-orthodoxe Kirche besitzt sie mehrere mächtige, zum Teil vergoldete Kuppeln. Im Innern ist sie sicher mit prächtigen Ikonen und Wandmalereien geschmückt. Leider aber ist das eindrucksvollste Gotteshaus Lettlands während unserer Reisezeit mit einem Baugerüst umbaut. Schade eigentlich, da die Esplanade sonst recht wenig zu bieten hat. Die Grünanlage war früher ein Exerzierplatz der Armee und dient heute hauptsächlich als Spielplatz für Kinder. Es waren auch sicher Eltern, welche die Kaninchen ausgesetzt haben, die hier über die Wiesen hoppeln. Ja, wenn das Lebendspielzeug langweilig wird …
Auf dem Rückweg zur Altstadt kommen wir als Nächstes an dem aus rotem Granit bestehenden Denkmal Rainis vorbei. Für die Letten ist Janis Plieksans, wie er mit bürgerlichem Namen heißt, der bedeutendste Dichter und Schriftsteller des Landes, mit Dramen wie »Feuer und Nacht« und »Joseph und die Brüder«. Da er mit seinen Werken und Taten eine führende Rolle in der Revolution von 1905 spielte, musste er eine ganze Weile ins Exil in die Schweiz. Erst 1920, als das Land bereits unabhängig war, kam er nach Lettland zurück.