Das Château Comtal ist eine Burg innerhalb der Festung. Bei der Führung lernen wir ihre spannende Geschichte kennen. So sind in den Gemäuern die ältesten Funde der Stadt Carcassonne zu finden. So Mosaiken aus der Römischen Zeit und Fresken, die den Historikern lange Zeit Rätsel aufgaben.
Rundgang durch die Cité von Carcassonne mit Besichtigung vom Château Comtal. Spaziergang über die alten, erhaltenen Stadtmauern mit Blick auf die Türme der Festung und die Häuser in der Altstadt.
Beim Eingang zum Château Comtal, in der halbkreisförmigen Barbakane treffen wir auf Jean Louis Gasc. Er wird uns die nächste Stunde durch die Burg führen. Von Vorteil ist natürlich, dass er ein sehr gutes Deutsch spricht. Damit fällt es uns leichter, die Konzentration zu halten und entfällt das Nachfragen.
Jean Louis hat mehrere Bücher über die Katharer, die Troubadoure und den Montségur geschrieben. Dabei liebt er es, die geschriebene Geschichte zu hinterfragen. So erklärt er uns, dass viele Geschäfte in der Cité ihren Kunden eine frei erfundene Geschichte auftischen, um ihren Laden als historisch bedeutendes Gebäude aufzuwerten.
Von ihm erfahren wir auch, dass es zurzeit der Katharer kein katharisches Land gab, »außer der Umgebung von Köln«. Dort waren die Katharer erstmals 1143 in Erscheinung getreten. In Okzitanien fanden die Vertreter der reinen, frommen Religion vor allem so viele Anhänger, da in diesem Landstrich keine autoritären Fürsten herrschten und sie eine gewisse Ordnung in den bis dahin teils chaotischen Verhältnissen entwickelten. Obendrein wird vielen Einwohnern gefallen haben, dass sie keine Kirchensteuer zahlen mussten. Dadurch erlebten bis zum Beginn des Albigenserkreuzzugs 1209 weite Landstriche im Süden einen kulturellen und wirtschaftlichen Aufschwung.
Jean Louis Gasc: »Zur Zeit der Ketzer war Carcassonne eine alte gallo-römische Festung mit zwei Vororten, einem Palast und einer Kapelle. Im ersten Kreuzzug zwischen den Katholiken aus Nordfrankreich gegen die Leute aus Südfrankreich – die auch katholisch sind – stand die Festung im Mittelpunkt des Geschehens.« Erst nach der Niederlage der Katharer im Jahr 1229 ließ der König von Frankreich die stark befestigte Burg mit der doppelten Ringmauer erbauen. Die Schießscharten sind gegen das Volk gerichtet. Als weiteres Bollwerk trennte die Barbakane das Volk von der Burg. Mit beiden wollte der König seine neue Macht festigen.
»Der Krieg war zwar gewonnen, aber es war kein Erfolg, denn es gab noch die katharische Kirche«, erklärt Jean Louis. Um diese endgültig auszulöschen, hatte man 1233 die Inquisition eingeführt. Mit Erfolg: »Nach acht Jahren Inquisition gab es keine Katharer mehr.« Damals hatten die ursprünglichen Einwohner Carcassonne verlassen und auf der gegenüberliegenden Flussseite eine neue Stadt gegründet. Dazwischen lag das riesige Gefängnis – Mauer genannt – der Inquisition. Jean Louis Gasc: »Das war für die jungen Leute die Hölle. Man sagte, ich bin in der Zeit des Unglücks geboren.«
Über die alte Brücke gelangen wir in den Burghof mit zwei großen Bäumen. Nach der ersten Orientierung führt uns Jean Louis über eine Treppe hinunter in den ältesten Teil der Festung. Sowie er das Licht einschaltet, sehen wir vor uns aufwendig gearbeitete Steinmosaike auf dem Boden. Wir befinden uns offenbar im antiken römischen Bad von Carcassonne.
Dass dieser empfindliche Bereich nur selten geöffnet wird, erklärt sich aus den Besucherzahlen: »Im Jahr kommen etwa 550.000 Besucher hierher zum Nationaldenkmal. In der gesamten Stadt sind es zwischen zwei und drei Millionen«, erklärt Jean Louis, schränkt aber sogleich ein: »Wir wissen es nicht genau, die Politiker sagen viel, aber aufpassen ...«
Nach diesem Abstecher geht es ins eigentliche Château Comtal, wo uns ein zugemauerter Rundbogen auffällt. Bevor die Decke höher gesetzt wurde, befand sich hier der mittelalterlicher Zugang. Von der anderen Seite – in der Boutique – ist die schwere Holztür noch zu sehen. Unser Weg führt uns in einen Raum mit gewölbter Decke und alten Fresken an den Wänden. In einer kriegerischen Darstellung hatte man lange Zeit den Kampf der Franken gegen die ab 719 in Frankreich einfallenden Muslime gesehen. Die Fresken wurden 1926 unter einer weißen Schicht entdeckt und wieder frei gelegt.
