Am nächsten Morgen stellt uns Abdul unseren Fès-Stadtführer, Mohammed, vor. Mit ihm fahren wir nach Fès el-Djedid (das neue Fès) mit dem Dar el Makhzen (Königspalast). Mit einer Größe von 80 Hektar beansprucht er den größten Teil von Fès el-Djedid für sich.
Wie die Paläste Dar al-Makhzen Rabat und der Königspalast Meknès ist der Innenbereich für Besucher leider geschlossen. So bleibt uns nur der Blick über den imposanten Place des Alaouites sowie durch einen kleinen Spalt im mächtigen Eingangstor auf den ersten Hof.
Eindrücke von der verwinkelten Medina der Königsstadt Fès im Osten von Marokko.
Danach führt uns Mohammed um die rechte Seite (wenn man zum Palast schaut) herum in das jüdische Viertel der Stadt, der Mellah von Fès. Auffällig sind hier die Fenster und Balkone, die sich zur Straße öffnen. »In Marokko sind die meisten alten Gebäude nach außen geschlossen und öffnen sich nur zur Innenseite«, erklärt Mohammed.
Das ist ganz praktisch, wenn man bedenkt, wie heiß es hier um die Mittagszeit werden kann. Als die Juden aus Andalusien flohen und sich den Schutz des Sultans durch hohe Steuern erkauften, hatten sie ihre übliche Bauweise jedoch beibehalten.
Leider befinden sich einige der einst prunkvollen Häuser in einem schlechten Zustand. So erfahren wir, dass die meisten Juden nach der Gründung Israels Marokko verlassen haben. Weil die reichen Einwohner Fès’ während der Kolonialzeit lieber ein Haus in der Neustadt gebaut haben, zog hier die ärmere Bevölkerungsschicht ein, die in den meisten Fällen weder den Sinn für den Erhalt der Bausubstanz noch die Mittel dazu hatte.
Von der Mellah fahren wir nach Fès el-Bali, der Altstadt oder auch die Medina. Im ältesten Teil der Stadt heißt es bummeln, schauen und staunen - und sich nicht zu verirren. Denn das Gassengewirr kann ortsunkundigen schnell zum Verhängnis werden. Für uns heißt das: bloß nicht Mohammed aus den Augen verlieren. Denn nicht genug, dass ständig irgendwo eine (Sack-) Gasse abzweigt, herrscht in einigen Vierteln bereits am frühen Vormittag reger Betrieb.
Damit uns dieser nicht zum Verhängnis wird, bringt uns Mohammed erstmal das wichtigste Wort innerhalb der Medina bei: Ballak! Sobald wir das hören, sollen wir schleunigst zur Seite springen und aufpassen, dass wir nicht von einem Esel oder Muli über den Haufen gerannt werden. Die nämlich haben in der Medina Vorfahrt. Für den Begriff »attention« gilt übrigens dasselbe.
Es gibt aber auch sichere Bereiche in der Altstadt, wie zum Beispiel im Geschäftshaus der Familie Guernani. Das erste, was uns in dem Geschäft auffällt, ist die Vielzahl glänzend polierter Messing- und Silberteller, die sich in den Auslagen stapeln und überall an den Wänden hängen. Vom Prunk noch überwältigt fällt unser Blick auf einen älteren Herrn. Mit Hammer und Meißel klopft er scheinbar unermüdlich feine Muster in einen Metallteller, den er auf Knie und Amboss balanciert.
Auf den ersten Blick erscheint dies nichts Ungewöhnliches zu sein. Erst als wir einen deutschen Zeitungsartikel an der Wand entdecken, kommen wir ums Staunen nicht mehr herum. Denn genau vor uns sitzt eine lebende Legende. Es ist Ahmed Guernani. In Marokko gilt er als unbestrittener Meister des Ziselieren, der Ende der 1960er Jahre mit nur einer Handvoll Mitarbeiter die sieben golden schimmernden Messingtüren des Sultanspalastes der Königsstadt Fès geschaffen hat und der seine Muster auch heute noch ohne Stempelvorlage ins Metall schlägt.
