Nur wenige Fahrminuten östlich von Taqah befindet sich der Kohr Rori mit der Ausgrabungsstätte der alten Hafenstadt Samharam. Doch leider ist eine informative Ersatzbeschilderung beim Autobahnbau der Omanis nur Nebensache. Wir rauschen also an der Behelfsausfahrt vorbei und beschließen, zunächst nach Mirbat zu fahren. Den Eingang zur Stadt flankieren zwei Pferdestatuen direkt an der Straße. Sie erinnern an die historische Vergangenheit Mirbats als Hafenstadt für den Export von Weihrauch und Zuchtpferden. Für uns sind sie ein sicheres Zeichen dafür, dass wir auf dem richtigen Weg sind.
Mit 18.000 Einwohnern und einigen historischen Wohnhäusern in der Altstadt soll Mirbat zu den attraktivsten Ortschaften Dhofars gehören. Im Ausflugsprospekt von Meeting Point Oman wird sie indes als »Geisterstadt« bezeichnet. Kaum haben wir den gewaltigen Torbogen zur Altstadt passiert, wissen wir auch warum. Vom neu gepflasterten Dorfplatz führen ebenfalls gepflasterte Gassen zwischen den Häuserreihen hindurch. Um jedwede Erschütterung zu vermeiden, drosselt Lars den Motor und schleichen wir förmlich durch den Ort. Zu groß ist unsere Angst, eine Außenmauer der baufälligen Häuser könnte auf die Straße kippen und unser Auto treffen. Verglichen mit Mirbat ist selbst Havanna eine schicke Neubausiedlung.
Die Altstadt besteht aus völlig zerstörten, besser gesagt, zertrümmerten Häusern, die uns an die Ruinen der Ausgrabungsstätte Al Baleed erinnern. Doch während die meisten Häuser dem Zerfall preisgegeben sind, erheben sich dazwischen mehrstöckige Prachtbauten mit Zinnen und wehrturmähnlichen Aufbauten. Sie sind offensichtlich bewohnt. Komplettiert wird die Szenerie durch eine kleine, hübsche Moschee. Sollte die Altstadt wieder aufgebaut werden, so braucht es mehr weit als nur ein Sanierungsprogramm. Einzig die Abrissbirne kann man sich bereits sparen.
Gleiches gilt für die Handelshäuser neben dem Fort von Mirbat. Die Dächer der einstöckigen Häuser sind durchweg eingefallen und abgedeckt. Lediglich einige kunstvoll geschnitzte Holztüren zieren den ein oder anderen Eingang. Sie stammen noch aus einer Epoche, zu der hier der Handel mit Gewürzen und Weihrauch blühte. Denn nach der Zerstörung Al Baleeds entwickelte sich Mirbat zum wichtigsten Seehafen Dhofars. Später, als Piraten den Seehandel im 17. Jahrhundert zu unsicher machten, starteten von hier aus die Wüstenkarawanen in den Norden des Oman.
Nach dem Ende der wirtschaftlichen Blütezeit konnte sich einzig der Hafen in der geschützten Bucht nahe der Altstadt behaupten. Bei unserer Ankunft schließt gerade der Fischmarkt. Viele der Käufer und Verkäufer sitzen nun im Café gegenüber der Fischerboote. Es ist eine Männerdomäne, die mir Unbehagen bereitet. Doch es scheint niemanden zu stören, dass eine Touristin entlang dem Hafenkai spaziert. Die Fischerboote sind einfach zu schön, um sie aus Scheu links liegen zu lassen. Mit den blau-weißen Booten und den im Wasser schwimmenden Möwen im Vordergrund wirkt Mirbat hier deutlich weniger zerfallen als bei unserem Spaziergang durch die Altstadt.
