Die Stadt Bender mit der Festung Bendery gehört zu den wenigen Transnistriens, die sich westlich vom Dnister befinden. Bekannt ist die im 15. Jahrhundert erbaute Burg als Zufluchtsstätte des schwedischen Königs. Ebenfalls unvergessen ist der legendäre Ritt des Barons Münchhausens auf der Kanonenkugel.
Transnistrien bedeutet eigentlich »jenseits des Dnister«. Da der Ausdruck die Einwohner an die Zeit der letzten rumänischen Zugehörigkeit erinnert, bevorzugen sie jedoch den Namen Pridnestrowien. Dieser Name heißt soviel wie »Land am Dnister« und trifft es auch etwas besser.
Zwar befindet sich der Großteil des Landes östlich des Flusses Dnister. Doch die Stadt Bender mit seiner Festung Bendery sowie ein paar wenige Dörfer Transnistriens sind auf der Westseite zu finden. So starten auch wir unsere Transnistrien-Tour, noch bevor wir den Fluss überqueren.
Unser Fahrer bringt uns zur Festung Bendery, wo wir uns von ihm verabschieden. Erst morgen wird er uns wieder vom Hotel in Tiraspol abholen. Hier am Eingang der Festung empfängt uns Andrej Smolenskij. Mit ihm und seiner charmanten Assistentin Franziska Jaeger geht es uns nun in Städte und Dörfer, zu Klöstern und etlichen Lenin-Denkmälern des Landes. Mit der Festung von Bender starten wir sogleich mit einem Highlight. Jahrelang war die Burg nur geladenen Staatsgästen vorbehalten. Den »normalen« Touristen blieb der Eintritt indes verwehrt. Denn die Festung steht auf militärischen Sperrgebiet.
Tatsächlich macht der Eingang zur Festung bis dato einen etwas seltsamen Eindruck. Anstelle von deutlich gekennzeichneten Kassenhäusern oder sonstiger touristischer Infrastruktur stehen wir einer Art Industriebrache gegenüber. Hinge kein Bendery-fortress-Plakat am rostigen Tor, wer würde hier den Eingang zu einer mittelalterlichen Burg vermuten? Aber Andrej holt die Eintrittskarten, sodass wir bald weiter bis an die Burgmauern fahren können. Hier sieht es nun schon mehr nach einer Festung aus.
Franziska führt uns über das Gelände der Festung, dessen Geschichte mit einigen berühmten Namen eng verbunden ist. Bereits beim Parkplatz treffen wir auf die erste Persönlichkeit. Die weltbekannte zehnte Lügengeschichte des Barons von Münchhausen startet nämlich auf der Festung Bendery. Dieser zufolge hatte sein General einst von ihm verlangt, die Belagerung der Krim-Festung Ocakiv auszuspionieren.
Daraufhin schwang sich der Baron auf eine von Bender aus abgeschossene Kanonenkugel und flog damit zur belagerten Festung. Noch spektakulärer gestaltete sich sein Rückflug. Hierfür soll der Lügenbaron während des Fluges auf eine ihm entgegenkommende Kanonenkugel umgestiegen sein. Wenn das keine Geschichte zum vermarkten ist? Bis zur Krim fliegt keiner von uns. Aber Lars startet zumindest einen Rundflug über die alten Festungsmauern von Bender. Châpeau!
Die Büsten weiter Persönlichkeiten reihen sich beim Festungstor aneinander. Burkhard Christoph von Münnich (ein deutscher Ingenieur), Ludwig Adolf Peter zu Sayn-Wittgenstein oder Pjotr Iwanowitsch Panin: es sind Leute verschiedenster Herkunft, alle waren sie jedoch im Dienste der russischen Armee tätig.
Erbaut wurde die Festung des früheren Tighina Anfang des 16. Jahrhundert als Fort, durch den moldauischen Herrscher Ștefan cel Mare. Nachdem die Stadt 1538 unter Süleyman I. für das Osmanische Reich erobert wurde, erhielt sie den neuen Namen Bender, was sich vom türkischen Begriff »Tor« ableitet. Unter den Osmanen wurde das Fort zu einer Festung umgebaut.
Lange Zeit bildete die Festung Bender somit das Zentrum des Islam in Moldau. Sie stand aber westlichen Herrschern gegenüber offen. So fand der schwedische König Karl XII. in Bender einen Zufluchtsort, als er sich nach der Niederlage in der Schlacht von Poltova ins Exil rettete. Mit ihm kam Iwan Stepanowitsch Masepa, Hetman (Hauptmann) der ukrainischen Kosaken, welcher später auf der Festung starb.
Karl XII. indes versuchte von hier aus immer wieder, das Osmanische Reich zum Krieg gegen das Russische Reich aufzustacheln. Durch einen Patzer bei der Überbringung einer Order des Sultans kam es schließlich zum »Handgemenge von Bender«. Daraufhin mussten Karl und seine Gefolgsleute das Lager räumen. Das Gesicht des Löwen auf dem Wappen der Stadt Bender soll laut Andrej das Abbild des Schwedenkönigs sein.
