Moldau ist ein äußerst fruchtbares Land. Insbesondere für den Weinanbau finden wir hier geologisch und klimatisch günstige Bedingungen. So hat sich das kleine Land zu einem der weltweit größten Weinproduzenten mit Kellereien wie Milestii Mici gemausert. Selbst Deutschland mit seinen großen Weinregionen im Baden, in Rheinhessen und der Pfalz verweist es auf die Plätze. Dennoch sind die moldawischen Tropfen in Westeuropa weitgehend unbekannt.
Und das ungeachtet archäologischer Funde. Sie zeigen, dass die Menschen hier bereits in der Jungsteinzeit den Traubensaft schätzten. Auch während der osmanischen Zeit wurde auf dem Gebiet Moldaus Wein angebaut, wenngleich die fremden Herrschen diesen mit hohen Steuern belegt hatten. Gerade in den vielen Klöstern war ein guter Tropfen ein Muss für das Abendmahl. Und außerdem galt es, die Tradition zu pflegen.
Als zur Sowjetzeit die Klöster geschlossen und zweckentfremdet wurden, blieb der Weinbau bestehen und entwickelte sich ein nennenswerter Export des Weins. Moldau, damals Teil der MolSSR, produzierte bis zu zwei Millionen Tonnen Wein, hauptsächlich für das Sowjetreich. Im Zeichen der sozialistischen Planwirtschaft zählte Quantität statt Qualität. Immer größere Mengen brauchte es auch, denn der Alkoholkonsum in der Sowjetunion wuchs beständig.
Die Blütezeit des Weinbaus endete, als der Alkoholismus zu einem sichtbaren Problem der Gesellschaft und insbesondere der Männer wurde. Es war höchste Zeit, dem einen Riegel vorzuschieben. So beschloss Michail Gorbatschow 1985 eine Antialkoholkampagne. Die Weinproduktion musste auf unter ein Viertel reduziert werden, was die Wirtschaft der Sowjetrepublik Moldau erheblich schwächte.
Trotzdem blieb Moldawien ein bedeutender Weinproduzent und Russland mit etwa 82 Prozent der größte Abnehmer. Die Russen liebten georgische und moldauische Weine. Ein neuerlichen Rückschlag mussten die Winzer erst im Jahr 2006 hinnehmen, als ihnen zu hohe Schadstoffbelastungen im Wein und mangelnde Hygiene bei der Produktion vorgeworfen wurde. Die russische Regierung verhängte im März 2006 ein generelles Importverbot für ihre bis dahin liebsten Weine.
Als wahrscheinlicherer Grund für das Verbot gilt jedoch der von den Russen unterstützte und bis dato ungelöste Transnistrien-Konflikt. Den Weinbauern nutzt dies freilich nichts. Um neue Abnehmer zu akquirieren, suchen sie seither verstärkt Zugang zum Weinmarkt der Europäischen Union und knüpfen Kontakte zu China.
Nachdem nicht mehr auf Teufel komm raus produziert werden muss, wird heute wieder verstärkt auf Qualität gesetzt. Zudem wird der leicht anwachsende Tourismus mit einbezogen. Es gibt bereits touristische Weinstraßen mit einigen ansteuerbaren Betrieben. Und die haben es in sich.
Denn wo viel Wein hergestellt wird, braucht es auch große Lager. Tatsächlich sind es weniger die beschaulichen Weinberge, die Touristen zu den Betrieben locken, sondern die unterirdischen Kellerlabyrinthe. Und solch eines wollen wir heute bei Mileştii Mici besuchen.
Um eine längere Wartezeit zu vermeiden, haben wir uns mit 10 Uhr gleich den ersten Termin des Tages gesichert. Da die Kellereien auch bei Gruppenreisen beliebt sind, ist das besser so. Allerdings kommen wir eine gute Dreiviertelstunde zu früh an und stehen vor verschlossenen Türen. Na ja, im Elsass würden wir die Zeit einfach für einen Spaziergang durch die Weinberge nutzen. Bei Milestii Mici jedoch ist kaum auszumachen, wo der viele Wein herkommen soll.
