Riga ist die größte Stadt des Baltikums. Da die Altstadt auf lediglich einem Quadratkilometer Platz findet und Sehenswürdigkeiten außerhalb Rigas Zentrum rar gesät sind, wären fünf Tage Besichtigungstour allerdings etwas viel. Aber das wussten wir schon vor der Anreise. So finden auch Sigulda und die Burg Segewold in unsere Pläne. Doch dazu brauchen wir ein Auto, welches wir vorab gebucht haben. Da unser Hotel keinen Autoverleih anbietet, haben wir über Sixt gebucht. Das Auto sollten wir dann am dritten Tag unserer Reise früh vormittags auf dem Parkplatz zwischen der Düna und dem Zentralmarkt in Empfang nehmen. Gut, der Parkplatz ist an sich recht übersichtlich.
Als weniger günstig stellt sich jedoch heraus, dass der Überbringer auf ein Sixt-Schild verzichtet und in einem anderen Auto als wir gebucht haben sitzend auf seine Kunden wartet. Leider übersieht er die beiden, nach einen VW-Up suchenden Touristen und fährt nach einer Weile wieder davon. Ganz toll!!! Nachdem die Abholzeit schon eine Weile überschritten ist, rufen wir bei Sixt an und fragen nach. Die schicken den Kerl nochmals vorbei, allerdings hat er unseren Up auch diesmal gar nicht dabei. Erst müssen wir die Unterlagen ausfüllen, dann holt er das Auto. Seltsamer Service, aber nach gut einer Stunde Verspätung können wir endlich in das Umland der Hauptstadt Riga aufbrechen.
Als ich bei der Reiseplanung vorgeschlagen hatte, wir könnten ja nach Jürmala, dem beliebtesten Seebad des Baltikums fahren, rümpfte Lars nur die Nase. Für ein Ostseeseebad ist Ostern wohl auch die falsche Jahreszeit. Zum Glück aber war Lars auf der ITB in Berlin und hat einige Infos über Reisen durch Lettland mitgebracht. Anstatt zur Küste fahren wir deshalb nach Sigulda am Rande des Gauja Nationalparks. Auch wenn die lettischen Autobahnen wegen der vielen notorischen Raser und Drängler einen gefährlichen Ruf haben, verläuft die Fahrt entspannt und kommen wir zügig voran. Als großer Vorteil stellt sich dabei heraus, dass uns die Vertretung vom Tourismus-Büro Lettland die GPS-Koordinaten für die wichtigsten Sehenswürdigkeiten mitgegeben hat. Navi haben wir dabei und finden somit direkt zum ersten Parkplatz in Sigulda bei der Burgruine Segewold.
Bevor wir die Burg besichtigen, spazieren wir jedoch erst durch den Garten vom Neuen Schloss in Sigulda. Als Herrenhaus wurde es im Neugotischen Baustil in der Zeit der Fürsten Olga und Dmitrij Kropotkin von 1878 bis 1881 errichtet. Nach dem Ersten Weltkrieg diente es als Erholungshaus für Schriftsteller und Journalisten mit dem Sitz der Lettischen Presseagentur. Seit 1993 ist darin der Stadtrat untergebracht. Außerhalb des Schlossgartens befindet sich ein Spazierstock-Park. Der Spazierstock gehört zum traditionellen Souvenir der Gegend und wird überall zum Kauf angeboten. Hier im Park setzt er neben den vielen Stiefmütterchen-Beeten erste Farbtupfer in die zum Beginn des Frühlings noch etwas graue Landschaft. Da das dortige Büro zum Gauja Nationalpark geschlossen ist, kehren wir durch den Schlosspark zurück zur Kreuzritterburg und hoffen, dass diese schon geöffnet ist.
