Das Kloster Noul Neamt zählt zu den wichtigsten Sehenswürdigkeit am Dnister. Es wurde 1861 durch das Kloster Niamtz in Rumänien als Himmelfahrtskloster gegründet. Deshalb ist es auch als Neu Niamtz bekannt. Nach seiner Fertigstellung war Noul Neamt das größte Kloster im Fürstentum Moldau.
Von Bender fahren wir zum Himmelfahrtskloster Noul Neamt, in den ländlichen Teil Transnistriens. Dabei durchqueren wir eine typische Datschen-Siedlung. »Datsche« kennen wir aus dem DDR-Sprachgebrauch. Der Begriff ist in den östlichen Bundesländern bis heute gängig und bezeichnet ein Grundstück mit Wochenendhaus.
Viele Bewohner Transnistriens versorgen sich durch den Gartenanbau selbst mit frischem Gemüse und auch Obst. Und da viele von ihnen in den Städten wohnen, kommen sie regelmäßig aufs Land zu ihrer Datsche. An heißen Sommertagen ist es dort sicherlich angenehmer als in den überhitzten Städten.
Aber nicht nur das: der von Weitem sichtbare Glockenturm aus dem Jahr 1864 war mit 68 Metern das höchste Gebäude Moldaus. Heute besitzt das Himmelfahrtskloster zumindest noch den höchsten Glockenturm des Landes. Aber dazu später mehr.
Alexandru Ioan Cuza, ab 1858 Gründer und erster Fürst des Fürstentums Rumänien, konfiszierte sämtliche Moldauklöster westlich des Pruth. Zudem verbot er die kirchenslawische Sprache. Als Folge waren die dort lebenden Mönche mit einem Schlag arbeitslos.
Wer sich nicht fügte, war gezwungen, sich eine neue Heimat zu suchen. Nachdem die Mönche im alten Dorf Chițcani fündig geworden waren, bestätigte eine Synode in Sankt Petersburg 1864 den Klosterstatus des neuen Kirchengrundes.
Zum Leid der Glaubensgemeinschaft kennt auch der Kommunismus keinen Respekt vor Kirchen. So wurde das Kloster nach fast 100-jährigem Bestehen durch die Sowjetmacht geschlossen. 1962 wurden die Kunstschätze nach sowjetischer Manier geplündert und das Anwesen zu einem Krankenhaus umfunktioniert. Erst mit dem Zerfall der Sowjetunion im Jahr 1989 erlebt der Klosterbetrieb eine Renaissance. Heute leben wieder über 80 Mönche in dem Kloster, womit es das bedeutendste Transnistriens sowie ganz Bessarabiens ist.
Als wir zu unserem Rundgang aufbrechen, vergesse ich leider mein Tuch im Auto. Aber beim Eingang liegen zum Glück genügend Kopftücher. Denn auch hier gilt: Kopfbedeckung ist für Frauen Pflicht. Es kann aber auch ein Hut sein, wie wir bei Franziska sehen, die uns durch die Anlage führt.
Neben den schönen Klostergebäuden ist der gepflegte, parkähnliche Garten beeindruckend. Dabei legen die Mönche auf bunte Blumenbeete ebenso Wert wie auf die Obst- und Gemüseplantagen zur Lebensmittelversorgung.
Bei unserem Besuch wird gerade Holz haushoch sowie kunstvoll zum Trocknen aufgestapelt. Doch wir wollen uns einen Überblick über die Anlage und über das Umfeld des Klosters machen. Denn auf den Glockenturm darf man hinaufsteigen, was bei orthodoxen Kirchen unüblich ist.
Über eine klapprige und schwindelerregende Metalltreppe geht es nach oben. Der Aufstieg erinnert uns an verschiedene Türme Kubas, auf denen einem ebenfalls angst und bange werden kann. Es ist zwar etwas diesig. Trotzdem ist es uns möglich, vom Turm aus über grüne Landwirtschaftsflächen bis nach Bender und Tiraspol zu blicken.
Chitcani oder auf Russisch Kitskany gilt als eines der schönsten Dörfer Transnistriens. Während wir hindurchfahren, macht es auf uns einen allerdings ganz ähnlichen Eindruck wie die Datschen-Siedlung zwischen Bender und dem Kloster Noul Neamt.
Die transnistrischen Dorfbewohner mögen es offenbar nicht, wenn man ihnen auf die Grundstücke und die Häuser schaut. Denn die Einfriedungen sind mannshoch und blickdicht. Folglich finden wir uns in einem Korridor zwischen Gartenmauern wieder, auf dem uns hie und da mal eine Pferdekutsche entgegenkommt.
Unser nächstes Ziel ist der »Brückenkopf« von Kitskany mit dem Denkmal zur Großoffensive Jassy-Kischinew. Der Hügel bildet mit 158 Metern eine der höchsten Erhebungen im Bezirk Slobodseja. So öffnet sich uns hier ein schönes Panorama über weite Teile Transnistriens.
Die hohe Stele des Denkmals ist wie der Glockenturm von Noul Neamt schon aus der Ferne gut zu sehen. Durch die exponierte Lage ist es oben auf dem Hügel allerdings auch ganz schön zugig. Außerdem brennt die Mittagssonne auf uns hinab, sodass wir nur kurze Zeit verweilen.
Wir kehren zurück in den Ort Chitcani. Mitten im Ort steht das Kulturhaus. Es soll im Innern mit Fresken des Sozialistischen Realismus verziert sein. Die Giebelwand des Gebäudes ziert das Wappen der Sowjetunion mit dem Ährenkranz um Hammer und Sichel. Davor steht ein gewaltiger Lenin-Kopf. Der Platz verkörpert das Bild, das wir vor der Reise von Transnistrien hatten. Plötzlich fühlen wir uns wie in einer anderen Zeit. Umso gespannter sind wir auf die Hauptstadt Tiraspol.