Es ist schon einige Jahre her, als mich eine Reportage über den Goldenen Felsen von Kyaiktiyo unheimlich fasziniert hatte. »Da will ich hin«, war damals mein Gedanke. Anders als bei Lars und seiner Brücke von Cahors dauerte es jedoch eine ganze Weile, bis wir uns endlich für eine Reise nach Myanmar durchgerungen hatten. Obendrein war der Goldene Felsen bei dieser Rundreise nur in der Verlängerung inbegriffen, auf die wir mangels Urlaubstage zunächst verzichten wollten.
Ein Goldener Felsen schwebt wahrlich über Kyaiktiyo. Eindrücke von der Stimmung auf dem heiligen Berg und der oberen Plattform der Pagode. Sonnenuntergang am Goldenen Felsen.
Andererseits hätte es mich wohl tierisch geärgert, wenn ich dem Ziel schon so nahe gewesen wäre. Voller Neid hätte ich auf die Verlängerer geblickt. Letztendlich schien es mir für alle Beteiligten angenehmer, einen kleinen Ärger im Büro zu riskieren. Denn dort kann ich mich mit einem »Ich war beim Goldenen Felsen!« immer noch trösten und bin dann auch schon wieder fröhlich.
Zu unserem Glück verzieht sich der Regen bald nach unserer Ankunft auf dem Heiligen Berg. Wir haben uns im Mountain Top Hotel etwas frisch gemacht und ich mich in einen anständig langen Rock geschmissen. Dann kann es auch schon losgehen. Ich habe vor der Reise einige Reiseberichte über die Kyaiktiyo-Pagode gelesen. Oft haben sich die Autoren über die Scharen von Menschen beklagt, die zum Heiligtum drängen.
Angaben von durchschnittlich 10.000 bis 15.000 Besucher am Tag, in der Hauptsaison sogar bis zu 40.000 lassen Schlimmeres befürchten. Tatsächlich aber verteilen sich die Menschen hier oben ganz gut. Von einem übergroßen Rummel zumindest sehen wir keine Spur. Vielleicht aber haben wir dies dem Regen zu verdanken.
Htet Htet gibt jedem seine Foreigner-Entrance-Fee-Card zum Umhängen. Wenn wir wollen, können wir damit bis morgen früh beim Goldenen Felsen herumspazieren. Einheimischen Pilgern bleibt das Eintrittsgeld erspart.
Solange die Burmesen so spendierfreudig bleiben, wird sich dies wohl auch nicht ändern. Vom Hotel trennt uns ein kurzer Fußmarsch bis zum Eingang der Pagode. Dort werden die Schuhe in einer Sammelbox für unsere Gruppe deponiert – also Nummer merken – und es geht barfuß weiter.
Wenige Augenblicke später kommt auch endlich die Sonne wieder heraus – immerhin sind wir zum Sonnenuntergang hier oben. Entlang der Terrassen haben sich Frauen mit ihren Garküchen breit gemacht.
Lauthals versuchen sie, die vorbeiströmenden Besucher an ihre bunten Plastikstühle und -tische zu lotsen. Ja, die Pacht für solch exzellente Verkaufsplätze soll recht hoch sein. Da sind leere Stühle geschäftsschädigend. Unser Ziel aber bleibt der Goldene Felsen.
Von der Terrasse mit dem »versteinerten Schiff« öffnet sich uns bereits ein herrlicher Blick zu einer Terrasse. Über ihr schwebt ein Goldener Felsen. Von hier ist gut zu erkennen, wie der Felsen über dem Abgrund hängt. Sollte er sich einmal lösen, wird er gut 1000 Meter in die Tiefe purzeln.
Lange Zeit haben hier Mönche angeblich immer wieder mal einen Bindfaden unter dem Felsen hindurch gezogen, indem der Stein ins Wippen gebracht wurde. Heute verzichten sie auf das Spektakel. Ist wohl auch besser so.
