Nach einigen Tage in den ländlichen Regionen Koreas steht ein Wechsel an. Unser Ziel ist die ruhige Millionenstadt Daegu. Von Andong aus reisen wir damit knapp 100 Kilometer weiter in den Süden des Landes. Zuvor jedoch müssen wir tanken, und das immer noch mitten auf dem Land. Eine Tankstelle ist bald gefunden. Auf dem Highway nach Naksan war das eine tolle Sache. Da konnten wir einfach eine große Autobahntankstelle anfahren, wie bei uns, nur mit Tankservice und einem Päckchen Reinigungstüchlein als Geschenk. Hier indes wären wir froh, wenn wenigstens Diesel oder Benzin auf Englisch an der Zapfsäule stünde.
Doch nun stoßen wir an die Grenze all meiner Vorbereitungen, denn solche Schriftzeichen fehlen auf der Liste. Schwarzer oder gelber Schlauch? Lars kratzt sich fragend am Kopf, während sich das Tankpersonal dezent im Hintergrund hält. Einzig ein netter Vater mit Söhnchen kommt lachend auf uns zu, erzählt Lars irgendetwas auf Koreanisch und deutet auf den schwarzen Schlauch. Wir vertrauen ihm; und so wie es ums Bezahlen geht, ist plötzlich auch das Personal wieder zur Stelle.
Leider verpassen wir wenig später die erste Auffahrt zum Highway, was uns gut 20 Minuten kostet. Und weil wir froh sind, endlich auf der Schnellstraße zu sein, verpassen wir anschließend außerdem die richtige Abfahrt, was uns weitere 20 Minuten Fahr-Unvergnügen beschert. Dabei hatte ich bei der Hotelauswahl extra auf eine verkehrsgünstige Lage geachtet.
Wir sind in Daegus Stadtteil Sindang-dong, nahe der Keimyung Universität. Dort stellen wir das Auto in die Tiefgarage unseres February Hotel SeongSeo, checken geschwind ein und sind schon bald auf dem Weg zur U-Bahn. Daegu ist eine der wenigen Städte in Korea, die über solch eine verfügen.
U-Bahn-erfahren wie wir inzwischen sind, finden wir uns tatsächlich bald zurecht, bezahlen unser Ticket in Form eines runden Chips und können in die nächste Bahn einsteigen. Nach zehn Stationen steigen wir bei Banwoldang aus. Bei den Ausgängen befinden sich kleine Schlitze für die runden Marken, die beim Verlassen pfandfrei abgegeben werden. Lars erkennt dies zu spät, schlüpft aber irgendwie zwischen der Absperrung hindurch.
Dann schaut er mich leicht verdutzt an, weil meine Tür aufgegangen ist. Doch schleicht sich hier niemand – und vor allem kein Tourist – unbemerkt aus der U-Bahn-Station. Schon steht ein Wachmann vor Lars. Er nimmt meinem immer noch fragend in die Runde blickenden Mann die Marke aus der Hand, nickt kurz und dackelt wieder davon. Ich denke nur: »Der Junge braucht dringend wieder etwas auf die Rippen!«
Wieder unter freiem Himmel, sehen wir uns mit einer zehnspurigen Straße konfrontiert. Normalerweise ist das für uns ein Grund, auf dem Absatz umzukehren. Doch hier in Daegu ist es äußerst ruhig. Es herrscht kaum Verkehr und auch die Gehwege sind so gut wie leer. Daegu zählt zweieinhalb Millionen Einwohner.
Fragt sich nur, wo die alle sind? Freiburg hat nicht einmal ein Zehntel der Einwohner, doch ist dort gefühlt hundertmal mehr auf den Straßen los. Selbst die Hochhäuser im Zentrum sind überschaubar und wirken nicht so erdrückend, wie in manchen Stadtteilen von Seoul.
Wir beginnen unseren Stadtrundgang in der Bongsan Culture Street. Wie der Name verrät, sammeln sich hier die Künstler mit Galerien, oder sie präsentieren ihre Kunstwerken auf der Straße. Sehr beliebt sind Bubble-Figuren, Hauptsache kugelig, bunt und kitschig. Kunst von Kim Kyung Min ist uns bereits an der Promenade bei Naksan Beach begegnet.
Am Ende der Künstlerstraße hat sie einen haushohen Touristen erschaffen. In der Bongsan Culture Street laden zudem einige winzige Cafés zum Verweilen ein, wie das oad. Wenn man nicht genau weiß, was man bestellen soll, ist das auch kein Problem. Einfach kurz zu den anderen Gästen rüber spicken, was dort auf dem Tisch steht, und darauf zeigen.
