Nach der Wanderung auf dem Camino les Pardines bleibt uns noch reichlich Zeit für Andorra la Vella, die Hauptstadt von Andorra. Damit nehmen wir bei der Rückfahrt Kurs auf Andorra la Vella. Zum Parken hatten wir uns daheim das Parkhaus Centre Historic bei der Carrer Prat de la Creu ausgesucht.
Blöd nur, dass der Straßenverkehr von la Vella dem einer Großstadt gleicht. Wir verpassen also die Einfahrt. Kein Problem, wir fahren einfach um den Block herum und nehmen die obere Einfahrt. Sekunden später landen in dem saubersten Parkhaus, in dem unser Auto jemals stand.
Eindrücke von unserem Rundgang durch das historische Zentrum von Andorra la Vella. Aufnahmen vom Casa de la Vall, dem neuen Rathaus und der Kirche Sant Eseve.
Wir starten unseren Rundgang durch Andorra la Vella am Platz Lídia Armengol vor der Comú d'Andorra la Vella, dem Rathaus der Stadt. Auf hohen Säulen sitzen sieben Dichter in einer Gelassenheit, als würde es das Getöse der Stadt um sie herum nicht geben. Der Bildhauer Jaume Plensa verkörperte in den »7 poetes« die sieben Gemeinden Andorras. Das Kunstwerk zeugt zugleich vom Stolz der Einwohner auf ihr »El País dels Pirineus«, dem Land der Pyrenäen. Von dem Platz aus geht es aufwärts in die Altstadt.
Über die Rambla Molines gelangen wir auf das Dach des Altstadtparkhauses. Der Platz darauf ist ansehnlich gestaltet und bietet uns eine schöne Sicht über die Dächer von Andorra la Vella sowie auf die Kirche Sant Eseve, unserem nächsten Ziel. Die Kirche ist romanischen Ursprungs und gilt als eines der Beispiele der traditionellen Granit-Architektur.
Auch hier sticht uns die noble Einrichtung ins Auge. Anstelle der sonst üblichen harten Holzbänke finden wir im Kirchenschiff mit Samt bezogene und weich gepolsterte Kniebänke. Was Lars dazu einfällt: »Während sich die deutschen Katholiken noch durchs Fegefeuer kämpfen, freuen sich die Andorraner bereits auf den dritten Aufguss im Saunatempel.« Da mag was dran sein.
In den hübschen Altstadtgassen kommen wir am Brunnen »El Ball del Contrapás« vorbei. Das Kunstwerk des andorranischen Bildhauers Sergi Mas besteht aus einem Gemisch aus Zement und gemahlenem Marmor und zeigt den typischen Tanz »Baile del contrapàs«. Dieser Tanz wird nur auf dem Stadtfest in Andorra la Vella getanzt.
Wenige Schritte weiter erreichen wir das Casa de la Vall. Das 1580 erbaute Haus war lange Zeit Sitz des Parlaments von Andorra. Das Gebäude besitzt einen quadratischen Grundriss mit den typischen Spannweiten der herrschaftlichen Bauernhöfe Kataloniens.
Es sind noch einige Verteidigungselemente wie Kanonenöffnungen, Türme und Schießscharten vorhanden. Leider ist das Casa de la Vall geschlossen, sodass wir uns mit einem kleinen Abstecher auf den natürlichen Aussichtsberg dahinter begnügen. Von dort blicken wir über die Stadt, bevor wir uns in das kommerzielle Zentrum der Stadt stürzen.
Lange Zeit waren Landwirtschaft und Viehzucht die Grundpfeiler der Wirtschaft von Andorra. Das änderte sich schlagartig mit dem Eintreffen der Touristen in den 1960er Jahren. Von da an wollten natürlich alle etwas vom großen Kuchen abhaben, sodass die Landwirtschaft mehr und mehr an Bedeutung einbüßte.
Heute macht sie gerade mal 0,5 Prozent der Wirtschaftskraft aus. Handel und Tourismus mit zusammen 60% sowie Finanzdienstleistungen mit 18% sind nunmehr die drei Wirtschaftsmotoren. Sie generieren heute die meisten Arbeitsplätze.
