Am zweiten Assuan-Tag fahren wir mit dem Taxi zum Bootsanleger nach Es-Schallal. Unser erstes Ziel des Tages ist der Tempel von Philae. Noch vorm Aussteigen erklärt unser Fahrer, ein Kopte, dass er ein paar Meter entfernt parken muss. Deswegen sollen wir ihn später über einen der Sicherheitskräfte rufen lassen.
Damit dies klappt, sollen wir die uns die Taxinummer merken, oder besser: aufschreiben. Außerdem fragt er uns, wie lange wir brauchen werden? Ja, gute Frage, schließlich waren wir noch nie bei dem Tempel und wissen auch nicht, wie lange die Bootsfahrt dorthin dauert. Aber etwa zwei Stunden sollten für den Ausflug reichen.
Die Eintrittskarten für den Tempel von Philae müssen wir bereits an Land kaufen (auf der rechten Seite des Anlegers). Allein damit kommen wir jedoch noch nicht zum Heiligtum. Denn die Boote müssen extra gechartert werden. Aber welches? Es liegen zwar einige beiderseits des Kais. Im Gegensatz zu den Bazar-Händlern drängen sich die Bootsführer aber nicht auf.
Oder haben sie etwa gar kein Interesse, uns zur Insel zu bringen? Als wir uns dann einen ausgucken und ihn nach den Kosten fragen, nennt er uns einen völlig überhöhten Preis. Den gilt es erstmal, in etwa auf Normalniveau herunterzuhandeln, was mit dem Verweis auf andere Bootsführer auch ganz gut klappt.
Um 8.20 Uhr stechen wir in See. Allerdings geht die Fahrt nicht zur Insel Philae, sondern zur benachbarten Insel Agilkia, auf welcher sich der Isis-Tempel heute befindet. Andernfalls hätten wir Gummistiefel mitnehmen müssen, wenn nicht gar unsere Schnorchelausrüstung. Denn bereits nach dem Bau des alten Damms stand die Anlage jedes Jahr mehrere Monate unter Wasser. Die bessere Regulierung des Nils durch den neuen,
weiter südlich gelegenen Hochdamm des Nasser Stausees hätte diesen Zustand noch verschlimmert, sodass die Insel Philae auch bei unserem Besuch teilweise unter dem Wasser liegt. Die Rettungsaktion hat übrigens nur zweieinhalb Jahre gedauert, in denen die Bauwerke in 37.363 Steinblöcke mit einem Gewicht zwischen 2 und 25 Tonnen zersägt und originalgetreu wieder aufgebaut wurden.
Der Legende nach hat Isis damals das Herz ihres Mannes Osiris auf der Insel gefunden, nachdem ihm sein Bruder Seth umgebracht, zerstückelt und im ganzen Land verstreut hatte. Als es Isis mit Hilfe ihrer Schwester Nephthys gelang, (fast) alle Körperteile wieder einzusammeln, setzte sie den Leichnam wieder zusammen. Osiris aber wollte nicht mehr unter den Lebenden weilen, sondern entschied sich fürs Jenseits.
Wohl aber wurde Isis schwanger und brachte Horus zur Welt. Im Mamisi (Geburtshaus) des Tempels schildern die Reliefs seine Geburt und seine Kindheit in den Sümpfen des Nildeltas, bevor er den Kampf gegen seinen Onkel Seth fortsetzte. Isis selbst wurde als Göttin der Liebe, Fruchtbarkeit und Erlösung sowie als Herrin der Überschwemmung verehrt.
Zurzeit der Ptolomäer und Römer erbaut, konnte sich das entlegene Philae lange Zeit gegen die Christen behaupten und ihren Kult trotz des Edikts des Kaisers Theodosius, der das Christentum 380 zur Staatsreligion erklärte, bewahren.
Erst Mitte des sechsten Jahrhundert verließen die letzten Anhänger der ägyptischen Religion die Insel und besiegelten damit den endgültigen Untergang der alten Gottheiten und ihrer mehrere tausend Jahre alten Riten. Nur wenige Jahre später kam der Prophet Mohammed in Mekka auf die Welt.
Als angenehm empfinden wir, dass zu Philae, auch wenn der Tempel zu den schönsten Zielen entlang des Nils zählt, nur wenige Urlauber finden. So treffen wir auf der Insel lediglich zwei französische Reisegruppen und ein paar Individualausflügler,
können uns also (fast) ungestört in den zwei Säulenreihen sowie den Gebäuden hinter des ersten Pylons umschauen, bevor wir uns im Schatten einer Baumgruppe das nächste (lebenswichtige) Kaltgetränk gönnen.