Unsere Capri ist vollgetankt, doch sitzt ein Mechaniker im Motorraum. Er schraubt, hämmert und bastelt, bis er irgendwann zufrieden die Abdeckung schließt. Leider ist der Heckbereich danach ölig und dreckig und muss ohnehin der Putztrupp für die Außenreinigung noch ran.
Das zieht sich so in die Länge, dass wir erst um 12 Uhr unser Boot beziehen können. Obwohl die Capri zu den kleineren Hausbooten gehört, bietet sie reichlich Stauraum für unser Gepäck und die Schlemmer- und Getränkevorräte.
Goldene Woche auf den Canal du Midi. Start in Port Cassafières, die ersten Schleusen auf der Fahrt nach Beziérs. Eindrücke von der Landschaft und den Platanen-Alleen entlang des Kanals.
Bevor wir den Hafen verlassen dürfen, bekommen wir noch eine umfangreiche Einweisung zum Boot und zum Kanal sowie zu einigen einzuhaltenden Vorschriften. Die Einweisung ist gut verständlich. Der Mann stammt aus dem Elsass. Damit fühlen wir uns fast wie zu Hause.
Bei herrlichen Sätzen wie »A Bäum' aabinde, des mache ma need. Da isch namlich vaboote!«, können wir uns das Ganze auch sehr gut merken. Einfach köstlich diese Sprache. Lars übt noch kurz Fahren und rückwärts einparken, dann aber geht es wirklich los.
Wir haben uns für die Goldene Midi Wochentour entschieden, die von Port Cassafières bis nach Castelnaudary führt. Somit liegen 157 Kilometer, 62 Schleusen und ca. 40 Stunden Fahrzeit vor uns. Sehenswürdigkeiten, Schleusen und Ortschaften haben wir bereits daheim als Wegpunkte auf unser Wandernavi geladen. Dies zeigt uns verlässlich, wie schnell wir unterwegs sind
Auch können wir besser einschätzen, wann wir die nächste Schleuse oder das nächste Ziel erreichen. Tolle Sache. Weniger toll ist, dass die Frontscheibe zuallerletzt mit dem dreckigsten Lappen geputzt worden ist und nun lästige Schlieren aufweist, kaum dass die Sonne darauf scheint. Und dies nach der ewigen Putzerei. Prima, damit muss ich erst einmal nach putzen.
Lars hat anfangs etwas Mühe, das Boot geradeaus zu lenken. Anders als beim Auto fährt dieses nicht automatisch geradeaus. Da wir jedoch alleine unterwegs sind, hat er reichlich Platz, um sich mit dem Lenkverhalten des Bootes vertraut zu machen. Eines merkt er dabei gleich: Je schneller er fährt, umso besser hält das Boot seine Spur.
Und noch etwas fällt uns auf. Nachdem es im Hafen hieß, der Motor sei auf 8 km/h – die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf dem Kanal – gedrosselt, erreicht unsere Capri tatsächlich 11 km/h. Also den Gashebel wieder ein Stück zurück gestellt. Wir wollen ja keine Rüpel sein und wie war das mit dem Entschleunigen?
Die erste Verengung unterhalb einer Brücke ist bald genommen, dann liegt nach vier Kilometern die erste Schleuse von Portiragnes vor uns. Im Wartebereich steht bereits ein Boot. Wir sind also nicht die einzigen, welche die vorgezogene Übernahme genutzt haben.
Doch es sind nur wenige. Die meisten der Boote, die abends starten, übernachten hier, weil sie die erste Schleuse erst nach Feierabend des Schleusenwärters erreichen. Das ist eigentlich schade, weil sich direkt nebenan eine vielbefahrene Straße befindet.
Ich steige aus und schau mir die Schleuse erst einmal genauer an. Das andere Hausboot wird auch von Anfängern gelenkt, allerdings sind diese zu viert. Während ich mich mit dem Schleusenwärter unterhalte, schaltet die Ampel auf Grün und folgt Lars dem anderen Boot in die Schleuse – und das ohne mich. Aber das klappt schon mal prima, trotz mehrerer Schaulustiger.
Sowie uns die Schleuse ein Stück weit nach oben gehoben hat, sollen wir vor den anderen wieder herausfahren. Leider lassen wir die Seile zu früh los und rammen prompt unsere Mitreisenden. Nichts passiert! Genau dafür hängen die Fender an der Außenseite der Hausboote, wo sie auch immer bleiben sollten.