Als eine Folge dieser Zäsur ändert sich das Stadtbild, sobald wir von der Altstadt in die kommerziellen Straßen von Andorra la Vella gelangen. Die typische Granit-Architektur weicht Spiegelglasfassaden und anstatt auf Kopfsteinpflaster bewegen wir uns fortan auf Highheels gerechten Plattenbelägen. Hier ist das Eldorado für Shopping-Touristen auf ihrer Jagd nach Markenklamotten, Ledertaschen und -schuhen, Kamera- und Smartphonezubehör, perversen Pelzmänteln und sonstigem Schnickschnack.
Ob wirklich alles so billig ist, wie uns die vielen Plakate weismachen wollen? Auf dem ersten Blick lässt sich dies schwer einschätzen. Denn gerade in den Kameraläden verzichten die Verkäufer auf Preisangaben in den Schaufenstern. Wir müssten uns nach den Preisen erkundigen. Doch dafür ist uns die Zeit zu schade. Das Gleiche gilt übrigens für Shoppingtouren im Allgemeinen.
Zwischen den vielen Einkaufsläden gibt es zum Glück auch im modernen Andorra la Vella einiges zu entdecken. So steht am Plaça de la Rotonda die »La Noblesse du Temps« von Salvador Dalí. Das monumentale Bronzebauwerk mit einem Gewicht von 1,4 Tonnen zeigt eine Uhr aus der Reihe zur Vergänglichkeit der Zeit bzw. der Beständigkeit der Erinnerung des Künstlers Dalí. Das auf einem Baumstamm hängende Ziffernblatt symbolisiert die Vorherrschaft der Zeit über den Menschen. Ebenfalls bemerkenswert ist die filigrane Konstruktion einer Dreiecksbrücke über die Valira.
Wir bummeln noch etwas durch die großstadtähnlichen Straßen. Irgendwie ist Andorra schon ein seltsames Land. Eine Einkaufsstadt wie diese passt so gar nicht in die Berge. Oder, wie Lars es auf den Punkt bringt: »Das ist eine Megacity ohne City.« Und dann haben sie auch noch einen Staatschef, der anstelle der katalanischen Amtssprache Französisch spricht. Neben San Marino ist Andorra eines der beiden Länder auf der Welt, die zwei Staatschefs haben. Diese Besonderheit begründet sich noch aus einem mittelalterlichen Dokument, dem altkatalanischen Terminus Pareatges.
Die im 13. Jahrhundert zwischen dem Grafen von Foix Roger Bernat III. und dem Bischof von Urgell geschlossenen Verträge beendeten ein jahrzehntelanges Ringen um die politische Vorherrschaft in Andorra. Damit wurden beide gleichberechtigte Kofürsten von Andorra, was in der Praxis bedeutete: neue Gesetze sowie auch andere politische Aktivitäten mussten stets von beiden Kofürsten unterzeichnet werden. Heute repräsentieren der Bischof von Urgell und der Präsident der Französischen Republik (zur Zeit unseres Besuchs François Hollande) gemeinsam das andorranische Volk.
Nachdem wir an diesem Tag schon wieder einiges gesehen und erlebt haben, macht sich allmählich ein Gefühl von Hunger bemerkbar. Wir suchen uns ein Restaurant. Ist Andorra in dieser Hinsicht wie Frankreich? Wir befürchten es erst, nachdem wir kurz nacheinander vor zwei geschlossenen Restaurants stehen. Doch nein, beide Wirtschaften sind wegen der Nebensaison geschlossen. Bei einer Pizzeria an der La Valira haben wir schließlich Glück.
Und auch wenn wir die einzigen Gäste sind, werden wir freundlich empfangen und bekommen schon bald etwas zum Essen. Für eine Überraschung sorgt dafür Lars. Als er sein Gazpacho probiert, verzieht er das Gesicht, weil dieser kalt ist. Was hat er bei Gazpacho erwartet? Sonst weiß er doch auch immer alles. Nun gut, etwas widerwillig löffelt er brav seine südspanisch-portugiesische Suppenspezialität aus. Dafür ist zumindest die Pizza heiß und lecker.