An sich ist Montparnasse nur ein flacher Hügel auf der Riche Gauche, dem linken Seine-Ufer, wie es so schön heißt. Es befindet sich im 14. Arrondissement und damit fern des Pariser Zentrums. Dass man es dennoch von nahezu überall in der Stadt auf Anhieb findet,
hat Montparnasse seinem schwarzen Turm, dem Tour Montparnasse zu verdanken. Besser gesagt: der bedrohlich wirkende, einzeln am Boulevard du Montparnasse stehende Turm ist schuld daran, dass jeder zielgenau die Richtung hierher angeben kann.
Mit 210 Metern Höhe und 59 Stockwerken wird der Tour Montparnasse innerhalb von Paris nur vom Eiffelturm überragt. Das ist dann auch schon einer der Kritikpunkte an dem 1973 eröffneten Bürokomplex. So nannte der bedeutende Baukritiker Bruno Flierl das Gebäude »als eine der größten europäischen städtebaulichen Dummheiten, da er eine Konkurrenz zum Eiffelturm heraufbeschwört, der der Eiffelturm nicht gewachsen ist«.
Wen wundert es da, dass eine Online-Community den Turm nach dem Boston City Hall in den USA zum zweithässlichsten Gebäude der Welt gekürt hat? Zuletzt bereitet der Turm auch fachliche Sorgen: zum 40-jährigen Bestehen musste das Gebäude vom gesundheitsschädlichen Asbest befreit werden. Die Kosten lagen etwa bei 150 - 160 Millionen Euro. Und doch stehen viele Büroräume leer.
Da der Turm einsam in der Stadt steht, haben wir auf den Abstecher auf die Aussichtsplattform verzichtet und haben stattdessen den bekannten Friedhof von Montparnasse besucht. Der Cimetière Montparnasse ist neben dem Cimetière Montmartre und dem Pere-Lachaise-Friedhof einer der drei großen Friedhöfe,
die Anfang des 19. Jahrhunderts (noch) vor den Toren von Paris angelegt wurden. Unter den bekanntesten Personen, die hier bis Ende 1899 beerdigt wurden, sind einige Dichter, Maler und Schriftsteller. Ob das daran liegt, dass sich viele Künstler in der damals noch idyllischen Gegend aufhielten, ist ungewiss.
Nach dem Rundgang kehren wir zum Boulevard du Montparnasse zurück und flüchten uns vor einem ungemütlichen Wind in das nächstbeste Café. Erst nach einer Weile fällt uns auf, dass wir mit dem Café du Dôme einen der beliebtesten Treffpunkte der Pariser Boheme erwischt haben. Um 1900 gaben sich hier Maler, Bildhauer, Dichter, Schriftsteller förmlich die Klinke in die Hand.
Je nach Erfolg der Künstler konnten diese dann zwischen Austern und anderen Spezialitäten oder Pommes mit Bratwurst wählen. Heute ist das Café du Dome für seine Fischgerichte bekannt. Wir haben es dennoch bei einem Latte Macchiato belassen, eh wir die Katakomben besucht haben.
Ein schauriges Erlebnis ist der Besuch der Catacombes von Paris. Der einzige, offizielle Eingang zu den Katakomben befindet sich heute auf dem Place Denfert-Rochereau bei der ehemaligen Zollgrenze, der Barriere d’Enfer. Aus Sicherheitsgründen wurden alle anderen, oft einsturzgefährdeten Zugänge mit Beton fest versiegelt,
um dem Treiben der Freizeithöhlenforscher in dem riesigen Labyrinth unter der Stadt Einhalt zu gebieten. Denn so gefährlich, schaurig und auch eklig viele Gänge heute sind, so üben sie auf die Menschen doch eine überraschende Anziehungskraft aus.
Nach dem Eingang führt eine Treppe hinab in die Jahrhunderte alten Steinbrüche. Noch bis ins 19. Jahrhundert hinein bauten die Franzosen hier beinahe das gesamte Baumaterial für die schnell wachsende Métropole ab. Als es in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts auf den Friedhöfen eng wurde und, im Zuge der Revolution und auch durch Seuchen,
die Zahl der Toten anschwoll, bis der Verwesungsgeruch die Menschen in den Häusern ohnmächtig werden ließ, drohte der Stadt Paris eine hygienische Katastrophe. Um der Lage wieder Herr zu werden, wurden viele alten Friedhöfe aufgelöst und die Gebeine und Schädel nach den einzelnen Friedhöfen sortiert, in den Katakomben eingelagert.
Durch die gleichmäßig kühle Luft sind die Knochen bis heute gut erhalten geblieben. Bis wir uns ein Bild von den teils kunstvoll aufgestapelten menschlichen Überresten machen können, müssen wir aber zunächst mehrere lange Gänge durchqueren. Sie geben den Besuchern die Zeit, innerlich zur Ruhe zu kommen und das Treiben der Stadt hinter sich zu lassen.
Nachdem wir zudem eine unangemessen laute und viel zu schnelle Gruppe passieren lassen, tauchen wir ein in die Welt des Todes. Ganz ehrlich: es fühlt sich schon ein wenig makaber an und der Besuch der Katakomben ist sicher nichts für schwache Nerven. Wer es verträgt, für den lohnt sich aber, hier hinab zu steigen und die Überreste von sechs Millionen Menschen auf sich wirken zu lassen.