Am nächsten Morgen steht der Kreml auf dem Programm. Aus Unsicherheit, wie die Kontrollen aussehen und damit wir sicher mit Kamera durch den Eingang kommen, hatten wir bereits daheim eine Führung gebucht, die uns beim Hotel abholt. Ein Fehler, wie sich schon bald herausstellt. Denn weil der Transfer zum und nach der Tour wieder zurück ins Hotel inklusive ist, werden wir mit dem Taxi abgeholt.
Und, im Gegensatz zu der Reiseleiterin, kommt dieses wegen des dichten Stadtverkehrs rund 20 Minuten später als geplant beim Kosmos an. Genauso zieht sich die Fahrt für die wenigen Kilometer ins Zentrum so arg in die Länge, dass von den für den Ausflug vorgesehenen vier Stunden schon anderthalb nutzlos verstrichen sind.
Beim Kreml bzw. beim Einlass am Kutawja-Turm angekommen, geht es dafür einfacher durch die Kontrolle als wir uns zunächst gedacht hatten. So kann ein Junge vor uns unbehelligt eine Flasche Cola mit in den Kreml nehmen, obwohl noch in den Reiseführern steht, dass Essen und Getränke draußen bleiben müssen. Auch die zwei Schokoriegel, die wir eingesteckt haben, sind kein Problem. Wohl aber meine Kamera.
Als ich sie aus der Tasche nehmen soll, denken wir erst, er will sehen, dass es sich um einen echten Fotoapparat handelt. Aber nein, der Sicherheitsmann will sehen, wie groß das Objektiv ist. Denn eine Profikamera hätte ich nicht mit reinnehmen dürfen - womit der recht teure Ausflug dann auch schon im Eimer gewesen wäre. Ich habe Glück, der Durchmesser meines Objektivs ist knapp unter dem Zulässigen.
So, wie wir den Eingang über eine Brücke passiert haben, sind wir überrascht, wie wenig im Kreml los ist. So haben wir freie Sicht auf das Senatsgebäude und über den Platz Iwan des Großen. Wobei allerdings auch streng geregelt ist, wo man als Tourist laufen bzw. die Verkehrswege passieren darf. Wäre ja schade, wenn ein unaufmerksamer Urlauber eine der steuerfinanzierten Staatskarosserien verbeult.
Bevor wir durch den Kreml ziehen, zeigt uns unsere Führerin jedoch erstmal, wo sich das Theater der Zarenfamilie befand. Zu erkennen ist dies an einer kleinen Kirche zwischen Rüstkammer und Dreifaltigkeitsturm. Warum das so ist? »Damals galt es als Sünde, ins Theater zu gehen. Damit sich die Zarenfamilie gleich wieder reinwaschen konnte, hat man die Kirche direkt vors Theater gesetzt«, erklärt unsere Leiterin.
Vorbei am schattigen und dadurch im Herbst eisig wirkenden Kremlpalast kommen wir zur Zarenkanone, das wohl größte Geschoss seiner Art. Und doch war der Koloss nie in Gebrauch. Steht im Reiseführer, dass aus der Kanone nie ein Schuss abgefeuert wurde, widerspricht dem jedoch unsere Reiseleiterin. So habe man im Innern Schleifspuren gefunden, die darauf deuten, dass die Kanone zumindest getestet wurde. Auch wenn nicht mit den überdimensionalen Kanonenkugeln, die heute vor der Zarenkanone liegen, sondern mit einer Füllung loser Steine.
Weiter geht es über den Kathedralenplatz zum Patriarchenpalast und der Zwölf-Apostel-Kirche. Auch hier sind wir erstaunlich alleine. Und doch müssen wir bedauern, dass eigentlich immer jemand in der Nähe ist, der aufpasst, dass wir nicht fotografieren. Denn für seine Zeit ist der große Saal des Patriarchen - er wurde 1655 fertiggestellt - ein architektonisches Meisterwerk der russischen Baukunst im 17. Jahrhundert.
An die 300 Quadratmeter überspannt die freitragende Decke. Heute würde sich darüber niemand groß Gedanken machen. Damals aber war das eine klare Machtdemonstration des Patriarchen gegenüber dem weltlichen Herrscher. Über dem Saal befindet sich die Zwölf-Apostel-Kirche, in der persönliche Dinge des Patriarchen ausgestellt sind.
Als Zweites kommen wir in die Mariä-Himmelfahrts-Kathedrale. Sie ist die größte der Kreml-Kathedralen und diente als Krönungsort sämtlicher Zaren. Wie das äußere der Kirche mit den fünf massiv vergoldeten Kuppeln beeindruckt auch die innere Gestaltung. So flutet das Sonnenlicht durch mehrere Turmfenster ins Gewölbe und den Unterbau der Kuppeln. Im Gegensatz zu den sonst meist engen, kleinen Kirchen finden wir uns hier in einem großen Saal mit Rundpfeilern wieder. Zugleich befinden wir uns in einem kleinen, aber bedeutenden Friedhof wieder. Denn bis zum 17. Jahrhundert wurden alle Oberhäupter der russisch-orthodoxen Kirche hier begraben.
