Ein Spaziergang entlang der Moskwa ist nicht zu vergleichen mit einem Bummel entlang der Seine in Paris. Die Sehenswürdigkeiten sind in Moskau deutlich weiter auseinander und eine durchgehende Uferpromenade gibt es nicht. Von den Brücken aber eröffnet sich uns doch der ein oder andere schöne Blick auf die Stadt. Wie von der Brücke bei der Christ-Erlöser-Kathedrale, von der man eine herrliche Sicht auf den Kreml mit dem Wodowswodnaja-Turm hat. Entsprechend beliebt ist die Brücke bei Hochzeitspaaren, wie wir vor Ort bemerken.
Bevor wir weiter zur »Insel ohne Namen« gehen, entdecken wir eine ganze Reihe Schlösser am Brückengeländer. Auch sie zeugen davon, dass die Brücke Ziel von Hochzeitspaaren und frisch Verliebten ist. Denn auf den meisten stehen je zwei Namen zusammen mit dem Datum, wann das Schloss hier befestigt wurde. Da es durchweg Tage jüngeren Datums sind, können wir uns nur vorstellen, wie oft die Stadtarbeiter vorbeikommen müssen, um Platz für die nächsten Schlösser zu schaffen. Das aber soll nicht unser Problem sein.
Auf der anderen Seite der Moskwa spazieren wir weiter in Richtung Kreml. Als Sehenswürdigkeit mit einem Stern empfiehlt unser Reiseführer hier das »Haus am Ufer«. Allerdings nur für Leute, die sich für eine bestimmte Thematik interessieren. In diesem Fall ist es die wechselvolle Geschichte des schmucklosen Blockes, die in einem kleinen Museum festgehalten ist und an die Namenstafeln an der Hauswand erinnern. Mit anderen Worten: diesen Umweg hätten wir uns getrost sparen können und stattdessen die Moskwa-Brücke bis zu ihrem Ende durchlaufen und damit die ganze Insel sowie den Wodootwodnyj-Kanal überqueren können. (Dass das möglich ist, war in unserem Stadtplan leider nicht eingetragen.)
Im Stadtteil Samoskworetschje mit mittlerweile schmerzenden Füßen angekommen, laufen wir die Moskwa wieder flussaufwärts. Großartig Lust haben wir zwar nicht mehr. Aber mit der Aussicht, bereits einen Teil des Programms vom nächsten Tag zu absolvieren, schaffen wie es dann doch bis zum imposanten Denkmal Alexander des Großen. Direkt hinter dem Denkmal befindet sich die Schokoladenfabrik Roter Oktober. Unser letztes Ziel dieses Tages aber ist der Skulpturenpark.
Zwischen der Schokoladenfabrik »Roter Oktober« und dem Denkmal Peters des Großen kommen wir zum Hintereingang des Skulpturenparks. Entgegen meiner Erwartung kostet es Eintritt. Dafür ist der Park aber auch einiges umfangreicher als ich mir vorgestellt hatte. Und wo sind die vielen politischen Köpfe? Natürlich gibt es sie. Nachdem der Park lange Zeit nur eine Art Abstellkammer im Freien für eben diese war, finden sich hier heute auch völlig unpolitische Kunstwerke. Obwohl, nachdem wir an einer langnasigen Pinocchio-Skulptur vorbeikommen, bin ich mir dessen schon nicht mehr so sicher.
Anfang der 1990er Jahre nannten die Moskowiter den Park »Friedhof der gestürzten Denkmäler«. Der erste, dem diese Ehre zuteil wurde, war Felix Dschschinskij, der Begründer des KGB, dessen Standbild 1991 während des Putsches auf dem Lubjanka-Platz gestürzt und hierher verfrachtet wurde. Als die sowjetischen Helden aus der Mode kamen bzw. beim Volk in Ungnade gefallen waren, folgten Lenin, Stalin und Breschnew und 600 weitere Denkmäler. Für eine Besichtigung an nur einem späten Nachmittag sind dies natürlich zu viele, als dass wir uns alle anschauen könnten. Und da uns auch schon lange die Füße schmerzen, legen wir erstmal eine kleine Pause in dem langsamsten Museumscafé ein, welches wir je erlebt haben...
Danach werden wir Zeuge, was heute offenbar die liebste Beschäftigung der (jungen) Besucher ist: Wettposieren mit und nachgeahmten Verrenkungen vor Kunstdenkmälern, anhimmeln, küssen oder veralbern von politischen und unpolitischen Standbilder und - natürlich - alles bildlich festzuhalten. Wie sie überhaupt sehr viel Spaß daran haben, sich in allen möglichen Posen, mal lächelnd, mal schmachtend, fotografieren zu lassen. Nein, auch wenn die meisten wohl wissen, welcher Kopf zu Ehren Wladimir Iljitsch Lenins geschaffen wurde, seine Philosophie teilen die jungen Russen schon lange nicht mehr.
Schließlich finden wir dann doch zu dem mächtigsten und grausamsten Diktator der Sowjetunion, sehen Josef Wissarionowitsch Stalin vor Hammer und Sichel, Wind und Wetter ausharren. In vielen Teilen der ehemaligen Sowjetunion wirkt der zu Sowjetzeiten betriebene Personenkult trotz seiner vielen Verbrechen noch immer nach. Andererseits sind es von der Stalin-Skulptur nur ein paar Schritte bis zu einer Wand aus Käfigen, in der unzählige runde Steine mit Gesichtern an die ebenso unzähligen Gulag-Opfer der Arbeitslager, Besserungslager und Zwangsarbeitslager erinnern. Allein diese Wand verdeutlicht, warum Begriffe wie Stalinismus und stalinistisch in Europa für das Böse stehen.