Unsere Eindrücke lassen Mirbat in keinem guten Licht erscheinen. Doch sind es gerade die Trümmerhaufen und vereinzelten Wohnhäuser dazwischen, welche Mirbat ausmachen und Touristen anziehen. Eine wahre »Geisterstadt« mit einem frisch sanierten Fort, das wie ein kleiner Schatz wirkt. Und der Tourismus ist wichtig für diese Gegend. Denn die Regierung sah sich gezwungen, im völlig überfischten Gewässer den Abalone-Fang (See- oder Meerohren) auf zwei Monate im Jahr zu beschränken. Somit braucht Mirbat eine neue wirtschaftliche Perspektive, für welche die Touristen unabkömmlich scheinen.
Ausflug ab Salalah nach Mirbat. Besuch des Castle Mirbat und Eindrücke der Geisterstadt. Abstecher an den Strand und den Hafen der Stadt.
Das Fort Mirbat ähnelt in Größe und Bauweise dem von Taqah. Auch hier wohnte einst ein Wali. Im Vergleich zu seinem Amtskollegen schien dieser jedoch beliebter gewesen zu sein. Denn während die Außenmauern im Fort von Taqah, abgesehen vom Eingangstor, als einzige Öffnungen Schießscharten aufweisen, sehen wir in Mirbat Fenster mit kunstvoll verzierten Holzgittern. Es wäre also ein Leichtes gewesen, in das Fort einzudringen und den Wali zu stellen.
Bei unserem Besuch ist der Eintritt in das Fort noch frei. Es wird gerade ein Museum eingerichtet. Wir werden deshalb gebeten, auf Bilder zu verzichten, um bloß keinen falschen Eindruck von einer Baustelle zu veröffentlichen. An sich aber sind die Arbeiten am Umbau weitgehend abgeschlossen. Der Grundriss und die Gebäudestruktur legen nahe, dass der Wali ähnlich gewohnt hat wie der in Taqah. Die Wohnkultur ist im Fort Mirbat jedoch nur Nebensache. Stattdessen steht hier die omanische Kultur, die Kleidung und Musik, im Mittelpunkt des Museums.
Enge Treppen führen auch hier auf das Dach des Fort. Der Blick über Mirbat fühlt sich seltsam an. Wir sehen bis zum Hafen. Doch wo der Platz für eine pittoreske Altstadt wäre, erstreckt sich eine Trümmersiedlung mit zerstörten Häuser und eingefallenen Dächern. Gleich dahinter erhebt sich die Moschee von Mirbat. Sie benötigt zwar einen neuen Anstrich, ist aber ansonsten intakt. Ähnlich wie bei unserer Besichtigung von Assuan sieht Mirbat wie eine Stadt nach einer kriegerischen Auseinandersetzung aus. Und doch hat es in dieser Region seit mehr als 40 Jahren keine Kampfhandlungen mehr gegeben.
Das Fort Mirbat war Schauplatz des berühmtesten Gefechts während des Dhofar-Krieges. So ereignete sich hier am 19. Juli 1972 die weltweit letzte militärische Schlacht um eine Festungsanlage dieser Art. Mehr als 300 Aufständische wollten nachts mit einer Blitzattacke das Fort im Handstreich einnehmen. Die regierungstreuen Einwohner Mirbats sollten anschießend exekutiert werden. Da das Fort mit 30 Mann nur schwach besetzt war, schien der Angriff denkbar einfach.
Der Plan stand allerdings unter keinem guten Stern. Schon im Hinterland trafen die Aufständischen zufällig auf Soldaten. Den unerwarteten Kampfhandlungen fielen einige Rebellen zum Opfer. Die danach deutlich dezimierte Truppe erreichte erst bei Tageslicht das Fort. Dort erwiesen sich die 30 Mann erheblich wehrhafter als gedacht. Unter ihnen befanden sich erstklassig ausgebildete Soldaten der Special Air Services, die den Angriff sofort ins Luftwaffenhauptquartier funkten. Die Kräfte des Sultans starteten einen Luftangriff mit Helikoptern. Unter fürchterlichem Beschuss verloren mehr als die Hälfte der Rebellen ihr Leben. Die Schlacht um Mirbat gilt als Wendepunkt bei dem seit 1965 andauernden Konflikt. Gut drei Jahre später erklärte Sultan Qabus den Dhofar-Aufstand offiziell für beendet.