Erst 2003 bemerkte ein Historiker, dass dieser Kampf, bei dem ein Mann der Kopf abgerissen wurde, auch in einer Kirche auf dem Weg nach Compostela zu finden ist. Er stellte damit die Verbindung zum Kampf von Roland gegen den Riesen Ferragut her. Bei dem Kampf soll Roland den Riesen gefragt haben, warum er ihn nicht töten könne. »Der Riese sagte, 'doch das ist möglich, wenn man ein Loch in meinen Bauch sticht. Man sieht dies häufig in der Literatur des 14. Jahrhunderts. Genauso ist es auch hier dargestellt, an dessen Ende Roland den Riesen umbringt«, erklärt Jean Louis und verrät, warum er uns dies so ausführlich schildert: »Das heißt, was hier beschrieben ist, ist falsch.«
Mit verschiedenen Kameraeinstellungen war es ihm gelungen, weitere zuvor unerkannte Details in den Fresken offen zu legen. Eine davon zeigt eine Frau, eine andere Karl den Großen, dem ein Mann mit Schwert zur Seite steht. Zu seiner Zeit soll Carcassonne bereits so gut befestigt gewesen sein, dass er gesagt habe, er werde die Stadt nicht angreifen, eh die Türme schief stehen. Was damals als Lied durch die Lande getragen wurde, hatte sich im Lauf der Jahrhunderte zur Legende der Madame Carcas, ihrem Schwein und den Trompeten entwickelt. Um all dies zu entdecken, sollte man sich reichlich Zeit für diesen Raum nehmen.
Nachdem wir auch die alte Statue der Madame Carcas im Nachbarzimmer gesehen haben, führt uns Jean Louis auf die Festungsmauer. Unser Ziel ist der Justizturm. Zu den bekanntesten Gefangenen in dem Turm zählt eine Frau, die hier 1703 »wegen kriminellen Glauben, sie war Protestantin« eingesperrt war. Ebenfalls zur traurigen Vergangenheit des Turms zählt, dass hier in früheren Jahrhunderten Menschen gefoltert wurden. Einige von ihnen sollen bis dato als Gespenst in dem Turm ihr Unwesen treiben. Das ist auch der Grund, warum der Mann, der hier eigentlich putzen sollte, sich weigert, den Turm auch nur zu betreten. Um so friedlicher geht es dafür heute auf dem Wehrgang zu, von dem der Blick bei klarer Luft bis zu den Pyrenäen reicht.
Nach der Besichtigung mit Jean Louis bleibt uns genug Zeit, um über die beiden Stadtmauern von Carcassonne zu spazieren. Beide Wehrgänge starten in den jeweiligen Ecken des Château Comtal, wobei wir mit der Gallo-romanischen nördlichen Stadtmauer beginnen. Denn die andere führt zum Ausgang nahe der Basilique Saint Nazaire.
Bei einem ständigen Auf und Ab eröffnen sich uns immer wieder schöne Aussichten von der Mauer auf die Bastide Saint-Louis. Sie bietet der Bevölkerung seit 1262 ein neues Wohngebiet, nachdem König Ludwig IX. die alten Marktflecken der Siedlung schleifen ließ. Sehr schön sind auch die Einblicke in die akkurat gepflegten Hintergärten der Cité-Häuser, die sich von den quirligen Gassen der Stadt aus nur erahnen lassen.
So kommen wir hier über den Tréseau Turm mit der alten königlichen Schatzkammer bis zum Stadttor Porte Narbonnaise. Dieser beeindruckende Teil der Befestigungsanlage sollte damals die königliche Macht am Haupteingang verkörpern.
Denselben Weg geht es wieder zurück zum Château Comtal. Ein letztes Mal überqueren wir den großen Burghof, bevor wir über den Bergfried auf die mittelalterliche Stadtmauer West steigen. Die Türme, die wir während der Besichtigungstour noch betreten konnten, sind nun auch für uns verschlossen. Was bleibt, ist die Aussicht in die herrliche Gegend. Irgendwo weit unter uns verläuft der Canal du Midi. Den Verlauf des Kanals können wir jedoch nur erahnen, da keinerlei Boote zu sehen sind.
Über den Bischofsturm, am Theater Jean Deschamps vorbei, kommen wir zum Torturm Saint-Nazaire. Dieser war mit einem Brunnen und einem Brotofen zur Versorgung einer kleineren Truppe ausgestattet. Für uns endet hier die wundervolle Tour durch das Château Comtal und seine Stadtmauern.
Zum Abschluss schlendern wir nochmals durch die Gassen der Cité. Carcassonne hat uns einen rundum gelungenen Tag beschert. Dabei war es eine gute Entscheidung, die Festung jetzt schon zu besichtigen. Wer weiß, ob uns während der Bootstour auf dem Canal du Midi so viel Zeit bleibt wie heute?