Wir wechseln auf die andere Seite der zehnspurigen Straße ins Viertel Dongseongno. Daego sieht sich als das Mode- und Textil-Mekka Südkoreas. Die Textilindustrie befindet sich in den Randbereichen der Stadt. Hier in Dongseongno, finden wir deren Erzeugnisse. Natürlich sind etliche europäische Labels vertreten. Doch zum Shoppen ist das Wetter viel zu schön. Wir schlendern lieber durch die beiden angrenzenden Parks. Der »National Bond Compensation Movement Memorial Park« erinnert an eine Bewegung von Seo Sang-dong im Jahr 1907.
Ziel war es, die gewaltige Staatsverschuldung durch Sammeln von Spenden zurückzuzahlen. Die Bewegung entwickelte sich rasch zu einem Volkssport. Viele verzichteten auf ihren Tabak und Frauen versetzten ihren Schmuck, um ihren Beitrag zur Rückzahlung der Staatsschulden zu leisten. Die japanischen Streitkräfte sahen darin einen gefährlichen Ausdruck des koreanischen Nationalismus. Sie versuchten, die Bewegung zu unterdrücken und zu diskreditieren. Mit falschen Anschuldigungen gegen den Bankpräsidenten, der die Gelder verwahrte, hatten die Besatzer schlussendlich Erfolg: die Bewegung scheiterte.
Quer durch das Dongseongno-Viertel hindurch, kommen wir in die Namseong-ro mit dem chinesischen Heilkräutermarkt. Entlang der Straße und in den Seitengassen siedeln seit Jahrhunderten Apotheken, Ärzte, Arzneimittelhersteller, wie auch Läden für Ginseng und jedwede Kräutertinktur, Mixtur und Hexengebräu. Gegen jedes Zipperlein und Gebrechen ist ein Kraut gewachsen und die chinesische Medizin lehrt, wie diese einzusetzen sind. Der Heilkräutermarkt von Daegu kann auf eine lange Tradition zurückblicken. Bereits in der Joseon-Zeit belieferte dieser neben dem Inland auch China, die Mandschurei und selbst das ferne Russland.
Yangnyeongsi, wie der Markt auf Koreanisch heißt, war lange Zeit der wichtigste Umschlagplatz für nationale Kräuter. Erst in der jüngeren Vergangenheit hat ihm der Gyeongdong Oriental Medicine Market in Seoul den Rang abgelaufen. Doch es gibt ja auch immer mehr Menschen mit immer neuen Wehwehchen. In großen Säcken lagert hier die Heilung all dieser alten und neuen Gebrechen. Gerüche und Aromen schmeicheln unsere Nasen. Dazwischen mischt sich ein Hauch von Rosmarin, was ein leichtes Hungergefühl aufkommen lässt.
Es wird Zeit, zum Hotel zurückzukehren. Die nächstgelegene U-Bahn-Station ist Jungangno, die 2003 durch einen verheerenden Brand Schlagzeilen machte. Der Suizid-Versuch eines geistig verwirrten Taxifahrers kostete unter anderem wegen baulicher Mängel und fataler Fehleinschätzungen fast 200 Menschen das Leben.
Südkorea hat den Vorfall damals als nationale Peinlichkeit eingestuft. Alles drehte sich um die Frage, ob man im Eifer des wirtschaftlichen Wachstums die Sicherheit vernachlässigt habe? Wir gehen davon aus, dass die Koreaner aus ihren Fehlern gelernt haben und fühlen uns nach wie vor sicher in ihrem Land.
Auf der Fahrt zum Stadtteil Sindang-dong merken wir, dass unsere Barreserven zuneige gehen. Banken gibt es hier ja überall. Trotzdem hätten wir lieber im Zentrum von Daegu etwas Geld holen sollen. Sindang-dong ist ein Industriegebiet mit Arbeitern und Angestellten aus Korea. Und genau für diese sind die Automaten ausgelegt. Internationale Karten jedweder Art gehen in dem Viertel leer aus. Egal, wir finden ein schönes Restaurant, in dem unsere Karte gerne akzeptiert wird.
Das koreanische Barbecue gehört fast schon zu den wichtigsten Sehenswürdigkeiten des Landes. In null Komma nichts steht unser Tisch voller kleiner Schüsselchen mit verschiedenen Leckereien. Auf einer Steinplatte wird rohes Fleisch gereicht. Während Koreaner den fettigen Bauchspeck bevorzugen, bekommen wir Streifen vom Nackenfleisch. Im Tisch ist ein Behälter mit glühenden Kohlen eingelassen. Ein Saugrüssel darüber zieht den Rauch ab. Das Grillen kann beginnen.
Ein großer, zerteilter Kräutersaitling brutzelt zwischen den Knoblauchzehen in der Grillpfanne. Es ist wirklich lecker und erinnert ein wenig an unser Fondue. Vielleicht mit dem Unterschied, dass hier nicht Vaters verlorene Pilze in der Brühe dümpeln. Ist man dann doch mal zu langsam beim Wenden des Grillguts, wird sogleich fachmännisch eingegriffen. Man achtet sehr auf die Ausländer. Da sagen wir nur »Kamsahamnida« – also Dankeschön.