Über einen kurzen Fußweg kommen wir vom großzügig angelegten Besucherparkplatz zur Zugbrücke der Kreuzritterburg Segewold. Sie zählt zu den Deutschordensburgen, die ab dem 13. Jahrhundert auf dem Gebiet des Deutschen Ordens auf dem Baltikum entstanden waren. Die Festung Sigulda wurde dabei ab dem Jahr 1207 vom Schwertbrüderorden erbaut. Durch den Zusammenschluss mit dem Deutschen Orden ging die Herrschaft über die Burg an den Livländischen Orden. Beim Kassenhaus müssen wir uns zunächst auf Englisch verständigen. Das aber soll kein Problem sein, da für uns eine deutschsprachige Führung vorgesehen ist. Sekunden später sehen wir auch schon einen jungen, rundlichen Mann im Mönchsgewand vom Burgtor auf uns zulaufen. Im hervorragenden Deutsch erklärt er uns, dass er nur ein bis zwei Führungen am Tag hat. Mehr deutsche Besucher kommen bislang nicht. An diesem Vormittag sind wir seine zweite Tour.
Noch leicht außer Atem und durch die Mönchskutte etwas verschwitzt erzählt er uns beim ersten Burgtor, dass dieses aus Eichenholz besteht und 700 kg schwer ist. Früher waren zwei Männer nötig, um es hochzuziehen. Als Nächstes steigen wir die Treppen zu einem Gang mit einer aufwendigen Holzkonstruktion hinauf. Wie weite Teile der Burg wurde auch diese mit Unterstützung der Europäischen Union bis zur Wiederöffnung der Burg im Mai 2012 rekonstruiert. So ist heute die Zugvorrichtung für das Tor wieder funktionstüchtig und kann man im Stock darüber etwas zum Essen bestellen. Unser Mönch nutzt den Gang zwischen dem Torturm und dem Nordturm, um uns mit Blick über den weitläufigen Hof die Geschichte der Burg zu schildern. So war die Segewold im 15. Jahrhundert eine wichtige Station auf dem Weg von Riga nach Cēsis und weiter nach Dorpat, Vīlande und Pleskau. Zu Beginn des Livländischen Kriegs (1558 bis 1583), dem Ersten Nordischen Krieg, ging diese erste Blütezeit zu Ende und erlitt die Burganlage von Sigulda schwere Schäden. Ab 1562 war die Anlage Teil einer polnischen Starostei.
Die Polen waren es auch, welche die Burg in den 1580er Jahren wieder instand setzten, eh sie im polnisch-schwedischen Krieg (1601 bis 1621) abermals zerstört und in der Folge aufgegeben wurde. So stellten die Schweden nach dem Kriegsende fest, dass die Burg leer und verfallen sei. Allerdings wurde schon 1622 ein neues Gebäude aus Holz errichtet, dem auch eine Badestube angeschlossen war. Danach wechselten sich die Besitzverhältnisse mehrmals, eh im 19. Jahrhundert zaghafte Versuche eines Wiederaufbaus angestrengt wurden. So ließ die Familie Borch in der Vorburg eine Pforte mit der Jahreszahl 1867 errichten, Teile der Mauern befestigen und zwei, der Gotik nachempfundene Bögen aufbauen. Im Turm der Pforte haben sich die Borchs mit ihrem Familienwappen verewigt.
Von der heute wieder begehbaren Mauer zwischen den beiden Türmen haben wir außerdem eine gute Sicht auf die Freiluftbühne der Burgruine Sigulda. Zur Blüte der Faulbäume wird die Veranstaltungssaison auf Segewold mit einem Ball eröffnet. Es folgen Jazzfestivals, Blueskonzerte und Theateraufführungen. Kultureller Höhepunkt sind Anfang August die mehrtägigen Opernfestspiele von Sigulda. Außerdem bildet die Burgruine den mittelalterlicher Rahmen für Ritterspiele. So können sich hier Gruppen im Axt- und Speerwerfen, Bogenschießen auf Tierattrappen wie Wildschweine und Rehe beweisen. Wir hingegen finden es einfach nur schön, über die Mauern zu spazieren und die Aussicht vom frei stehenden Südturm über das Urstromtal der Gauja zu genießen, bevor wir die Burg verlassen, um mit der Seilbahn nach Krimulda zur gegenüberliegenden Talseite zu fahren.