Nur ein einziges Haar Buddhas, das präzise im Innern des Stupa platziert sein soll, wird für das perfekte Gleichgewicht des Goldfelsens von Kyaiktiyo verantwortlich gemacht. Das Haar stammt von einem Einsiedler, der es in seinem Haarknoten versteckt hielt. König Tissa hat jenes im 11. Jahrhundert erhalten. Der Einsiedler war auf der Suche nach einem Felsen in Form seines Kopfes.
Darauf wollte er einen Stupa errichten, um dort die Reliquie für alle Zeit sicher aufzubewahren. Der König half ihm bei der Suche und fand einen passenden Stein auf dem Meeresgrund. Mit Hilfe seiner magischen Kräfte ließ er diesen mit einem Boot auf den Kyaiktiyo-Berg bringen. Und genau bei diesem Boot stehen wir nun und blicken auf den Felsen.
Eine zweite Legende über den Felsen haben die Chinesen beigesteuert. Demnach soll ein Drache aus China den Felsen hier einfach fallengelassen haben. So kommen viele Chinesen mindestens dreimal in ihrem Leben hierher, damit ihre tiefsten Wünsche in Erfüllung gehen. Eines müssen jedoch alle beachten.
Dieses wunderschöne glänzende Gold hält nicht dauerhaft. So wird der Felsen alle vier Jahre von einem Bambusgerüst umspannt und mit einem neuen Anstrich versehen. Ein Jahr vor unserer Reise war es wieder soweit. Wir haben also Glück – weil, wer achtet bei seiner Reiseplanung denn auf so etwas?
Je näher wir dem Felsen kommen, umso mehr Pilger machen sich auf dem Boden breit. Sie haben sich ein Nachtlager aus Bambusmatten eingerichtet. Sie dürfen nämlich auf den Terrassen im Freien übernachten.
Trotzdem gibt es beim Felsen selbst keinen Ansturm. Lars geht zum Felsen und klebt etwas Blattgold darauf. Für mich ist es leider untersagt. Doch auch wir Frauen können zumindest gut auf das Heiligtum blicken.
Nach und nach kommen immer mehr Pilger und es beginnen einige Messen mit Gesang und Musik. Wir selbst begeben uns auf die Treppe rechts vom Felsen, wo es ruhiger zugeht. Immer wieder wollen sich Einheimische mit uns fotografieren lassen und freuen sich unheimlich, wenn wir mitmachen.
So warten wir bei einer herrlichen und zugleich friedlichen Stimmung den Sonnenuntergang ab. Dann passiert es. In einem unachtsamen Moment purzelt mein Camcorder Stufe für Stufe die Treppe hinunter. Blöd, aber bei solch einem heiligen Ort bleibt sogar dieser heile.
Während ich mich von dem Schrecken allmählich erhole, zündet ein Mönch am unteren Ende der Treppe ein paar Räucherstäbchen. Aber was heißt hier ein paar? Es ist ein dicker, fetter Packen, den er auf einmal entfacht.
Es dauert eine ganze Weile, dann aber hält er die Räucherstäbchen als lichterloh brennende Fackel in den Händen. Ob er dies stellvertretend für eine größere Dorfgemeinschaft tut oder das geballte Räucherwerk nur für ihn selbst bestimmt ist, lässt sich nicht erkennen.
Mit diesem gewaltigen Eindruck verlassen wir den Bereich unterhalb des Felsens. Bei den weiter oben gelegenen Opfergängen herrscht inzwischen Hochbetrieb. Emsig stellen Buddhisten eine Kerze nach der anderen auf, eh sie wieder ins Gebet verfallen. Zwischendrin räumt ein Mann reihenweise brennende Kerzen ab, um Platz für neue zu schaffen. Selbst jene, welche eine junge Frau kurz zuvor aufgestellt hatte.
Es geht wohl nicht anders. So erfahren wir später, dass die Pilger den Bereich unterhalb vom Felsen während der Nacht komplett mit Kerzen zustellen werden. Nun aber genießen wir nochmals die einmalige Stimmung rund um den Felsen, eh wir zurück zum Hotel spazieren und den wunderschönen Abend mit Freunden ausklingen lassen.