Viereinhalb Kilometer weiter folgt bei Villeneuve-les-Béziers die zweite Schleuse. Dort ist bei unserer Ankunft bereits grün, sodass wir direkt hineinfahren können. Uns folgt ein Boot mit drei Schweizern. Die Mutter der Crew ist tropfnass. Offensichtlich hat sie die erstbeste Gelegenheit für ein Bad in der trüben Brühe vom Canal du Midi genutzt! Diesmal bleiben wir beide auf dem Boot. Der Schleusenwärter hängt die Seile ein und ich löse Lars am Steuer ab. Ganz ehrlich: Wäre ich beim Hinausfahren nicht an das Schleusentor gerumpelt, wäre es schon fast perfekt gewesen.
Bei der dritten Schleuse bei Ariège fühlen wir uns schon fast wie Profis, wundern uns anschließend aber bei Béziers, dass sich das Schleusensystem ändert. Die Schleuse ist so hoch, dass wir die Seile in einer Stange einfädeln müssen, an der das Seil mit dem Wasserstand nach oben wandert. Der Schleusenwärter unterstützt uns, sehr nett. Zudem erhalten wir hier die Info, dass wir im Hafen von Béziers auf der linken Seite kostenlos übernachten können. Wir sind heute 15 Kilometer gefahren, haben die ersten vier Schleusen gut gemeistert – Zeit für Abendessen und Ausruhen.
Nach kurzer Suche finden wir tatsächlich links einen freien Platz. Es ist eine winzige Lücke zwischen Bambus und einem kleinen Feld voller Stechäpfel und Wildrosen. Darum also haben die anderen Bootsführer diese Stelle verschmäht. Egal. Aber warum dreht sich unser Boot? Wir bekommen starken Wind von der Seite ab und sind zu langsam beim Anleinen. Auch das kann uns nicht stören. Angelegt ist angelegt, durch den hohen Bambus ist unser Boot vom Ufer kaum zu sehen, während wir über das Heck freie Sicht auf die nächste Schleuse haben, und im Hafenbecken ist reichlich Platz zum Kehren.
Béziers ist die zweitbedeutendste Stadt entlang des Canal du Midi. Von der ersten Woche in den Midi-Pyrénées sind wir allerdings so gesättigt von »atemberaubenden« Kathedralen und Altstadtgassen, dass wir auf einen Stadtbummel verzichten. Einen Spaziergang beim Hafenbecken gönnen wir uns aber doch. So mischen auch wir uns unter die Schaulustigen bei der Schleuse von Orb, die zu den höchsten Schleusen des Kanals zählt.
Zu Zeiten von Pierre-Paul Riquet, dem Genie, Erfinder und Erbauer des Canal du Midi, war bei der Kreuzung des Orb lediglich ein Flussstau vorgesehen. So konnte der Betrieb bei Béziers bereits 1677 aufgenommen werden. Doch schon ab 1686 plante der königliche Festungsbaumeister Sébastien de Vauban ein Aquädukt an der durch Hochwasser störanfälligen Flusskreuzung.
Dieses wurde allerdings lange Zeit als »zu ehrgeizig und zu teuer« angesehen, weshalb man lieber die Ausfälle in Kauf nahm. Erst 1858 wurde die heutige Kanalbrücke über den Orb errichtet. Dadurch ließ sich die kanalaufwärts gelegene Schleusentreppe von Fonserannes um zwei Schleusen verkürzen. Unterhalb der Brücke entstand die Orb-Schleuse und gleichzeitig das viereckige Hafenbecken von Béziers.
Dort verbringen wir auch den ersten Abend unserer Goldenen Midi-Tour. Erst aber müssen wir den Gasherd in Betrieb nehmen, ohne dabei das Boot abzufackeln. Das ist gewöhnungsbedürftig und braucht Fingerspitzengefühl, bis die Flammen die gewünschte Höhe haben. Mein Meisterkoch Lars kreiert Spaghetti mit Mockturtle und Champignons. Weil es nicht jeder kennt: Mockturtle ist eine falsche Schildkrötensuppe aus Niedersachsen.
Es gibt also einen kulturellen Mischmasch zu essen und dazu ein leckeres Glas Rotwein aus Südfrankreich. Bald schon merken wir, dass wir etwas vergessen haben. So muss ein Weinkorken als Spülbürste herhalten und wird mit einem Stoffbeutel das Geschirr abgetrockne. Not macht erfinderisch. Doch wir genießen einen schönen ruhigen und richtig lustigen Abend am Canal du Midi. Santé! Oder, wie man auch sagt: à la nôtre!