Das Chamsori Gramophone Museum zählt zu den besonderen Sehenswürdigkeiten von Naksan. Allerdings gibt es in der Umgebung auch zwei schöne Nationalparks: den Seoraksan und den Odaesan. Diese sind unsere Favoriten. Ein Blick aus dem Fenster auf das tosende Meer und den strömenden Regen sagt uns jedoch, dass der Taifun Mitag nochmals an Kraft zugewonnen hat.
Wandern können wir bis auf Weiteres knicken. Damit rücken Schlechtwetterziele in den Vordergrund. So gibt es rund um Gangneung einen Schrein des Ojukheon, einen Unification Park mit Kriegsschiffen und U-Booten und eben das Charmsori Gramophone Museum. Unter dem Schrein kann ich mir kein tagfüllendes Programm vorstellen und für Kriegsschiffe und U-Boote fehlt mir der Sinn.
Bleibt also das Charmsori Gramophone Museum. Die Grammophone sind natürlich der letzte Ausweg, wenn es uns einen Tag komplett verhagelt. So steht es in meinem Reiseplan. Kopfzerbrechen bereiten aber die Bilder von einer gefluteten Stadt Gangneung aus den Nachrichten vom Vortag. Wie wird es dort heute wohl aussehen? Kommen wir überhaupt bis nach Gangneung? Und wie bescheuert muss man sein, bei einem Taifun überhaupt auf den Straßen unterwegs zu sein?
Es ist wohl weniger bescheuert, als den ganzen Tag im Hotel zu verharren und auf besseres Wetter zu warten. Wir wagen es und fahren nach Gangneung. Mit uns sind viele andere auf der Autobahn unterwegs. Sollten die vielen, rot aufleuchtenden Schriften etwas Böses bedeuten, würden die Einheimischen diese Strecke sicherlich meiden. So hoffen wir zumindest, fahren durch Sturzfluten vom Himmel und kommen schließlich unverhofft gut in Gangneung an. Vor Ort ist von Hochwasser und Überschwemmungen keine Spur zu sehen.
Stattdessen stehen wir auf dem unerwartet gut gefüllten Parkplatz des Ojukheon und beobachten, wie die Koreaner in Plastiktüten-Regenmäntel stoisch durch den Regen zum Park stapfen. Ich glaube, das brauchen wir nicht. Ich ernte einen schrägen, wenn auch amüsierten Blick, als ich Lars mit dem Grammophon-Museum als meinen Letzten-Ausweg-Vorschlag komme. »Dort ist es sicherlich trocken«, überzeuge ich ihn, während er den Motor startet. Auf geht’s!
Muss das Charmsori Gramophone Museum direkt am Gyeongpo Lake liegen? Bedrohlich schwappt das Wasser über die Uferstraße. Aber auch hier sind andere unterwegs. Die Koreaner sind ja Taifun erfahren, und wie wir auf der Suche nach Sturm-Alternativen. Zumindest ist der Parkplatz beim Museum knallvoll. Wir weichen auf eine Schotterfläche hinter den Gebäuden aus, flitzen zum Eingang und sind erst einmal froh, im Trockenen zu stehen. Der Eingangsbereich ist nostalgisch gestaltet, wie die Kinoeingänge in den 1970er Jahren. Hier kann man sicherlich gut verweilen. Wir holen die Tickets und müssen erst einmal schlucken. Mit 34.000 Won zählt das Charmsori Gramophone Museum zu den teuersten touristischen Erlebnissen in Korea.
Die Führungen sind durchweg auf Koreanisch, sodass wir selbst klar kommen müssen. Leider sind die Beschreibungen der einzelnen Exponate bis auf Name und Herkunft für uns ebenfalls nicht lesbar. Egal, hie und da finden wir zu unseren Infos. Das Charmsori Gramophone Museum ist einem Mann zu verdanken, der verrückt genug war, in einer eher ruhigen Gegend von Korea ein groß angelegtes Museumsprojekt zu wagen. Als Son Sung-mok noch ein kleiner Junge war, schenkten ihm seine Eltern das Columbia Gramophone G241.
Begeistert vom Charmsori, dem wahren Klang, der aus dem Gerät kam, war dies der Grundstein seiner Sammelfreude. Son Sung-mok widmete seither sein Leben dem Sammeln von Grammophonen. Dafür bereiste er über 60 Länder. Immer dem Risiko von Verkehrsunfällen, Raubüberfällen und sonstigen lebensbedrohlichen Zwischenfällen ausgesetzt, wie er selbst betont. Ja, Grammophone sammeln ist ein wahrlich gefährliches Hobby. Da weiß Herr Son Sung-mok so einiges zu erzählen.