Der kurze Rundgang reicht, um mich mit reichlich Geschichte zu überfluten. Das auch, weil die Ereignisse von Bender in schwedischen Schulen sicher mehr Platz finden als in deutschen. Doch das transnistrische Kulturministerium ist sehr erpicht darauf, mehr Touristen in das Land und zur Festung Bender zu locken. So sind im kleinen Burgmuseum die Abläufe des Handgemenges bildlich dargestellt. Zu den weiteren Ausstellungsstücken zählen eine Büste des Iwan Masepa und verschiedene Gebrauchsgegenstände aus früheren Jahrhunderten.
Auch sind die Ausbesserungsarbeiten an der Festung weit fortgeschritten. Es mag für Denkmalschützer sicherlich ein Graus sein. Aber hier werden neue Mauern einfach auf die alten Mauerreste drauf gepackt. Da kennen die Transnister keine Gnade. Oder, wie Lars es formuliert: »Sie machen es eigentlich genau wie früher. Sie nehmen an Materialien das, was ihnen zur Verfügung steht.«
Wir indes schlendern über diese neuen und auch alten Mauern, genießen die Aussicht auf das grüne Umland und erklimmen über eine waghalsige Wendeltreppe den großen Wehrturm. Während die Festung schon fast wieder vollständig ist, setzt sich Planung außerhalb fort. Dort soll ein Hotelkomplex entstehen und ein Anschluss zum Dnister geschaffen werden, sodass sich die Touristen hier wohl fühlen. Und wer soll das alles bauen? Natürlich die, denen das Grundstück gehört. So baut das Militär die Anlage Bendery-fortress auf. Wieder findet Lars die passenden Worte: »Ein Militär, welches aufbaut anstatt zu zerstören. Das sollte Schule machen!«
Unweit der Festungsanlage von Bender erreichen wir einen größeren Verkehrsknotenpunkt. Gleich dahinter führt eine große Brücke über den Dnister und stellt somit die Hauptverbindung in das Land Transnistrien dar. Da hier die meisten Transnistrien-Reisenden bei ihrer Tour gezwungenermaßen vorbeikommen, stehen die Verkehrsinseln ganz im Zeichen des Patriotismus und der Denkmäler.
Eines von ihnen ist das Mahnmal für die Gefallenen des Transnistrien-Kriegs vom März bis Juli 1992. 1993 wurden hier eine »Ewige Flamme« und ein restaurierter Schützenpanzerwagen installiert bzw. aufgestellt. Bei der Erstürmung der Polizeizentrale hatte die sechsköpfige Besatzung des Panzers ihr Leben verloren.
Vier Jahre später entstand die skelettartige Kapelle mit goldener Spitze und einer Bronzeglocke. 1998 wurde das Mahnmal mit einer fünfteiligen Gedenkmauer fertiggestellt. Heute sind all die Namen derer zu lesen, welche 1992 ihr Leben in Bender ließen. Andrej übersetzt uns die Inschriften wie folgt: »Nicht nur die Granittafeln erinnern sich an euch. Danke dem Schicksal, dass Du am Leben bist und mache eine tiefe Verbeugung vor denen, die dafür gefallen sind.«
Eine Verkehrsinsel weiter steht das Denkmal zum Tag der Rückeroberung durch den sowjetischen Großangriff bei der Operation Jassy-Kischinew. Mit Hammer und Sichel, dem kommunistischen Symbol schlechthin, wird hier dem großen sowjetischen Befreier gedankt.
Daneben befindet sich ein militärischer Wachtposten in einem runden Kabuff. Leider ist verboten, Kontrollposten der Friedenskräfte, Grenzübergänge oder Militärobjekte zu fotografieren. Also sind auch wir vorsichtig.
Wir fahren weiter in die Innenstadt von Bender bis zum Kulturhaus. Auch dieser Bereich der Stadt wird von Denkmälern geprägt. In einem hübsch gepflegten Park steht der unerschrockene Revolutionär Paul Tkachenko. Er war Mitglied der kommunistischen Untergrundbewegung in Bessarabien und Rumänien und 1919 aktiv am bewaffneten Aufstand in Bender beteiligt. Als Nächstes sehen wir ein paar Schritte hinter dem Kulturhaus einen grauen Sowjetsoldat mit zwei ehrfürchtigen Kindern.
Hier wird der vereinten Kontrollkommission gedankt, die seit der einmaligen Operation vom Juli 1992 den Frieden in Transnistrien gewährleistet. Dieses Denkmal wurde erst 2017 neu erstellt. So entsteht alle paar Jahre ein neues Denkmal, welches den Sowjets als Befreiern bzw. den Russen als großen Beschützer oder irgendwelcher Patrioten gedenkt.
Dies gilt auch für einen Park hoch über dem Fluss Dnister, wo sich die Gedenkstätte an den pro-sowjetischen Aufstand vom Mai 1919 befindet. Der Kampf ging damals von der Arbeiterklasse aus, welche den Anschluss der Stadt an die Sowjetunion erreichen wollte. Allerdings waren die Arbeiter nur sehr schlecht organisiert.
Nach nur einem Tag gelang es den rumänischen Truppen, den Aufstand niederzuschlagen. Heute bietet uns der Park eine schöne Aussicht auf den Dnister und das viele Grün der alten Bäume. Auffallend ist die Sauberkeit der Stadt. Hier und da sind die Straßen zwar etwas marode. Doch Gartenanlagen und Plätze werden liebevoll gepflegt, sauber und instand gehalten.