In der Nähe des Bab Boujeloud (entlang der Talaa Kebira bzw. einfach dem Stadtführer hinterher) kommen wir zur Medersa Bou Inania, der Koranschule des Abu Inan. Mitte des 14. Jahrhunderts in sieben Jahren erbaut, war sie zuletzt jahrelang geschlossen. Und ist es während unseres Besuchs immer noch in Teilen. Zumindest aber der quadratische Innenhof ist wieder frei zugänglich, sodass wir die mit Mosaiken und Stuckarabesken reich verzierten Wände bewundern können. Auch der Blick in die beiden Betsäle im Erdgeschoss des Museums ist möglich.
Froh sind wir, dass Mohammed die Gelegenheit auslässt, uns die fünf Säulen des Islams zu nennen. Stattdessen verrät er uns später, welche fünf Dinge in jedem Viertel der Medina zu finden sind: ein Gebetsraum, ein öffentlicher Brunnen, ein Hamam, ein Kindergarten und eine Backstube. Gerade die letzten zwei Sachen hatten wir nicht erwartet.
Seine Erklärung für die Backstube folgt prompt: »Die normalen Häuser in der Medina besitzen keinen Backofen. Die Frauen bereiten den Teig zu Hause und bringen ihn dann in die Backstube.« Während am Vormittag Brote gebacken werden, nutzen die Bäcker die Öfen am Nachmittag, um Gebäck und süße Teilchen zu backen. Das erklärt auch, warum wir ab und zu Frauen begegnen, die Teig durch die Gassen schleppen.
Statt zum Bäcker gehen wir selbst als nächstes in eines der marokkanischen Restaurants von Fès el-Bali. Untergebracht in einen der alten, restaurierten Paläste, hätten wir auch dieses alleine nicht gefunden. Denn während wir im Innern kaum aus dem Staunen über die Pracht und die abermals vielen kunstvollen Mosaike kommen, ist der Eingang des Restaurants so schlicht gehalten, dass er beim Vorübergehen kaum auffällt. Fast bedauern wir, dass wir keinen Hunger mitgebracht haben, sondern nur eine kühle Cola und einen frisch gepressten O-Saft trinken. Die Ruhe genießen wir aber doch, bevor es wieder raus ins Gassengewirr geht.
Weniger einladend als die versteckten Restaurants sehen die Karawansereien in der Medina aus. Übernachteten hier einst Anführer großer Wüstenkarawanen während ihrer Handelsgeschäfte, befinden sich heute viele der alten Herbergen in einem jämmerlichen Zustand. Wenn wir Mohammed richtig verstanden haben, sind es an die 60 Stück in der Altstadt - und das obwohl die Karawanen früher nur zweimal im Jahr nach Fès kamen. Vier Monate waren sie jeweils unterwegs, um Steinsalz und Gold, aber auch Sklaven gegen Waren einzutauschen, die in der Wüste fehlen.
Gar nicht einladend gar wirken die vielen gewaltigen Türen, die wir in den Gassen immer wieder vorfinden. Als häufiges Motiv sehen wir ein Zeichen, welches die Hände der Fatima darstellen soll. Wie das Horus-Auge bei den Ägyptern soll Fatima das Haus und seine Bewohner vor Dschinns, bösen Geistern, schützen. Nun gut, da wollen wir lieber nicht stören...
Als sich die Gassen wieder zu einem Platz öffnen, hören wir lautes Hämmern. Unermüdlich saust ein hölzerner Hammer auf ein Stück Blech herab, dröhnen die Schläge eines jungen Mannes zu uns herüber. So etwas wie Gehörschutz kennt man hier offenhörlich nicht. Die Kessel, die hier bearbeitet werden, sind dafür untrennbar mit dem Platz verbunden.
»Das hier ist der Platz der Kesselmacher und Kesselflicker«, gibt Mohammed die logische Erklärung. Ein Beruf, der Dank der Tradition gute Chancen hat, noch einige Jahrzehnte zu bestehen. Denn die riesigen Kupferkessel und Bottiche, die hier bearbeitet werden, werden in Marokko gerne bei großen Festen und Hochzeiten verwendet.