Wer schon bei Mdina einen Parkplatz ergattern konnte, lässt sein Auto am besten dort stehen und läuft das kurze Stück zu Fuß ins Zentrum von Ir-Rabat. Gleiches gilt natürlich auch umgekehrt. Die ehemalige Vorstadt von Mdina ist flächenmäßig inzwischen bei Weitem über die der alten Hauptstadt hinausgewachsen. Während Mdina durch seine Bastionsmauern eng umschlossen ist, entstehen in den Außenbezirken von Ir-Rabat auch heute noch neue Wohngebiete.
Mit Mdina als Nachbar hat es Ir-Rabat natürlich schwer, in puncto Sehenswürdigkeiten mitzuhalten. Dafür ist das Zentrum im Gegensatz zu Mdina sehr lebendig, geschäftig und bietet mehrere kleine Besonderheiten, wie die Katakomben, die Roman Villa und die St. Paul's Church. Was wären die Malteser nur ohne ihren Heiligen Paulus? Wie in der Hauptstadt Valletta gibt es auch in Ir-Rabat eine Reliquie aus dem Arm des Heiligen zu bestaunen und außerdem eine Paulusgrotte, die uns allerdings leicht irritiert. So wirbt das Wignacourt-Museum mit »Catacomb« für die Paulusgrotte. Wir indes sind auf der Suche nach den St. Paul's Catacombs, die zur Zeit der Römer als Begräbnisstätten dienten.
Malta bietet mehrere unterirdische Grabsysteme, die frühchristliche Spuren aufweisen. Die St. Paul's Catacombs zählen hier zu den größten Katakomben von Ir-Rabat. Als Entstehungszeit wird das 4. und 5. Jahrhundert nach Christus angenommen. Zu der Zeit hatten die Römer Bestattungen innerhalb der Stadtmauern verboten. Die Katakomben mussten damit außerhalb der antiken Stadt Melita angelegt werden. Dazu nutzten die Bewohner alte punische Schachtgräber, die sie zu verzweigten Höhlensystemen ausbauten.
Der Fels im Bereich der Katakomben war sehr weich und konnte gut bearbeitet werden. Die Höhlen erstrecken sich somit über eine Gesamtfläche von 2166 m². Allerdings ist nur ein kleiner Teil davon heute öffentlich zugänglich. Im Schnitt liegen die Katakomben zwischen fünf und sechs Meter unter der Oberfläche. Noch bevor wir die historischen Gräber besichtigen, erhalten wir im Besucherzentrum der St. Paul's Catacombs detaillierte Infos über die Ausgrabungen und das Leben, wie es sich während der römischen Epoche gestaltete. Dann geht es aber hinab in Maltas eindrucksvollstes Gräbersystem unter Tage.
Solch unterirdische Orte sind naturgemäß der perfekte Nährstoff für Geschichten und Mythen. So wurde lange Zeit in den Schulen unterrichtet, dass sich die frühen Christen in den Höhlen vor den römischen Verfolgern versteckten. Allerdings gibt es auf Malta keine Anzeichen, die eine Verfolgung der Christen belegen. Ebenfalls gegen eine mögliche Verfolgung spricht die Lage der Katakomben. Sie war schon sehr früh bekannt, womit sich die Höhlen kaum als Versteck eigneten. In anderen Geschichten haben sich wunderfitzige Kinder in den Katakomben verlaufen und sind nie wieder aufgetaucht. Besser erging es laut einer beliebten Geschichte einem Schwein. Das Tier stürzte in ein dunkles Loch im Bereich der Katakomben. Vier Kilometer weiter fand es im Dorf Siġġiewi einen Ausgang aus dem Labyrinth und kroch aus einem anderen Loch wieder ins Freie. Das nennt man dann wohl »Schwein gehabt«.
Während des Zweiten Weltkriegs nutzten die Malteser die Katakomben als Luftschutzbunker und Versteck für Kirchenartefakte. So erzählt Lina Brockdorff von den Zeiten, als sie in den St. Augustine's Katakomben Unterschlupf fand. Als kleines Mädchen fürchtete sie sich anfangs vor den Skeletten, die noch in den meisten der Gräber lagen. Doch bald erkannten die Kinder, dass von den Skeletten keine Gefahr ausging – im Gegensatz zu den verwinkelten und sich immer wieder verzweigenden Gängen, in denen sie sich leicht verirren konnten.
Außerhalb des Besucherzentrums befinden sich beiderseits der Straße mehrere kleine Häuschen, die über Treppen mit den einzelnen Gangsystemen verbunden sind. Die größte der Katakomben besitzt eine Haupthalle und eine Krypta. Die Haupthalle ist mit einem kreisförmigen Steintisch ausgestattet, an dem die Trauernden ein Mahl zu Ehren der Verstorbenen einnahmen. Die Gräber sind als grubenähnliche Vertiefungen, sogenannte Loculi, in den Fels gehauen und mit Steinplatten verschlossen. Einige der Gräber sind aber auch mit Rundbögen überdacht, die einem Baldachin gleichen.
Um den Verwesungsgeruch einzudämmen, balsamierte man die Körper ein und verteilte Myrrhe und duftende Kräuter in den Räumen. Anders als in den Katakomben von Paris wurden hier in Rabat die Skelette entfernt. So können wir ohne uns zu gruseln durch die gut ausgebauten und beleuchteten Gänge schlendern. Nur auf unseren Kopf müssen wir hin und wieder achten, da die Menschen von damals etwas kleiner waren als wir es heute sind.