Orheiul Vechi hat uns mit traumhaftem Wetter empfangen. Und durch die insgesamt doch eher kurze Anreise ist es noch früh am Tag. Warum also die Besichtigungen auf morgen verschieben, nur weil es so in unserem Reiseplan steht? Also sind wir schon bald wieder auf den Beinen und spazieren von der Resedinta Rotundu ins Dorf von Butuceni. Mir war so, als hätte ich bei der Fahrt einen Weg hoch auf den Butuceni-Hügel gesehen. Tatsächlich finden wir diesen gegenüber der Villa Etnica, wo sich bei einer Art Dorfplatz der Weg gabelt. Ein Jesuskreuz markiert die Ecke, ab der wir links davon den Feldweg steil nach oben nutzen.
Die Fahrspur ist staubig. Doch auf beiden Seiten davon zieren bunte Wiesenblumen und vereinzelte Heckenrosen den Hang. Kaum sind wir einige Meter hinaufgestiegen, öffnet sich der Blick über die fruchtbare Ebene von Butuceni.
Sie gliedert sich in einen schmalen Streifen mit Wohnbebauung und den Gemüsefeldern bis hin zum Fluss Raut. Alles zusammen wird von den Hügelzügen aus Kalksteinfelsen umfasst.
Auf dem Grat angekommen, pfeift uns plötzlich der Wind um die Ohren. Nun blicken wir auf die andere Seite des Butuceni-Hügels mit der Ebene der Pestere-Landzunge. Sie ist einiges breiter als die von Butuceni. In der Ferne sehen wir die kleine Ortschaft Tribujeni, von der uns einige Kilometer trennen. In den Felshängen unterhalb von uns müssten sich mehrere Einsiedlerhöhlen befinden. Doch die werden wir morgen suchen. Der heutige Weg führt uns zum Kloster von Orheiul Vechi mit seiner Marienkirche.
Das Kloster Orheiul Vechi ist von einer Mauer umgeben. Bei unserer Ankunft erstrahlt die Anlage wunderschön in der Abendsonne. Sowie wir das Tor passiert haben, stehen wir in einem gepflegten Garten. Das ist offenbar Standard in Moldawien. Anders als bei den bisherigen Klöstern besitzt Alt-Orhei eine Art Devotionalien- und Souvenir-Laden.
Es ist ein weiteres sicheres Indiz dafür, dass hier einiges mehr los ist als an anderen Orten. Am späten Nachmittag oder auch frühen Abend sind die Touristenströme zum Glück auf dem Rückweg nach zur Hauptstadt Chisinau bzw. zum Abendessen. So können wir die klösterliche Ruhe genießen.
Ein weiteres Alleinstellungsmerkmal von Alt-Orhei ist die Wasserversorgung. Bisher wurden die Anlagen mit Ziehbrunnen versorgt. Hier indes wurde eine Schwengelpumpe installiert, mit der das Wasser von tief unten hinaufgepumpt wird. Typisch wiederum ist der obligatorische Trinkbecher, der am Gestänge hängt.
Wir verzichten lieber und verlassen die Klosteranlage über das Haupttor. In der Ferne sehen wir ein Kreuz, um das eine moldawische Festgesellschaft stakst. Für die Wege auf dem Butuceni-Berg haben sowohl die Frauen mit ihren Stöckelschuhen als auch die Männer in Lackschuhen ihre Fußbekleidung denkbar ungünstig gewählt.
Über dem Abgrund thront ein aus dem 18. Jahrhundert stammendes Steinkreuz. Einst hat sich an der Stelle eine unglücklich verliebte junge Frau hinabgestürzt. Seither gilt der Ort als wundertätig.
Barfuß soll man drei Runden um das so genannte »Wunschkreuz« laufen. Wünsche sollen dann in Erfüllung gehen. Ich wünsche mir, dass wir nachher etwas Kühles zum Trinken bekommen. Ich bin gespannt.
