Alle Jahre wieder | Verreisen an Weihnachten

Gefangen in der Weihnachts-Endlosschleife

Mit der Adventszeit freuen sich die Menschen auf Weihnachten. Natürlich lieben auch wir Weihnachten. So hat Annette in geduldiger Feinarbeit eigenen Weihnachtsschmuck gebastelt - oder zumindest liebevoll ausgesucht - und erstrahlt unsere Wohnung zum Ersten Advent im besinnlichen Kitsch. Der Duft von Räucherkegeln erfüllt die Stube, die Wände erstrahlen im romantischen Kerzenschein und die Drei Heiligen Könige drehen in der Weihnachtspyramide munter ihre Runden.

So befiel uns ein schon seltsames Gefühl, als wir vor Jahren erstmals dem Weihnachtstrubel entflohen und am Heiligabend in Costa Rica landeten. Während die Daheimgebliebenen in die Kirche marschierten und traditionell nach all denen Ausschau hielten, welche fehlten, umfingen uns im fernen Mittelamerika vertraut weihnachtliche Klänge. Während in der Stadt tropische Temperaturen herrschten, wechselten sich im Hotel klassische deutsche und englische Weihnachtslieder und Hits ab.


Passend dazu blinkte und flackerte ein Plastik-Weihnachtsbaum in grellen Farben. Es war ein Anblick, an den wir uns während der Fahrt durch Costa Rica erst noch gewöhnen mussten. Zwei Jahre später begegneten wir in San Diego dem ersten Weihnachtsbaum, der nur entfernt einem solchen ähnelte. Als Ersatz für Stamm und Zweige diente dort ein Gittergerüst, in dem unzählige Weihnachtssterne arrangiert wurden. Für uns hatte der Baum eine Botschaft: Sich der Magie des Festes zu entziehen, unmöglich!

So stellten wir in den folgenden Jahren in Asien und Afrika fest, dass man an Weihnachten verreisen kann, wohin auch immer man will. Denn als Europäer oder Christ landet man stets wieder an einem Ort bzw. in Hotels, die auf genau dieses Publikum abzielen. Irgendwann verliert sich das befremdliche Gefühl, werden eisgekühlte Cocktails am Abend genauso normal wie Schnorcheln oder Sonnenbaden am Heiligennachmittag. Wir hatten uns arrangiert. Und dann landeten wir im Hilton Salalah.


Unsere Ankunft fiel auf den 28. Dezember, also den vierten Weihnachtsfeiertag. In der Lobby wachte ein mit Saxophon bewaffneter Plastikweihnachtsmann neben einem begehbaren Lebkuchenhaus aus Pappe. Aufgeschäumte Watte imitierte eine verschneite Winterlandschaft, während aus den Lautsprechern »Silent Night« und »Jingle Bells« dröhnten. Das reicht, um weihnachtstechnisch in der obersten Liga mitzuspielen.

Genauso plätscherte abends in der Hoteldisco, in den Pausen des Gesangsduos A&N (Anna und Nathalie), besinnliche Musik aus den Lautsprechern. Zu unserer Erleichterung nahm diese Musikrichtung in den nächsten Tagen kontinuierlich ab. So weckte Silvester die Hoffnung auf ein baldiges Ende des weihnachtlichen Spektakels. Es war eine Hoffnung, die viele andere Gäste mit uns teilten, die aber auch trügerisch war.


Die Hoffnung verflog, als wir uns dem festlich gestalteten Gelände zwischen dem Pool und dem Strandrestaurant näherten. Aus den Bässen wummerte uns das unerschütterliche »White Christmas« von Bing Crosby entgegen, gefolgt von »Have yourself a merry little Christmas« und dem Evergreen »Rudolph, the Red-Nosed Reindeer«. Als unser Sängerinnen-Duo ihre Version von »Jingle Bells« vortrug, wurde deutlich, dass die Silvesterparty im Hilton in Teilen eine Neuauflage des Weihnachtsfestes ist. Andererseits: wer kennt Lieder, die speziell für den Jahreswechsel geschrieben wurden?

Allmählich dämmert uns, dass wir in eine Weihnachtsendlosschleife gefallen sind. Denn auch im neuen Jahr werden wir schon zum Frühstück mit besinnlicher Musik berieselt. Und in der Lobby harren der Weihnachtsmann und das Lebkuchenhäusle bis zum 7. Januar aus. Zufällig erfahre ich, dass an diesem Tag die Kopten ihr Weihnachtsfest begehen und wir dem Hilton womöglich unrecht getan haben. Denn noch am selben Tag verschwinden das Häusle und weite Teile der Weihnachtsdekoration. Am nächsten Morgen endlich ist der Spuk vorüber. Wir sind frei!


Das zumindest glauben wir. Bis zum Tag unserer Rückkehr nach Deutschland am 14. Januar. Wer auch hätte im digitalen Zeitalter gedacht, mitten im Januar über den Schriftzug im ICE nach Basel mit »Frohe Weihnachten« begrüßt zu werden? Auch andere Fahrgäste bemerken diesen Fauxpas und zücken ihr Smartphone für einen Schnappschuss. Aber gut, es erinnert uns an die eigenen vier Wände, die ebenfalls noch weihnachtlich dekoriert sind. Daran ändert sich auch die nächsten zwei Wochen nichts.

Erst Ende Januar finden wir Zeit und Lust, Räuchermänner, Krippe samt Schafe, Kamele und Elefanten, Fensterschmuck, Girlanden, Weihnachtskarten und so weiter und so fort abzuräumen und für die nächsten knapp zehn Monate wieder sicher zu verstauen. Am Abend sind Spuren beseitigt und gönnen wir uns zum Abschluss einer gefühlt ewigen Weihnacht eine Packung Celebrations. Sekunden später halte ich die Weihnachtsedition in der Hand und prangen mir zwei kurze Worte entgegen:
»Frohes Fest!«

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