Als wir am nächsten Morgen zum Kolosseum zurück kehren, können wir die Warteschlangen an der Kasse ungehindert passieren und, obwohl wir vor der offiziellen Öffnungszeit ankommen, ganz ohne Wartezeit einfach in das Kolosseum hinein marschieren bzw. hinauf, da wir zunächst eine dunkle Treppe empor steigen.
Oben angekommen, finden wir uns im Museum wieder. Auch bis hier haben es erst sehr wenige Besucher geschafft. Es ist gut möglich, dass sich in den Vitrinen das ein oder andere interessante Objekt befindet. Aber ganz offensichtlich hat keiner der frühen Besucher Lust, sich vor den Reliefs, Skulpturen und anderen Fundstücken zu bilden, sondern zieht es zunächst alle nach draußen auf die gewaltige Tribüne. So durchqueren auch wir den Museumsraum, ohne uns groß aufzuhalten, um das Kolosseum auf uns wirken zu lassen, bevor der große Touristenstrom einsetzt.
Das Gefühl im Innern ist eigenartig. Auf der einen Seite sind wir hin und weg von der Größe des Bauwerks und fasziniert von den vielen Sitzreihen, die steil übereinander angebracht sind. Löcher im oberen Teil zeugen noch von den Stangen, über die an heißen Tagen ein riesiges Sonnensegel gezogen wurde, während wir unter uns in die Gänge der antiken Trainingsräume, der Zugänge für die Kämpfer in die Arena und die Bereiche der Tiere schauen. Schließen wir für einen Moment die Augen und stellen uns das Gedränge auf den Rängen vor, die kreischende Masse, die sich an den Darbietungen ergötzt, Männer, Senatoren in ihren edlen Gewändern und Tuniken, aber auch Frauen, welche den Kämpfern zujubeln, um sich verschreckt abzuwenden, sobald es ernst wird.
Auf der anderen Seite ist es barbarisch, was sich hier ab dem Jahr 80 nach Christus zugetragen hat. Allein die Eröffnung feierten die Römer mit 100 Tage andauernden Festspielen, bei denen etliche Gladiatoren und rund 5.000 Tiere zur Belustigung des Volkes getötet wurden, Kaiser Titus zum Dank.
Wenn wir uns fragen, wie es Leute geben kann, die sich am Leid anderer ergötzen oder die Tiere einfach aus Spaß an der Freud quälen, so wird uns hier deutlich vor Augen geführt, dass dieses Phänomen wohl so alt wie die Menschheit selbst ist.
Und doch, ausgerechnet an dem Ort, wo das Abschlachten salonfähig war, brennen immer dann alle Lichter für 48 Stunden, wenn irgendwo auf der Welt ein Todesurteil ausgesetzt oder die Todesstrafe abgeschafft wird. Damit dient das Kolosseum seit dem Jahr 1999 als Gedenkstätte und Monument gegen die in immer noch vielen Ländern präsente Todesstrafe.
Was mir als drittes in den Sinn kommt, ist der Zeichentrickfilm Asterix erobert Rom. Nachdem die Römer eine weitere Schlappe bei dem einen gallischen Dorf erlitten hatten, fordert Julius Cäsar darin die unerschrockenen Kämpfer auf, zwölf Aufgaben zu lösen, welche das Gerücht entkräften sollen, die Barbaren aus dem Norden seien Götter.
Nachdem sich Asterix und Obelix bereits beim Wettlauf, Speerwurf und im Kampf mit der Bürokratie wacker geschlagen haben, gilt es zu guter letzt, beim Gladiatorenkampf im Kolosseum zu überleben. Und genau da liegt der Hund begraben bzw. der Cäsar. Denn er wurde 44 vor Christus ermordet, womit er weder das Kolosseum gekannt noch gewusst haben kann, dass sein Leben 44 vor Jesus Christus endete.
Sei es drum. Der Besuch, gerade am frühen Vormittag, lohnt sich allemal. Denn auch wenn das Kolosseum im Mittelalter als Steinbruch für neue Bauwerke herhalten musste, so befinden wir uns doch in einem der gewaltigsten Bauwerke, welche die Antike je geschaffen hat, so unvorstellbar die Gräueltaten, die sich hier ganz legal abspielten, auch sein mögen.