Auf die Besichtigung der dritten Kirche, der Erzengel-Kathedrale, müssen wir leider eine ganze Weile warten. Grund ist ein russisch-orthodoxer Gottesdienst. Wie lange so etwas dauert? Tja, das lässt sich nicht so einfach sagen. So machen wir zunächst einen Abstecher zum Großen Kremlpalast und hören uns einige Ausführungen über das Leben in Moskau und den bescheidenen Sommer an. Dazu zählt auch der Hinweis auf die kleine, unscheinbare Präsidententür an der Seite des Palastes.
Zurück bei der Erzengel-Kathedrale ist der Gottesdienst beendet. Bevor wir die Sarkophage und Ikonen der Erzengel-Kathedrale anschauen können, müssen aber zunächst die während des Gottesdienstes benötigten Utensilien aus der Kirche geschafft werden. Und das sind eine ganz schöne Menge... soll heißen: wer kein Fan von Ikonen ist, für den lohnt das Warten kaum.
Beim Spaziergang vom Kathedralenplatz in den kleinen Kremlpark kommen wir vorbei am Glockenturm zur sogenannten Zarenglocke. Im 18. Jahrhundert gegossen, ist sie mit einem Gewicht von 200 Tonnen auch heute noch die schwerste und größte Glocke der Welt - auch wenn ein Eck leider herausgebrochen ist und sie wohl nicht mehr geschlagen wird.
Zugleich erfahren wir vor Ort, dass das Läuten der Glocken in Moskau eine Bedeutung hat, welche weit über den Ruf zum Gottesdienst hinausgeht. Wer leichtfertig eine schlug, musste mit einer harten Bestrafung rechnen. Insofern er denn gefunden wurde. Denn einst soll das Glockengeläut einen Aufstand in der Stadt ausgelöst haben. Weil man aber keinen Schuldigen fand und die Glocke angeblich von alleine zu Läuten begonnen hatte, wurde die Glocke selbst ausgepeitscht.
Nachdem wir ein zweites Mal die 40 Tonnen schwere Zarenkanone passieren, laufen wir unter dem wachsamen Blick eines Polizisten über den Platz Iwan des Großen. Der Weg führt nahe des Erlösertorturms in den Park des Kreml. Sicher, der Kremlpark ist alles andere als riesig. Dafür aber ist er hübsch angelegt und, weil sich hier so gut wie kein Besucher hin verirrt, unbedingt einen Abstecher wert.
Wer sich traut (und es schafft), ein wenig Proviant mit in den Kreml zu nehmen, findet hier ein ruhiges Plätzchen für eine Verschnaufpause. So also genießen auch wir unsere beiden Schokoriegel in dieser kleinen Insel der Ruhe, bevor wir den Kreml wieder Richtung Moskauer Hektik und Gedränge verlassen.
Durch den Kreml spazieren, das kann ja jeder. Aber um den Kreml drum herum? Das ist wirklich selten, aber gar nicht so interessant, Und außerdem eine hervorragende Möglichkeit, die Größe der alten Festungsanlage zu erleben. So also gehen wir nach der inneren Besichtigung erst zum Roten Platz, vorbei am Lenin-Mausoleum und der Basilius-Kathedrale, und dann immer brav rechts herum.
Nachdem wir den Roten Platz verlassen haben, kommen wir beim Beklemoschewskaja-Turm zur Südseite der in etwa dreieckigen Kreml-Mauer. Während rechts von uns unzählige Autos über die breite Kremljoskaja fahren, konzentrieren wir uns auf die restaurierten Türme auf der linken Seite. Sehr schön finden wir, dass jeder Turm sein ganz eigenes Aussehen hat. Sei es, dass die Dächer mal spitz mal stumpf zusammenlaufen, der Turm eckig oder eher rund ist oder auch einfach die Fenster auf verschiedenen Höhen eingebaut sind.
Bereits im 14. Jahrhundert umgab eine erste Mauer aus Kalkstein den damals noch hölzernen Palast. Diese ließ Iwan III. Ende des 15. Jahrhunderts durch eine zwei Kilometer lange rote Backsteinmauer ersetzen. Obwohl sie orientalisch wirkt, wurde sie von italienischen Baumeistern errichtet. Die größten Schäden erlitt die Mauer, nachdem Napoleon in die (verlassene) Stadt einmarschierte und einige der 20 Türme sprengen ließ. Genutzt hat es ihm, wie wir wissen, freilich nichts, rannte er doch damals in die unerwartete Falle der Russen.
Nachdem die Türme ihre grünen Dächer im 17. Jahrhundert erhielten, kam die letzte Änderung erst 1917, als Lenin nach der Revolution die Doppeladler der Zarenfamilie auf den Dachspitzen durch die Roten Sterne austauschen ließ. Mit einem Gewicht von bis zu anderthalb Tonnen sind sie das Sinnbild einer klassenlosen Gesellschaft. Die fünf Zacken der Rubinsterne stehen dabei zugleich für die Hand des befreiten Menschen wie auch für die Solidarität aller Arbeiter auf allen Kontinenten - zu Lenins Zeit waren das wohl erst fünf.
Zur offiziellen Seite des Kreml Museums (auf Englisch)