Hie und da sehen wir einige Parzellen mit Reben. Dazwischen breiten sich Wiesen und Äcker aus. Durchgehende Flächen und Bänder an Reben wie wir sie aus den Weinregionen Frankreichs und Deutschlands kennen, finden wir indes keine. So schlendern wir stattdessen entlang der Einfahrt zu Milestii Mici zu mehreren alten Eingängen in das Labyrinth der Weinkellerei.
Flaschenlager im Keller des Weinguts Milestii Mici
Dann aber öffnet das Tor und dürfen wir zumindest schon einmal in den Garten. Während sich über uns allmählich die Sonne durchsetzt, schaltet der Hausmeister die beiden Weinbrunnen für uns an. So etwas Ähnliches kennen wir aus dem Labyrinth der Budaer Burg in Budapest. Allerdings sprudelt hier gefärbtes Wasser aus dem Hahn.
Alles andere wäre auch übertrieben. Wir genießen noch einen Kaffee und die ersten wärmenden Sonnenstrahlen des Tages. Dann können wir auch schon unser Auto für die Tour durch die Tunnel holen. Eine Mitarbeiterin, wir nennen sie »Cavenesse«, begleitet uns auf dem Rücksitz in den Untergrund.
Bei unserer Planung hatten wir eigentlich mit einer Kolonne gerechnet. So früh am Vormittag sind wir jedoch die einzigen. Etwas monoton erzählt uns Cavenesse, dass die Tunnel ursprünglich als Steinbruch für Kalkabbau dienten, eh sie zu einem Weinlager umfunktioniert wurden. Und was für ein Lager! Mileştii Mici kann auf stolze 200 Kilometer Tunnel zurückgreifen. Lediglich 50 Kilometer davon werden als Lager genutzt. Fünf Kilometer wiederum sind dazu da, Touristen ein Gefühl für die moldawische Kellerei zu vermitteln.
Die verschiedenen Tunnel, durch die Lars unseren Leihwagen lenkt, sind nach Chardonnay, Sauvignon und weitere Rebsorten benannt. Wer jedoch glaubt, er könne eines der zahlreichen Holzfässer anstechen und sich einen Becher Wein stibitzen, wird enttäuscht sein. Die Autoabgase würden dem Wein bei der Reifung schaden. So reihen sich entlang der touristischen Route lediglich ausgediente Barriques, also Eichenfässer, aneinander.
Am tiefsten Punkt der Tour befinden wir uns 85 Meter unter dem Boden. Gerne dürfen wir aussteigen und Fotografieren. Zu Fuß geht es ins Flaschenlager. In unterteilten Minikellern lagern hier bis zu 1,5 Millionen Flaschen bei 12-14°C. Das Klima ist hier so perfekt, dass viele Privatpersonen diese Keller für die Lagerung ihrer besten Weine anmieten. Angela Merkel und Wladimir Putin lagern ihre Weine zwar im Weingut Cricova, dafür steht Milestii Mici als Europas größter Weinkeller im Guinness-Buch der Rekorde. Cavenesse führt uns bis zum Geheimgang zu einem Lager aus den Zeiten von Gorbatschows Alkoholverbot.
Schließlich begleitet sie uns zu den Verköstigungsräumen des Weinguts. Dahinter verbirgt sich ein wohnlich eingerichteter Keller, in dem gerade eine Tafel für eine Gruppe feierlich eingedeckt wird. Hier endet unsere Tour durch den Untergrund von Moldawien. Mit neuen Eindrücken kehren wir zurück ans Tageslicht. Wären wir nicht mit dem Auto unterwegs, wären wir einer Weinprobe gegenüber nicht abgeneigt gewesen. Doch in Moldawien herrscht eine Null-Promille-Grenze auf den Straßen und bis Balti liegt noch ein weiter Weg vor uns.