Nur wenige Kilometer von Saint-Cirq-Lapopie entfernt, befindet sich flussaufwärts am Lot das hübsche Château de Cénevières. Bereits das Burgtor erinnert an ein Märchenschloss. Wir sind angemeldet und klingeln im Burghof beim nächsten Tor. Zunächst werden wir jedoch in dem auf einer Anhöhe gelegenen Schloss von einer kräftigen Windbö empfangen. Sekunden später öffnet sich das Tor und wird das Burgfräulein fast aus dem Schloss geweht. Dann fällt das Tor hinter ihr wieder krachend in seine Angel und ist der Spuk vorbei. Der Schlossherr Patrick soll unsere Führung übernehmen. Da er noch mit einer anderen Führung beschäftigt ist, warten wir im Vorhof. Bald ebbt der Wind wieder ab, sodass wir die wärmende Sonne und Ruhe genießen können.
Wenige Minuten später begrüßt uns Patrick. Auch wenn er nur Englisch redet, hat er eine tolle Art zu erzählen. Dabei scheut er auch nicht davor zurück, die Französische Revolution in ein anderes Licht zu rücken: »Am 13. Juli 1789 waren alle glücklich und am Tag drauf gab es [mit dem Sturm auf die Bastille] eine große Siegesfeier. Aber nach der Revolution herrschte großes Chaos. Es war bei uns genauso wie heute in Tunesien oder Ägypten. Zunächst waren alle froh, das alte System gestürzt zu haben. Aber wie sollte es weitergehen?« Es mangelte an Leuten, an Personal, an Geld. Viele Menschen hatten ihre Arbeit verloren oder wurden für diese nicht bezahlt.
Wer nicht getötet oder verhaftet worden war, floh nach Deutschland oder in andere Staaten Europas. »Danach gab es niemand mehr, der die Straßen unterhielt und die Brücken sicherte. Das Verkehrsnetz war bald marode und Flüsse konnten nicht mehr überquert werden. Wer Tiere hatte, konnte diese nicht mehr zum Markt bringen und verlor seine Lebensgrundlage.« Auch als seine Familie das Schloss 1793 gekauft hatte, herrschte noch großes Chaos, die Menschen litten Hunger und kümmerten sich nicht um die Politik. Erst mit der Machtergreifung Napoléons (9. November 1799) endete diese chaotische Zeit. Patrick: »Damit allerdings fiel das Land in ein autoritäres System zurück, was wir eigentlich hatten loswerden wollen.«
Die eigene Geschichte vom Château de Cénevières reicht bis ins Jahr 763 zurück. Damals wurde das Schloss erstmals in Bordeaux, der damaligen Hauptstadt von Aquitanien, urkundlich erwähnt. Patrick: »Nach einer vierjährigen Belagerung von Cénevières wurde Waiffre von Gaifier, Herzog von Aquitanien, von König Pippin der Kurze – dem Vater von Karl dem Großen – gefangen genommen. Pippin kam aus Frankfurt und war der Anführer des französischen Stamms. Das heißt, wir – die Franzosen – kommen aus Frankfurt.« Davor seien sie Kelten gewesen, »ihr wisst schon, lange Haare, Bier trinkend, Dolmen bauend und sonst nichts tuend. Wir kannten die Leute aus Deutschland nicht, doch eh wir uns versahen, waren wir Franzosen.“ Dies änderte sich im 12. Jahrhundert, als Eleonore von Aquitanien mit Truppen am Kreuzzug nach Jerusalem teilnahm und sich in den zu der Zeit noch jungen Heinrich Plantagenet verliebt hatte.