Der Hauptanziehungspunkt des Butuceni-Hügels ist jedoch das vermutlich um 1675 gegründete Höhlenkloster. Ein Glockentürmchen aus dem Jahr 1890 weist uns den Weg zum heutigen Eingang in den Zugangstunnel.
Früher führten steile Pfade vom Flussufer hinauf zum Kloster. Durch Erdabbrüche sind diese jedoch längst unpassierbar geworden. Somit ist die Klosterkapelle einzig über den düsteren Tunnel zu erreichen.
Allmählich gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit der Höhle. Eine Nonne erinnert mich einmal mehr an die Kopftuchpflicht. Männer hingegen müssen ihre Mützen absetzen. Überraschend ist die schön eingerichtete Kapelle mit winzigen Fenstern, die etwas Licht hineinlassen. Ein hübsch geschnitzter Holzaltar mit bunten Heiligenbildern ziert den Innenraum. Der Boden und die Bänke sind mit Teppichen schon fast komfortabel ausgelegt.
Ganz im Gegensatz übrigens zu den versteckt gelegenen Mönchsklausen. Deren Eingang entdecken wir erst, als eine österreichische Männergruppe durch die niedrige Türe gekrochen kommt. In einer großen Höhle mit ebenfalls niedriger Decke dienten elf zum Raum offene, aber mit Trennwänden unterteilte Zellen, bis 1816 als Mönchsunterkunft. Der Abstecher dorthin lohnt sich, ist allerdings auch rasch abgehandelt.
Zurück in der Höhlenkapelle öffnet uns der einzige Mönch, der angeblich noch in der Höhle haust, die Türe zum Balkon. Plötzlich zieht es wie Hechtsuppe. Kein Wunder, dass der Mönch darauf achtet, dass die Türe auch sofort wieder geschlossen wird.
Vom Balkon inmitten der Steilwand haben wir eine herrliche Sicht über die Landschaft von Orheiul Vechi. Leider ist diese Stelle nach Nordosten ausgerichtet, weshalb wir nun im Schatten des Butuceni-Hügels stehen.
Laut den Geologen befindet sich ganz Moldau auf dem Boden des ehemaligen Sarmatischen Meeres. Vor rund 14 Millionen Jahren erstreckte sich dieses von Südosteuropa bis Südrussland. Zum Ausdruck kommt dies durch unzählige Muscheleinschlüsse, welche die Wände des Kalksteinfelsen schmücken. Gespickt sind diese zudem mit Münzen der Besucher. Sie garantieren dem einsamen Mönch ein zumindest kleines Einkommen. Zumindest dann, wenn er die Opfergaben hin und wieder absammelt.
Wir beenden unsere Besichtigung gerade noch rechtzeitig. Denn kaum sind wir zurück in der Höhlenkirche, lärmt eine größere, aber junge Schülergruppe die Tunneltreppe hinab. Augenblicklich bekommt die Nonne richtig Stress.
Wie um Himmelswillen soll sie nur all die Mädchen mit Kopftüchern ausstatten und zugleich die vielen Mützen von den Köpfen der Jungs nehmen? Wir sind amüsiert, suchen wegen des Lärms und des Gewusels aber doch bald das Weite.
In Richtung der Raut-Brücke verlassen wir den Berg und kommen so zu der Bushaltestelle, wo die Schülerbusse stehen. Wenige Schritte weiter erreichen wir wieder das Dorf Butuceni. Gleich am Dorfeingang steht ein kleines Kassenhäuschen für das archäologische und ethnologische Museum. Da Butuceni das reinste Folklore-Vorzeigedorf der Gegend darstellt, ist das Museum auf mehrere der Bauernhäuser verteilt.
Wir begnügen uns mit dem Spaziergang daran vorbei. Zwei Esel schlenkern fröhlich mit ihren Ohren und beäugen uns neugierig. Wir indes freuen uns, wieder bei der Villa Etnica angekommen zu sein, wo wir tatsächlich etwas Kühles zum Trinken bekommen. Der Wunsch vom Kreuz ist erfüllt, wir sind zufrieden.