Nach dem Besuch im Kloster Capriana bleibt noch genügend Zeit für ein zweites Kloster. Das Nonnenkloster Manastirea Hancu soll sich ganz in der Nähe befinden. 'Also nichts wie hin', denken wir, nehmen die erste Kurve und stehen auch schon im Stau. Plötzlich geht es nur noch im Schneckentempo vorwärts – wenn überhaupt! Wie kann das in einem so kleinen Dorf wie Capriana passieren? So viele Autos gibt es doch gar nicht in Moldawien. Wir überlegen kurz, auf einen der Seitenwege auszuweichen, verwerfen den Gedanken aber sogleich wieder.
Das funktioniert in dieser Gegend nur mit Allradantrieb und hohen Achsen. So tingeln wir langsam hinter den anderen Autos her und entdecken schließlich den Grund für den Stau: eine Beerdigung. Der offene Sarg wird langsam durch den Ort bis zum weit außerhalb gelegenen Friedhof getragen. Gefolgt von einer großen Trauergemeinde. Es scheint, als wäre das gesamte Dorf mitsamt seinen Nebenorten zum Trauermarsch angereist. Da bleibt nur Ruhe und Geduld bewahren.
So verstreicht die Zeit. »Würde mich nicht wundern, wenn nicht alle Trauergäste das Ziel lebend erreichen«, murrt Lars. »Sei nicht so bös«, zisch ich zurück. Dabei könnte er angesichts des Alters manch eines Teilnehmers sogar recht behalten. Nach einer kleinen Ewigkeit aber hat der Tross endlich sein Ziel erreicht und gibt die Straße frei. So kommen wir noch vor Sonnenuntergang bei der Manastirea Hancu an. Anders als das Kloster Capriana befindet sich Hancu in den Wäldern, außerhalb der nächsten Ortschaft Bursuc.
Diese Lage fernab vom Schuss ist üblich für Klöster in Moldawien. Zugleich verdeutlichen die Klöster die teils krassen Gegensätze in der Republik Moldau: erst fährt man kilometerweit durch ärmlich wirkende Ortschaften mit Ziehbrunnen, die bis dato der Trinkwasserversorgung dienen. Und dann, mitten im Wald, erscheint irgendwann ein gewaltiges Gotteshaus voller Prunk und Schönheit. Denn auch Hâncu zählte einst zu den reichsten Klöstern Moldaus.
Über die Gründung des Klosters ranken sich verschiedene Legenden. Ihnen gemein ist, dass sie sich alle auf die erste Äbtissin, der Tochter des Bojaren Mihalcea Hancu, beziehen. So heißt es, der fromme Hancu sei mit seiner Tochter Paraschiva auf der Flucht vor den Tataren gewesen. Hâncu schwor, eine Einsiedelei zu gründen, sollte ihnen die Flucht gelingen. Der Überlieferung entkamen sie ihren Verfolgern an genau der Stelle, wo heute das Kloster steht.
Laut einer anderen Geschichte versteckte sich Hancus Tochter in einer Höhle im Wald. Ihr Vater hatte sie zuvor einem Gefährten versprochen, was der jungen Dame gewaltig missfiel. Sie drohte, die Höhle erst dann wieder zu verlassen, wenn sie versöhnende Glockenklänge vernimmt. Hancu sah nur einen Ausweg, ihr ein Gotteshaus zu errichten.
Im Lauf der Jahrhunderte wuchs die Einsiedelei Hancu zu einem bedeutenden Kloster mit großem Garten und Waisenhaus heran. Auch pflegte der Orden enge Kontakte zu den Athos-Klöstern in Griechenland. Mit dem Zweiten Weltkrieg endete diese Ära: 1944 wurden die Mönche durch das rumänische Regime verhaftet. Nach ihnen zog die Sowjetunion den gesamten Kirchenbesitz ein, schloss das Kloster im Jahr 1956 und unterstellte es dem Gesundheitsministerium.
Als Tuberkulose-Sanatorium und Ausbildungsstätte für Medizinstudenten fristete die Anlage ihr Dasein. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion beantragten die Bewohner der umliegenden Orte die Wiedereröffnung des Klosters. Mit Erfolg, 1992 wurden die Gebäude und Ländereien der Kirche zurückgegeben. Zinaida Cazacu war die erste neue Nonne des Klosters, welche bei ihrem Eid, wie die Tochter Hâncus damals, den Name der Großmärtyrerin Parascheva annahm.
Noch immer ist der Wiederaufbau nach der sowjetischen Zweckentfremdung sowie auch teilweisen Zerstörung im Gange. Die gewaltige Sommerkirche ist äußerlich bereits fertiggestellt. Für uns ist das Gebäude jedoch verschlossen, da es bei den Zugängen und im Innern noch einiges zu tun gibt. Hancu gilt aber auch als das Kloster mit dem üppigsten Blumenschmuck des Landes. Und diesem Ruf macht es alle Ehre. Mit einer besonnenen Ruhe hockt eine Nonne im Blumenbeet und verpflanzt Stiefmütterchen.
Mit einem ausgedienten Trinkbecher werden diese liebevoll angegossen. Wie lange es wohl dauert, um die riesigen Flächen auf solche langsame Art und Weise zu bepflanzen? »Wahrscheinlich auch nicht viel länger als eine Trauerprozession ...«, bemerkt Lars. Na, dann hoffen wir mal, dass die auch schon etwas betagte Nonne ihre Stiefmütterchen noch eine Weile von oben betrachten kann.
Es ist noch Frühling in Moldawien und die Pflanzen sind jung. Zwei oder drei Wochen nach unserem Besuch werden sich die frisch bepflanzten Beete sicher zu einer bunten Blumenpracht entwickelt haben. Wir indes begnügen wir uns mit dem Beobachten der Bauern, welche bei den Quellen des Klosters Wasser abzapfen und auf ihre Pferdekarren verladen. Dann wird es auch schon Zeit, zurück zur Hauptstadt Chisinau zu fahren. Wer weiß, ob wir bei der Rückfahrt erneut aufgehalten werden?