Sie löste die Heirat mit dem französischen Thronfolger Ludwig VII. auf und wurde durch die Heirat mit Heinrich Königin von England. »So wurden wir Englisch«, resümiert Patrick. »Das waren für uns sehr seltsame Menschen. Denn um 5 Uhr nachmittags ließen sie alles stehen und liegen, erhitzten Wasser und tauchten Kräuter hinein. Das war eine für uns sehr überraschende Weise zu leben.« In der modernen Zeit müssten wir uns das so vorstellen, dass Monsieur Hollande und Angela Merkel heiraten würden und die Franzosen damit deutsch würden, ohne dass dafür sonst etwas geschehe. Erst später führten Spannungen zum Hundertjährigen Krieg zwischen Frankreich und England. Nach dessen Ende schloss sich der damalige Burgherr, Antoine de Gourdon, dem Protestantismus an und befehligte als ein Anführer der Hugenotten 50 bewaffnete Männer während der Religionskriege.
Beinahe unbeschadet überstand das Schloss die Französische Revolution. Als die Revolutionäre der Gemeinde Cajarc auf das Château vorrückten, ließ der Burgherr die Tore sowie auch den Weinkeller öffnen und hieß die Männer willkommen. Eine Geste, die nicht den erhofften Erfolg hatte. Teile der Anlage wurden geplündert und niedergebrannt.
1793 erwarb dann Louis Naurissart die Anlage, die sich bis heute im Besitz seiner Familie befindet und Stück für Stück wieder restauriert und ergänzt wird. So ist Patrick wenig glücklich über einen neuen Wehrgang, der an sich zwar ansprechend aussieht und unserer Vorstellung entspricht, den es so in früheren Zeiten aber nie gegeben hatte.
Vom Burghof sowie der oberen Dachterrasse eröffnet sich uns ein herrlicher Blick über das Tal des Lot. »Normalerweise ist hier alles grün,« meint Patrick »doch wir haben dieses Jahr eine extreme Trockenzeit«. Das Gebäude wird heute noch von den Burgherrn bewohnt, weshalb einige Bereiche »privé« sind. Eine Auswahl an Räumen kann jedoch bei einer Führung besichtigt werden. So zeigt uns Patrick einige geheimnisvolle Zimmer und so manch Prunkstück. Die Wände sind verziert mit gut erhaltenen Gobelins aus Flandern und Fresken, die Städte aus dem Orient zeigen. Prachtvoll ist auch die Renaissance-Kassettendecke, die erst in jüngerer Vergangenheit wieder freigelegt wurde.
Im Treppenhaus fallen uns mehrere Rüstungen auf. Sie stammen aus einer Zeit, in der arme Familien ihre zwölfjährigen Jungen in die Obhut der Burg gegeben hatten. Die Jungs mussten sich um ein oder zwei Pferde kümmern, wurden dafür groß gezogen und schon in jungen Jahren mit den schweren Rüstungen ausgestattet.
Zusammen mit dem Kettenhemd schleppten sie rund 40 Kilogramm mit sich herum. Mit 15 waren sie dann ausgebildete Soldaten. Ein unerwarteter Feind lauerte ihnen dabei im Wasser auf: Wenn sie in Schlamm gerieten, konnten sie sich unter der Last nicht mehr befreien, sodass sie im schlimmsten Fall elendig ertranken.
Nach dem Schlossrundgang bringt uns Patrick zu seiner Familie in den großen Speisesaal. Die Oma und der Opa, seine Frau Patricia und das Burgfräulein, welches sich als externe Führerin herausstellt, warten schon mit dem Essen auf uns. Super, denn irgendwie haben wir an diesem vor lauter Terminen die Mittagspause vergessen. Damit erleben wir das Château de Cénevières als ein richtiges Wohlfühlschloss.
Nicht zuletzt deshalb, weil es als Dessert eine angesichts der wenigen Gäste eine riesige Käseauswahl gibt. Warum? »Wir hatten am Wochenende eine große Hochzeit. Da ist ein bisschen was übrig geblieben«, verrät uns Patrick. Dann aber heißt es Abschied nehmen. Schließlich wartet mit der Grotte von Pech Merle noch ein weiterer Programmpunkt an diesem Tag auf uns.