In der ersten Ausstellungshalle reihen sich etwa 20 Drehorgeln an- und hintereinander. Die erste Drehorgel wurde 1796 in der Schweiz hergestellt. Diese Art Orgel verbreitete sich über das 19. Jahrhundert über ganz Europa. Erst später folgten die Grammophone, welche sich von einfachen Unterhaltungsklanggeräten zu Ziergeräten entwickelten. Das Charmsori Gramophone Museum verfügt heute über eine Sammlung von 4500 Grammophonen aus 30 Ländern weltweit.
Einige sind kleine Schränke mit eingebautem Plattenspieler, andere sind bestückt mit den typischen Trichterlautsprechern in allen Größen, Formen und Farben. Es ist gewaltig. Sie stehen frei im Raum, hinter Glas oder hängen gar von der Decke: Um uns herum sehen wir Grammophone noch und nöcher. Dazwischen hockt immer wieder der weiße Hund Nipper, der vor einem Phonographen der Aufnahme von Mark Barrauds Stimme, seinem verstorbenen Herrchen, lauscht.
Was aber hat Thomas Alva Edison mit Korea zu tun? Genauso wenig wie es die Grammophone haben. Wohl aber entwickelte Edison den Phonographen so weit, dass ihm 1878 das Patent für die erste »Sprechmaschine« erteilt wurde. Dadurch stieß Son Sung-mok unweigerlich auf die Erfindungen Edisons und sah Parallelen zu sich. Beide Männer teilen eine ähnliche Hartnäckigkeit und einen unnachgiebigen Willen.
Das Charmsori Gramophone Museum musste wachsen, und zwar um Erfindungen, die Klang und Wissenschaft miteinander verbinden. Das 1982 als Chamsoribang gegründete Museum in Songjeong-dong zog im Februar 2007 in den Gyeongpo Provicial Park um. Neben dem eigentlichen Grammophon-Museum kamen das Edison Science Museum sowie ein Kino- und Kindermuseum hinzu.
Seither strahlen neben Edisons erster Kohlenstofflampe auch einige der 500 Arten an Glühbirnen von Wänden und Decken im Museum. Wir treffen auf Edisons ersten Kinetoscope-Projektor, sein erstes Grammophon Tinfoil und jede Menge an Haushaltsgeräten wie Waffeleisen, Bügeleisen, Nähmaschinen und was das Herz sonst noch so begehrt. Son Sung-mok wird nicht müde, an seiner Sammlung immer weiter zu feilen und ständig neue Objekte nach Südkorea zu holen.
Und Son Sung-mok hat noch weitaus Größeres vor. Denn obgleich Edison in den USA geboren wurde und dort Zeit seines Lebens lebte, so will Sung-mok in seinen Räumen die höchste Anzahl seiner Erfindungen nachweisen. Als erklärtes Ziel für sein Museum gibt er an, einen ähnlichen Stellenwert zu erlangen, wie das British Museum in London und der Louvre von Frankreich. Mit jährlich über 500.000 Besuchern aus dem In- und Ausland muss er sich allerdings noch etwas anstrengen. Aber wo ein Wille ist … da tönt sicherlich auch ein Grammophon.
Ja, an Selbstbewusstsein fehlt es Son Sung-mok nicht. Im Museumscafé lernen wir ihn kennen, auch wenn es uns erst später bewusst wird. Ein Jackie Chan-Verschnitt mit Solarium verbrannter Haut spricht uns dort an und freut sich, Deutsche in seinem Museum begrüßen zu können. Dass es für uns nur die Schlechtwetter-Alternative ist, verschweigen wir lieber. Bei Milchkaffee, Musik aus den 1960er Jahren und einem angeregten Gespräch mit diesem Mann verbringen wir etwas Zeit im Café.
Erst als der Mann wieder verschwunden ist, erkenne ich ihn auf einem der Plakate im Hintergrund als Son Sung-mok bei der Museums-Eröffnung, wieder. Er ist also nicht immer auf Reisen und der Jagd auf neue Artefakte. Wir indes haben den Regentag mit dem Charmsori Gramophone Museum angenehm gut genutzt. Trotzdem sind wir froh, dass sich die Prognosen für die kommenden Tage wieder bessern und hoffen, zumindest eine schöne Wanderung in Koreas Berge unternehmen zu können.